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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Englische Politik und deutsche Interessen.

England konnte damals den Krieg verhindern, wenn es den Mut hatte,
das klare Recht Deutschlands in Paris rückhaltlos anzuerkennen und mit
Festigkeit zu vertreten. Seine Regierung fand diesen Mut nicht, sie folgte ihren
Vorurteilen und ihrer Mißgunst gegen Deutschland, und ihre Vermittlung war
so schwächlich, daß wir sie als mitschuldig am Ausbruche des von Napoleon
frevelhaft provozirten Kampfes bezeichnen können. Wenn sie, gestützt auf das
23. Protokoll der Pariser Konferenz von 1856, in welchem die europäischen
Mächte übereingekommen waren, bei vorkommenden Meinungsverschiedenheiten
die guten Dienste einer befreundeten Regierung anzurufen, bevor sie zu den
Waffen griffen, in Paris Vorstellungen machte, geschah dies nur, um den Schein
des Wohlwollens einigermaßen zu bewahre". Ihr letztes Wort halten diese
Herren schon vorher gesprochen, als Lord Lyons, der britische Botschafter in
Paris, dem Herzoge von Gramont nichts entschiedeneres hatte erwiedern können,
als daß seine Regierung "Ursache habe, sich enttäuscht, um nicht zu sagen ver¬
letzt zu fühlen," da man sie zu dem Glauben gebracht habe, Frankreich verlange
nichts als den Rücktritt des Erbprinzen von Hohenzollern von der spanischen
Thronkandidatur, während man jetzt, nachdem England dafür gewirkt, auf einmal
mehr fordere. Es hat einmal englische Staatsmänner gegeben, die sich das
nicht hätten bieten lassen, und eitler derselben hat 1855 erklärt, den ersten,
welcher den europäischen Frieden breche, sofort zu Boden schlagen zu wollen.
Der Vertreter des Ministeriums Gladstone begnügte sich mit jenem kläglichen
Lamento, welches er noch dadurch abschwächte, daß er die Unterredung mit den
Worten schloß, "wie dem aber auch sein möge, die freundschaftliche Stimmung,
welche das glückliche Ergebnis eines langjährigen herzlichen Einverständnisses
zwischen den beiden Regierungen und den beide" Nationen sei, habe keine Ein¬
buße erlitten." ^>

England blieb also neutral. Aber nicht genug damit, seiue Haltung erwies
sich bald als das, was man in seiner Sprache als trauclulöiit usuti-gut/ zu
bezeichnen pflegt. Seine Kaufleute und Fabrikanten versorgten unter den Augen
der Regierung die Franzosen mit allerlei Kriegsbedarf, namentlich ermöglichten
sie der französischen Flotte Operationen i" den deutschen Gewässern durch massen¬
hafte Lieferungen von Kohlen, und als Deutschland gegen dieses Völkerrecht-
widrige Treiben protestirte und Abhilfe verlangte, erklärte man sich zuerst außer
stände, dieselbe zu gewähren, und gab zuletzt nur vage Versprechungen. Man
stand offenbar im Rate der Königin Viktoria mit seinen Wünschen auf der
Seite Napoleons und that, was man ohne offen Partei zu nehmen thun
konnte, um ihm den Krieg zu erleichtern und den Deutschen den Sieg zu er¬
schweren. Als der Sieg sich trotzdem den Deutschen zuneigte und Thiers
seinen bekannten Bittgang zu den neutralen Höfen antrat, um dieselben zur
Verwendung für Frankreich zu bewegen, war Lord Granville, der englische
Minister des Auswärtigen, sofort bereit dazu, doch nur für den Fall, daß^


Englische Politik und deutsche Interessen.

England konnte damals den Krieg verhindern, wenn es den Mut hatte,
das klare Recht Deutschlands in Paris rückhaltlos anzuerkennen und mit
Festigkeit zu vertreten. Seine Regierung fand diesen Mut nicht, sie folgte ihren
Vorurteilen und ihrer Mißgunst gegen Deutschland, und ihre Vermittlung war
so schwächlich, daß wir sie als mitschuldig am Ausbruche des von Napoleon
frevelhaft provozirten Kampfes bezeichnen können. Wenn sie, gestützt auf das
23. Protokoll der Pariser Konferenz von 1856, in welchem die europäischen
Mächte übereingekommen waren, bei vorkommenden Meinungsverschiedenheiten
die guten Dienste einer befreundeten Regierung anzurufen, bevor sie zu den
Waffen griffen, in Paris Vorstellungen machte, geschah dies nur, um den Schein
des Wohlwollens einigermaßen zu bewahre». Ihr letztes Wort halten diese
Herren schon vorher gesprochen, als Lord Lyons, der britische Botschafter in
Paris, dem Herzoge von Gramont nichts entschiedeneres hatte erwiedern können,
als daß seine Regierung „Ursache habe, sich enttäuscht, um nicht zu sagen ver¬
letzt zu fühlen," da man sie zu dem Glauben gebracht habe, Frankreich verlange
nichts als den Rücktritt des Erbprinzen von Hohenzollern von der spanischen
Thronkandidatur, während man jetzt, nachdem England dafür gewirkt, auf einmal
mehr fordere. Es hat einmal englische Staatsmänner gegeben, die sich das
nicht hätten bieten lassen, und eitler derselben hat 1855 erklärt, den ersten,
welcher den europäischen Frieden breche, sofort zu Boden schlagen zu wollen.
Der Vertreter des Ministeriums Gladstone begnügte sich mit jenem kläglichen
Lamento, welches er noch dadurch abschwächte, daß er die Unterredung mit den
Worten schloß, „wie dem aber auch sein möge, die freundschaftliche Stimmung,
welche das glückliche Ergebnis eines langjährigen herzlichen Einverständnisses
zwischen den beiden Regierungen und den beide» Nationen sei, habe keine Ein¬
buße erlitten." ^>

