Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.Englische Politik und deutsche Interessen. ziehenden Umstände und Möglichkeiten klar überschaut, eingegeben sind, gerade Als es sich nach dem Frieden von San Stefano darum handelte, die Englische Politik und deutsche Interessen. ziehenden Umstände und Möglichkeiten klar überschaut, eingegeben sind, gerade Als es sich nach dem Frieden von San Stefano darum handelte, die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0558" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156829"/> <fw type="header" place="top"> Englische Politik und deutsche Interessen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2544" prev="#ID_2543"> ziehenden Umstände und Möglichkeiten klar überschaut, eingegeben sind, gerade<lb/> zum Gegenteile dessen, was damit bezweckt wird, also gerade zum Kriege führen.<lb/> Gesetzt, der Kaiser und sein Kanzler hätten sich von London ans bestimmen<lb/> lassen, Deutschland hätte sich in Positur gesetzt und nach Osten hin Ruhe ge¬<lb/> boten, Rußland aberIMte sich an das Machtwort nicht gekehrt und marschiren<lb/> lassen, was würde geschehen sein? Entweder hätte Deutschland zur Erzwingung<lb/> des Friedens einen gefährlichen Krieg auf sich nehmen müssen, bei dem man im<lb/> günstigsten Falle Blut und Geld für England geopfert haben würde, oder das<lb/> deutsche'Machtwort hätte, ohne Nachdruck mit Thaten bleibend, nur die Ohn¬<lb/> macht Deutschlands den Russen gegenüber dargethan, wir wären einer schweren<lb/> Demütigung verfallen, und zwar obendrein im Dienst der Interessen einer Macht,<lb/> die den Deutschen kaum jemals im Ernste wohlgewollt hat und die ihnen ihre<lb/> gegenwärtige Bedeutung in Europa sicher nur insofern gönnt, als sie sich<lb/> vielleicht einmal zur Förderung von Zwecken ihrer Kaufmannspolitik gewinnen<lb/> und verwenden lassen könnte,"</p><lb/> <p xml:id="ID_2545" next="#ID_2546"> Als es sich nach dem Frieden von San Stefano darum handelte, die<lb/> Bestimmungen desselben mit den Interessen des nichtrussischen Europas, also<lb/> auch Englands, in Einklang zu bringen, hat die deutsche Politik nicht ermangelt,<lb/> sich an der Arbeit zu beteiligen, und ihrer Haltung vorzugsweise gebührt das<lb/> Verdienst, wenn das Ergebnis schließlich wie in Österreich so auch in England<lb/> befriedigte. Auch in verschiedenen andern Fragen von Bedeutung, die seitdem<lb/> die europäischen Kabinette beschäftigten, in der ägyptischen z, B., hatten die<lb/> Engländer keinen Anlaß, sich über die Art und Weise, in welcher die deutsche<lb/> Politik geleitet wurde, zu beschweren, Umsomehr mußte die Haltung überraschen,<lb/> welche das Ministerium Gladstone in den letzten Monaten Deutschland gegen¬<lb/> über zu beobachten für gut hielt. Dieselbe war einerseits eine hochmütige und<lb/> geringschätzige, andrerseits eine hinterlistige — ein Widerspruch, der zwar bei<lb/> einem Politiker wie Gladstone sich eher von selbst versteht als wunder nimmt,<lb/> aber immerhin verstimmen muß. Der deutsche Reichskanzler richtete an das<lb/> auswärtige Amt in London die Anfrage, ob England auf ein Stück Land an<lb/> der Walsischbucht im Namaqua-Lande (Angra Pequenna), das ein Bremer Kauf¬<lb/> mann von den Eingebornen durch Kauf erworben hatte, Rechte zu haben glaube,<lb/> und blieb acht Monate ohne Antwort, obwohl die Sache sehr einfach war, also<lb/> kein langes Nachsuchen und Überlegen erforderte. Endlich wurde nach wieder¬<lb/> holtem Erinnern erwiedert, England habe kein solches Recht. Nachdem aber der<lb/> Reichskanzler dies in der bekannten Abendsitzung der Budgetkommission mitge¬<lb/> teilt hatte, versuchte man englischerseits, nachträglich durch ein ebenso durch¬<lb/> sichtiges als illoyales Manöver ein Recht der Art zu schaffen oder doch das<lb/> gegebene Zugeständnis illusorisch zu machen, indem man die Kapkolonie veran¬<lb/> laßte, sich herrenlose Gebiete in der Umgebung von „Lüderitzland," wie man<lb/> die Niederlassung von Angra Pequenna seitdem bezeichnet, ohne weiteres auf</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0558]
Englische Politik und deutsche Interessen.
