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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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liebe, von allen Seiten bereitwillig aufgenommene Vermittlung möglich ist, unter
absolutem Ausschluß aber jeder drohenden Haltung von unsrer Seite, uns be¬
streben, den Frieden unter den europäischen Mächten nach Möglichkeit zu er¬
halten, also den Krieg, wenn er im Orient ausbrechen sollte, nach Möglichkeit
zu lokalisiren. Gelingt das nicht, so entsteht eine neue Lage, über die ich mich
in Konjekturen nicht einlassen kann, und über die Sie von mir heute keine
Auskunft verlangen werden."

Diese neue Lage sollte bald eintreten. "Inzwischen aber, so berichtet Busch
(a. a. O. Bd. 2, S. 173 ff.), jedenfalls aus bester Quelle, wurden von ver-
schiednen Seiten Versuche gemacht, den Kanzler von seiner vorsichtigen Politik
abzubringen. Im Januar 1877 beschwor ihn die "Times," zu befehlen, daß
Ruhe gehalten werde. Etwas später richtete sie eine gleiche bewegliche Ansprache
an den Kaiser Wilhelm. Als der Fürst Bismarck im April um Enthebung
vou seinem Posten gebeten hatte, brachte der "Czas," das Organ der aristokrcitisch-
ultramvutanen Partei unter den Polen, der durch seine Patrone, die Radziwills,
die Czartorystis u. a. mitunter recht gute Nachrichten über die Stimmung, die
Absichten und die Vorgänge in Hofkreisen und sonst in den obern Sphären der
Gesellschaft empfängt, eine Mitteilung, laut welcher die Königin Viktoria vor
einiger Zeit direkt an Bismarck geschrieben haben sollte, um ihm Einspruch
gegen einen Angriff Rußlands auf die Pforte zu empfehlen. Die Antwort
habe ausweichend gelautet. Darauf sei ein zweiter Brief Ihrer britischen
Majestät an den deutschen Reichskanzler ergangen, in welcher sie ihm jenes
Einschreiten dringender ans Herz gelegt habe. Die Antwort drückte sich -- so
meldete das polnische Blatt -- etwas bestimmter aus, sie war aber noch nicht
nach dem Geschmacke der Königin, und so wendete sie sich jetzt mit einem Schreiben
an den Kaiser, um ihn und Deutschland für den ausbrechenden Krieg ^gegen
das englische Interesse am Bosporus verantwortlich zu machen. Wir haben,
fährt Busch fort, Ursache, diesen Bericht für glaubwürdig zu halten, und dürfen
hinzufügen, daß jenes Ansinnen, nach welchem wir den russischen Nachbar, ohne
durch unsre Verhältnisse und Bedürfnisse veranlaßt zu sein, lediglich ans Ge¬
fälligkeit gegen England, damit dieses sich nicht zu sehr für seine kommerziellen
und politischen Interessen in der Türkei zu erhitzen brauchte, zu nötigen ver¬
pflichtet gewesen wären, sich ruhig zu verhalte" -- daß also jenes mindestens
sehr eigentümliche Verlangen auch noch auf einem andern für Kenner der Per¬
sönlichkeiten des Berliner Hofes unschwer zu erratenden Wege ^ourch die Kaiserin
Augusta?> an den König gelangt ist, der, durchaus friedfertig gesinnt und von
dem aufrichtigen Wunsche beseelt, sich selbst und dem deutschen Volke neue Kriege
erspart zu sehen, in dieser Stimmung geneigt sein konnte, Wünschen und Rat¬
schlägen Gehör zu geben, die nach der Meinung derjenigen, die sie ihm vor¬
trugen, dem Frieden dienten. Derartige Ratschläge können aber, wenn sie nicht
von einer hohen Intelligenz und einem weiten Blicke, der alle in betracht zu


Englische Politik und deutsche Interessen.

liebe, von allen Seiten bereitwillig aufgenommene Vermittlung möglich ist, unter
absolutem Ausschluß aber jeder drohenden Haltung von unsrer Seite, uns be¬
streben, den Frieden unter den europäischen Mächten nach Möglichkeit zu er¬
halten, also den Krieg, wenn er im Orient ausbrechen sollte, nach Möglichkeit
zu lokalisiren. Gelingt das nicht, so entsteht eine neue Lage, über die ich mich
in Konjekturen nicht einlassen kann, und über die Sie von mir heute keine
Auskunft verlangen werden."