England blieb also neutral. Aber nicht genug damit, seiue Haltung erwies
sich bald als das, was man in seiner Sprache als trauclulöiit usuti-gut/ zu
bezeichnen pflegt. Seine Kaufleute und Fabrikanten versorgten unter den Augen
der Regierung die Franzosen mit allerlei Kriegsbedarf, namentlich ermöglichten
sie der französischen Flotte Operationen i» den deutschen Gewässern durch massen¬
hafte Lieferungen von Kohlen, und als Deutschland gegen dieses Völkerrecht-
widrige Treiben protestirte und Abhilfe verlangte, erklärte man sich zuerst außer
stände, dieselbe zu gewähren, und gab zuletzt nur vage Versprechungen. Man
stand offenbar im Rate der Königin Viktoria mit seinen Wünschen auf der
Seite Napoleons und that, was man ohne offen Partei zu nehmen thun
konnte, um ihm den Krieg zu erleichtern und den Deutschen den Sieg zu er¬
schweren. Als der Sieg sich trotzdem den Deutschen zuneigte und Thiers
seinen bekannten Bittgang zu den neutralen Höfen antrat, um dieselben zur
Verwendung für Frankreich zu bewegen, war Lord Granville, der englische
Minister des Auswärtigen, sofort bereit dazu, doch nur für den Fall, daß^


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[0554] Englische Politik und deutsche Interessen. England konnte damals den Krieg verhindern, wenn es den Mut hatte, das klare Recht Deutschlands in Paris rückhaltlos anzuerkennen und mit Festigkeit zu vertreten. Seine Regierung fand diesen Mut nicht, sie folgte ihren Vorurteilen und ihrer Mißgunst gegen Deutschland, und ihre Vermittlung war so schwächlich, daß wir sie als mitschuldig am Ausbruche des von Napoleon frevelhaft provozirten Kampfes bezeichnen können. Wenn sie, gestützt auf das 23. Protokoll der Pariser Konferenz von 1856, in welchem die europäischen Mächte übereingekommen waren, bei vorkommenden Meinungsverschiedenheiten die guten Dienste einer befreundeten Regierung anzurufen, bevor sie zu den Waffen griffen, in Paris Vorstellungen machte, geschah dies nur, um den Schein des Wohlwollens einigermaßen zu bewahre». Ihr letztes Wort halten diese Herren schon vorher gesprochen, als Lord Lyons, der britische Botschafter in Paris, dem Herzoge von Gramont nichts entschiedeneres hatte erwiedern können, als daß seine Regierung „Ursache habe, sich enttäuscht, um nicht zu sagen ver¬ letzt zu fühlen," da man sie zu dem Glauben gebracht habe, Frankreich verlange nichts als den Rücktritt des Erbprinzen von Hohenzollern von der spanischen Thronkandidatur, während man jetzt, nachdem England dafür gewirkt, auf einmal mehr fordere. Es hat einmal englische Staatsmänner gegeben, die sich das nicht hätten bieten lassen, und eitler derselben hat 1855 erklärt, den ersten, welcher den europäischen Frieden breche, sofort zu Boden schlagen zu wollen. Der Vertreter des Ministeriums Gladstone begnügte sich mit jenem kläglichen Lamento, welches er noch dadurch abschwächte, daß er die Unterredung mit den Worten schloß, „wie dem aber auch sein möge, die freundschaftliche Stimmung, welche das glückliche Ergebnis eines langjährigen herzlichen Einverständnisses zwischen den beiden Regierungen und den beide» Nationen sei, habe keine Ein¬ buße erlitten." ^> England blieb also neutral. Aber nicht genug damit, seiue Haltung erwies sich bald als das, was man in seiner Sprache als trauclulöiit usuti-gut/ zu bezeichnen pflegt. Seine Kaufleute und Fabrikanten versorgten unter den Augen der Regierung die Franzosen mit allerlei Kriegsbedarf, namentlich ermöglichten sie der französischen Flotte Operationen i» den deutschen Gewässern durch massen¬ hafte Lieferungen von Kohlen, und als Deutschland gegen dieses Völkerrecht- widrige Treiben protestirte und Abhilfe verlangte, erklärte man sich zuerst außer stände, dieselbe zu gewähren, und gab zuletzt nur vage Versprechungen. Man stand offenbar im Rate der Königin Viktoria mit seinen Wünschen auf der Seite Napoleons und that, was man ohne offen Partei zu nehmen thun konnte, um ihm den Krieg zu erleichtern und den Deutschen den Sieg zu er¬ schweren. Als der Sieg sich trotzdem den Deutschen zuneigte und Thiers seinen bekannten Bittgang zu den neutralen Höfen antrat, um dieselben zur Verwendung für Frankreich zu bewegen, war Lord Granville, der englische Minister des Auswärtigen, sofort bereit dazu, doch nur für den Fall, daß^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/554>, abgerufen am 27.06.2024.