ziehenden Umstände und Möglichkeiten klar überschaut, eingegeben sind, gerade
zum Gegenteile dessen, was damit bezweckt wird, also gerade zum Kriege führen.
Gesetzt, der Kaiser und sein Kanzler hätten sich von London ans bestimmen
lassen, Deutschland hätte sich in Positur gesetzt und nach Osten hin Ruhe ge¬
boten, Rußland aberIMte sich an das Machtwort nicht gekehrt und marschiren
lassen, was würde geschehen sein? Entweder hätte Deutschland zur Erzwingung
des Friedens einen gefährlichen Krieg auf sich nehmen müssen, bei dem man im
günstigsten Falle Blut und Geld für England geopfert haben würde, oder das
deutsche'Machtwort hätte, ohne Nachdruck mit Thaten bleibend, nur die Ohn¬
macht Deutschlands den Russen gegenüber dargethan, wir wären einer schweren
Demütigung verfallen, und zwar obendrein im Dienst der Interessen einer Macht,
die den Deutschen kaum jemals im Ernste wohlgewollt hat und die ihnen ihre
gegenwärtige Bedeutung in Europa sicher nur insofern gönnt, als sie sich
vielleicht einmal zur Förderung von Zwecken ihrer Kaufmannspolitik gewinnen
und verwenden lassen könnte,"
Als es sich nach dem Frieden von San Stefano darum handelte, die
Bestimmungen desselben mit den Interessen des nichtrussischen Europas, also
auch Englands, in Einklang zu bringen, hat die deutsche Politik nicht ermangelt,
sich an der Arbeit zu beteiligen, und ihrer Haltung vorzugsweise gebührt das
Verdienst, wenn das Ergebnis schließlich wie in Österreich so auch in England
befriedigte. Auch in verschiedenen andern Fragen von Bedeutung, die seitdem
die europäischen Kabinette beschäftigten, in der ägyptischen z, B., hatten die
Engländer keinen Anlaß, sich über die Art und Weise, in welcher die deutsche
Politik geleitet wurde, zu beschweren, Umsomehr mußte die Haltung überraschen,
welche das Ministerium Gladstone in den letzten Monaten Deutschland gegen¬
über zu beobachten für gut hielt. Dieselbe war einerseits eine hochmütige und
geringschätzige, andrerseits eine hinterlistige — ein Widerspruch, der zwar bei
einem Politiker wie Gladstone sich eher von selbst versteht als wunder nimmt,
aber immerhin verstimmen muß. Der deutsche Reichskanzler richtete an das
auswärtige Amt in London die Anfrage, ob England auf ein Stück Land an
der Walsischbucht im Namaqua-Lande (Angra Pequenna), das ein Bremer Kauf¬
mann von den Eingebornen durch Kauf erworben hatte, Rechte zu haben glaube,
und blieb acht Monate ohne Antwort, obwohl die Sache sehr einfach war, also
kein langes Nachsuchen und Überlegen erforderte. Endlich wurde nach wieder¬
holtem Erinnern erwiedert, England habe kein solches Recht. Nachdem aber der
Reichskanzler dies in der bekannten Abendsitzung der Budgetkommission mitge¬
teilt hatte, versuchte man englischerseits, nachträglich durch ein ebenso durch¬
sichtiges als illoyales Manöver ein Recht der Art zu schaffen oder doch das
gegebene Zugeständnis illusorisch zu machen, indem man die Kapkolonie veran¬
laßte, sich herrenlose Gebiete in der Umgebung von „Lüderitzland," wie man
die Niederlassung von Angra Pequenna seitdem bezeichnet, ohne weiteres auf
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