Diese neue Lage sollte bald eintreten. „Inzwischen aber, so berichtet Busch
(a. a. O. Bd. 2, S. 173 ff.), jedenfalls aus bester Quelle, wurden von ver-
schiednen Seiten Versuche gemacht, den Kanzler von seiner vorsichtigen Politik
abzubringen. Im Januar 1877 beschwor ihn die »Times,« zu befehlen, daß
Ruhe gehalten werde. Etwas später richtete sie eine gleiche bewegliche Ansprache
an den Kaiser Wilhelm. Als der Fürst Bismarck im April um Enthebung
vou seinem Posten gebeten hatte, brachte der »Czas,« das Organ der aristokrcitisch-
ultramvutanen Partei unter den Polen, der durch seine Patrone, die Radziwills,
die Czartorystis u. a. mitunter recht gute Nachrichten über die Stimmung, die
Absichten und die Vorgänge in Hofkreisen und sonst in den obern Sphären der
Gesellschaft empfängt, eine Mitteilung, laut welcher die Königin Viktoria vor
einiger Zeit direkt an Bismarck geschrieben haben sollte, um ihm Einspruch
gegen einen Angriff Rußlands auf die Pforte zu empfehlen. Die Antwort
habe ausweichend gelautet. Darauf sei ein zweiter Brief Ihrer britischen
Majestät an den deutschen Reichskanzler ergangen, in welcher sie ihm jenes
Einschreiten dringender ans Herz gelegt habe. Die Antwort drückte sich — so
meldete das polnische Blatt — etwas bestimmter aus, sie war aber noch nicht
nach dem Geschmacke der Königin, und so wendete sie sich jetzt mit einem Schreiben
an den Kaiser, um ihn und Deutschland für den ausbrechenden Krieg ^gegen
das englische Interesse am Bosporus verantwortlich zu machen. Wir haben,
fährt Busch fort, Ursache, diesen Bericht für glaubwürdig zu halten, und dürfen
hinzufügen, daß jenes Ansinnen, nach welchem wir den russischen Nachbar, ohne
durch unsre Verhältnisse und Bedürfnisse veranlaßt zu sein, lediglich ans Ge¬
fälligkeit gegen England, damit dieses sich nicht zu sehr für seine kommerziellen
und politischen Interessen in der Türkei zu erhitzen brauchte, zu nötigen ver¬
pflichtet gewesen wären, sich ruhig zu verhalte» — daß also jenes mindestens
sehr eigentümliche Verlangen auch noch auf einem andern für Kenner der Per¬
sönlichkeiten des Berliner Hofes unschwer zu erratenden Wege ^ourch die Kaiserin
Augusta?> an den König gelangt ist, der, durchaus friedfertig gesinnt und von
dem aufrichtigen Wunsche beseelt, sich selbst und dem deutschen Volke neue Kriege
erspart zu sehen, in dieser Stimmung geneigt sein konnte, Wünschen und Rat¬
schlägen Gehör zu geben, die nach der Meinung derjenigen, die sie ihm vor¬
trugen, dem Frieden dienten. Derartige Ratschläge können aber, wenn sie nicht
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[0557] liebe, von allen Seiten bereitwillig aufgenommene Vermittlung möglich ist, unter absolutem Ausschluß aber jeder drohenden Haltung von unsrer Seite, uns be¬ streben, den Frieden unter den europäischen Mächten nach Möglichkeit zu er¬ halten, also den Krieg, wenn er im Orient ausbrechen sollte, nach Möglichkeit zu lokalisiren. Gelingt das nicht, so entsteht eine neue Lage, über die ich mich in Konjekturen nicht einlassen kann, und über die Sie von mir heute keine Auskunft verlangen werden." Diese neue Lage sollte bald eintreten. „Inzwischen aber, so berichtet Busch (a. a. O. Bd. 2, S. 173 ff.), jedenfalls aus bester Quelle, wurden von ver- schiednen Seiten Versuche gemacht, den Kanzler von seiner vorsichtigen Politik abzubringen. Im Januar 1877 beschwor ihn die »Times,« zu befehlen, daß Ruhe gehalten werde. Etwas später richtete sie eine gleiche bewegliche Ansprache an den Kaiser Wilhelm. Als der Fürst Bismarck im April um Enthebung vou seinem Posten gebeten hatte, brachte der »Czas,« das Organ der aristokrcitisch- ultramvutanen Partei unter den Polen, der durch seine Patrone, die Radziwills, die Czartorystis u. a. mitunter recht gute Nachrichten über die Stimmung, die Absichten und die Vorgänge in Hofkreisen und sonst in den obern Sphären der Gesellschaft empfängt, eine Mitteilung, laut welcher die Königin Viktoria vor einiger Zeit direkt an Bismarck geschrieben haben sollte, um ihm Einspruch gegen einen Angriff Rußlands auf die Pforte zu empfehlen. Die Antwort habe ausweichend gelautet. Darauf sei ein zweiter Brief Ihrer britischen Majestät an den deutschen Reichskanzler ergangen, in welcher sie ihm jenes Einschreiten dringender ans Herz gelegt habe. Die Antwort drückte sich — so meldete das polnische Blatt — etwas bestimmter aus, sie war aber noch nicht nach dem Geschmacke der Königin, und so wendete sie sich jetzt mit einem Schreiben an den Kaiser, um ihn und Deutschland für den ausbrechenden Krieg ^gegen das englische Interesse am Bosporus verantwortlich zu machen. Wir haben, fährt Busch fort, Ursache, diesen Bericht für glaubwürdig zu halten, und dürfen hinzufügen, daß jenes Ansinnen, nach welchem wir den russischen Nachbar, ohne durch unsre Verhältnisse und Bedürfnisse veranlaßt zu sein, lediglich ans Ge¬ fälligkeit gegen England, damit dieses sich nicht zu sehr für seine kommerziellen und politischen Interessen in der Türkei zu erhitzen brauchte, zu nötigen ver¬ pflichtet gewesen wären, sich ruhig zu verhalte» — daß also jenes mindestens sehr eigentümliche Verlangen auch noch auf einem andern für Kenner der Per¬ sönlichkeiten des Berliner Hofes unschwer zu erratenden Wege ^ourch die Kaiserin Augusta?> an den König gelangt ist, der, durchaus friedfertig gesinnt und von dem aufrichtigen Wunsche beseelt, sich selbst und dem deutschen Volke neue Kriege erspart zu sehen, in dieser Stimmung geneigt sein konnte, Wünschen und Rat¬ schlägen Gehör zu geben, die nach der Meinung derjenigen, die sie ihm vor¬ trugen, dem Frieden dienten. Derartige Ratschläge können aber, wenn sie nicht von einer hohen Intelligenz und einem weiten Blicke, der alle in betracht zu Englische Politik und deutsche Interessen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/557>, abgerufen am 27.09.2024.