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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Englische Politik und deutsche Interessen.

Rußland und Österreich sich anschlössen, und dieser Fall trat nicht ein. Die
englische Regierung aber fuhr fort, Frankreich heimlich und indirekt zu be¬
günstigen, etwa so, wie sie früher die Konsöderirten des Südens der nord¬
amerikanischen Union begünstigt hatte. Sie erließ kein Verbot gegen die
Waffenausfuhr, weil es, wie der preußische Botschafter in London schrieb, gegen
ihre Gefühle verstieß, jetzt (nach Deutschlands Erfolgen) diejenige Politik zu
verändern, welche sie zu einer Zeit eingeschlagen, wo sie noch nicht wissen konnte,
auf welche Seite sich das Kriegsglück wenden würde. Sie legte ferner dem
Parlament ein ^orsi^u ^nlistmönt, ^ot vor und betonte bei Verteidigung
desselben, daß die früheren Gesetze dadurch nur ergänzt, nicht abgeändert werden
sollten -- ein Verfahren, über das Bismarck an Graf Bernstorff schrieb: "Wenn
es einerseits nicht zweifelhaft ist, daß nach der Lage der Verhältnisse das neue
Gesetz ausschließlich Frankreich zugute kam, indem es Deutschland die Beschaffung
von Schiffen, an denen es am meisten Mangel litt, unmöglich machte, während
andrerseits die englische Regierung sich weigerte, die alten Gesetze zur Ver¬
hinderung des Exports von Waffen und Munition anzuwenden und dadurch
das Vereinigte Königreich zu einem großen Kriegsarsenal für unsre Gegner
werden ließ, so erhält infolge dessen jenes neue Gesetz eiuen gegen Deutschland
feindlichen, wenigstens praktisch übelwollenden Charakter. . . Sodann aber habe
ich die Ehre, zu bemerken, daß unsre Beschwerden über die Handhabung der
englischen Neutralitätsgesetze ebenfalls aus einer Zeit herstammen, wo wir noch
keine Siege erfochten hatten, daß zur Zeit ihrer Abfassung Frankreich noch zwei
starke Armeen besaß, während seine Flotten die Nord- und Ostsee beherrschten,
und daß es daher nichts weniger als gleichgiltig für uns sein konnte, ob
England durch die Art der Handhabung seiner Neutralität die Vorteile wesentlich
vergrößerte, welche Frankreich aus unsrer Schwäche zur See zog. Aber auch
unter den gegenwärtigen Verhältnissen möchte es dem'° deutschen Volke schwer
einzureden sein, daß es unritterlich sei, sich darüber zu beschweren, daß durch
die offene Duldung der Waffenausfuhr unserm mit großen eignen Opfern über¬
wältigten Feinde die Mittel in die Hand gegeben werden, einen Kampf zu ver¬
längern, der, wenn auch sein schließliches Resultat dadurch nicht wesentlich geändert
werden sollte, doch jedenfalls beiden Teilen umsomehr Blutvergießen und Opfer
kosten wird. Dies mit den sonst so vielfach betonten Humanitätsrücksichten und
Friedenswünschen Englands in Einklang zu bringen, möchte dem beredtesten
Verteidiger einer solchen Neutralitätspolitik vor der öffentlichen Meinung
Deutschlands nicht leicht gelingen. Ich vermag daher Ew. Exzellenz Hoffnung,
das deutsche Volk werde in einem ruhigeren Augenblicke die gegenwärtige Haltung
der Regierung Großbritanniens weniger streng als jetzt während der Hitze des
Kampfes infolge der zu ihm herübergekommenen Nachrichten von der täglichen
Versorgung seines Feindes mit englischen Waffen leider nicht zu teilen."


Englische Politik und deutsche Interessen.

Rußland und Österreich sich anschlössen, und dieser Fall trat nicht ein. Die
englische Regierung aber fuhr fort, Frankreich heimlich und indirekt zu be¬
günstigen, etwa so, wie sie früher die Konsöderirten des Südens der nord¬
amerikanischen Union begünstigt hatte. Sie erließ kein Verbot gegen die
Waffenausfuhr, weil es, wie der preußische Botschafter in London schrieb, gegen
ihre Gefühle verstieß, jetzt (nach Deutschlands Erfolgen) diejenige Politik zu
verändern, welche sie zu einer Zeit eingeschlagen, wo sie noch nicht wissen konnte,
auf welche Seite sich das Kriegsglück wenden würde. Sie legte ferner dem
Parlament ein ^orsi^u ^nlistmönt, ^ot vor und betonte bei Verteidigung
desselben, daß die früheren Gesetze dadurch nur ergänzt, nicht abgeändert werden
sollten — ein Verfahren, über das Bismarck an Graf Bernstorff schrieb: „Wenn
es einerseits nicht zweifelhaft ist, daß nach der Lage der Verhältnisse das neue
Gesetz ausschließlich Frankreich zugute kam, indem es Deutschland die Beschaffung
von Schiffen, an denen es am meisten Mangel litt, unmöglich machte, während
andrerseits die englische Regierung sich weigerte, die alten Gesetze zur Ver¬
hinderung des Exports von Waffen und Munition anzuwenden und dadurch
das Vereinigte Königreich zu einem großen Kriegsarsenal für unsre Gegner
werden ließ, so erhält infolge dessen jenes neue Gesetz eiuen gegen Deutschland
feindlichen, wenigstens praktisch übelwollenden Charakter. . . Sodann aber habe
ich die Ehre, zu bemerken, daß unsre Beschwerden über die Handhabung der
englischen Neutralitätsgesetze ebenfalls aus einer Zeit herstammen, wo wir noch
keine Siege erfochten hatten, daß zur Zeit ihrer Abfassung Frankreich noch zwei
starke Armeen besaß, während seine Flotten die Nord- und Ostsee beherrschten,
und daß es daher nichts weniger als gleichgiltig für uns sein konnte, ob
England durch die Art der Handhabung seiner Neutralität die Vorteile wesentlich
vergrößerte, welche Frankreich aus unsrer Schwäche zur See zog. Aber auch
unter den gegenwärtigen Verhältnissen möchte es dem'° deutschen Volke schwer
einzureden sein, daß es unritterlich sei, sich darüber zu beschweren, daß durch
die offene Duldung der Waffenausfuhr unserm mit großen eignen Opfern über¬
wältigten Feinde die Mittel in die Hand gegeben werden, einen Kampf zu ver¬
längern, der, wenn auch sein schließliches Resultat dadurch nicht wesentlich geändert
werden sollte, doch jedenfalls beiden Teilen umsomehr Blutvergießen und Opfer
kosten wird. Dies mit den sonst so vielfach betonten Humanitätsrücksichten und
Friedenswünschen Englands in Einklang zu bringen, möchte dem beredtesten
Verteidiger einer solchen Neutralitätspolitik vor der öffentlichen Meinung
Deutschlands nicht leicht gelingen. Ich vermag daher Ew. Exzellenz Hoffnung,
das deutsche Volk werde in einem ruhigeren Augenblicke die gegenwärtige Haltung
der Regierung Großbritanniens weniger streng als jetzt während der Hitze des
Kampfes infolge der zu ihm herübergekommenen Nachrichten von der täglichen
Versorgung seines Feindes mit englischen Waffen leider nicht zu teilen."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/555>, abgerufen am 27.09.2024.