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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die Lngel auf Lrde".

Nun also, meine Frau beneidet Sie um das Glück, ein so seltenes Tier
zu besitzen. Sie hofft jeden Tag, Sie zu sehen, um selbst mit Ihnen darüber
zu sprechen; aber da Sie uns diese ganze Zeit hindurch die Ehre Ihres Be¬
suches nicht geschenkt haben, so hat mich die Gräfin beauftragt, alles Mögliche
aufzubieten, damit dieser ihr sehnlichster Wunsch erfüllt werde.

Diese Angabe war richtig. Laurette hatte darauf gerechnet, Paul wieder¬
zusehen, und wenn nirgends sonst, so doch des Abends im Kasino. Sie hatte
schon im voraus ihren ganzen Angriffsplan fertig, und schmeichelte sich mit der
Aussicht auf einen unfehlbaren Erfolg. Aber Paul hatte sich weder am ersten
noch am zweiten Tage, noch an irgend einem der folgenden Tage sehen lassen,
und die Gräfin befand sich daher in keiner geringen Aufregung.

Wenn ich den Versuch machte, ihm am Tage an irgend einem Orte zu
begegnen? dachte sie. Und wäre es auch in Gesellschaft dieses Ausbundes von
trostloser Witwe! Ja, das geht! Aber man müßte es so einrichten, daß er auch
uicht den geringsten Verdacht schöpfen darf, daß ich ihn aufgesucht habe.

Aber alle Schlauheit half ihr nichts, der Zufall wollte es nicht, daß sie
Paul irgendwo begegnete.

Indessen verbrachte eben dieser Paul, wie sich die Badegesellschaft zu er¬
zählen wußte, den ganzen Tag bei der schönen Witwe, deren Liebe zur Einsam¬
keit noch auffallender geworden war als früher. Lanrettens Aufregung stieg
mit jedem Tage. Sie glaubte sich verspottet, verhöhnt, und meinte, ihr ganzes
Ansehen stehe auf dem Spiele, wenn sie jener Frau den neuen Anbeter nicht
entführe und wieder zu ihren eignen Füßen zurückbrachte. Die grausamen,
auf Nina gemünzten Spötteleien, mit denen sie sich von Zeit zu Zeit Luft
machte, genügten ihr nicht. Sie dachte sogar daran, Paul entgegenzutreten in
dem Augenblicke, wo er Ninas Zimmer verließe, und sie hielt sich nur mit
Mühe davon zurück, da ihr die Sache doch zu gefährlich erschien.

Heute hatte sie sich in ihrem enganschließenden Amazoncnlleide vor den
Spiegel gestellt und bemühte sich, den breitkrcimpigen Hut mit wallenden
Federn recht keck auf die üppigen Locken zu setzen, während ihr Gemahl, auf
seinen Krückstock gestützt, im Anschauen ihrer herausfordernden Schönheit ver¬
sunken, ihr aus seinen gelben und verschrumpften Augenlidern einen Blick
des -- nur zu vergeblichen! -- Verlangens zuwarf. Achtlos, als ob es sich
um die gleichgiltigste Sache handelte, sagte die Gräfin: Hast du Amardi noch
nicht wieder gesehen?

Nein! Liegt dir daran, etwas von ihm zu erfahren?

Laurette bemerkte im Spiegel auf dem bleichen Gesichte des alten Rome
einen von seiner gewöhnlichen cynischen Gleichgiltigkeit abweichenden boshaften
Ausdruck, und da sie ihr Benehmen danach einzurichten verstand, so nahm sie
die graziöseste und üppigste Haltung an und lächelte, als der Spiegel wieder
das Aufblitzen der in den gläsernen Augen des Grafen funkelnden Sinnlichkeit
zurückwarf. Sie wußte, worin das ganze Geheimnis ihrer Macht über ihn bestand.


Die Lngel auf Lrde».

Nun also, meine Frau beneidet Sie um das Glück, ein so seltenes Tier
zu besitzen. Sie hofft jeden Tag, Sie zu sehen, um selbst mit Ihnen darüber
zu sprechen; aber da Sie uns diese ganze Zeit hindurch die Ehre Ihres Be¬
suches nicht geschenkt haben, so hat mich die Gräfin beauftragt, alles Mögliche
aufzubieten, damit dieser ihr sehnlichster Wunsch erfüllt werde.

Diese Angabe war richtig. Laurette hatte darauf gerechnet, Paul wieder¬
zusehen, und wenn nirgends sonst, so doch des Abends im Kasino. Sie hatte
schon im voraus ihren ganzen Angriffsplan fertig, und schmeichelte sich mit der
Aussicht auf einen unfehlbaren Erfolg. Aber Paul hatte sich weder am ersten
noch am zweiten Tage, noch an irgend einem der folgenden Tage sehen lassen,
und die Gräfin befand sich daher in keiner geringen Aufregung.

Wenn ich den Versuch machte, ihm am Tage an irgend einem Orte zu
begegnen? dachte sie. Und wäre es auch in Gesellschaft dieses Ausbundes von
trostloser Witwe! Ja, das geht! Aber man müßte es so einrichten, daß er auch
uicht den geringsten Verdacht schöpfen darf, daß ich ihn aufgesucht habe.

Aber alle Schlauheit half ihr nichts, der Zufall wollte es nicht, daß sie
Paul irgendwo begegnete.

Indessen verbrachte eben dieser Paul, wie sich die Badegesellschaft zu er¬
zählen wußte, den ganzen Tag bei der schönen Witwe, deren Liebe zur Einsam¬
keit noch auffallender geworden war als früher. Lanrettens Aufregung stieg
mit jedem Tage. Sie glaubte sich verspottet, verhöhnt, und meinte, ihr ganzes
Ansehen stehe auf dem Spiele, wenn sie jener Frau den neuen Anbeter nicht
entführe und wieder zu ihren eignen Füßen zurückbrachte. Die grausamen,
auf Nina gemünzten Spötteleien, mit denen sie sich von Zeit zu Zeit Luft
machte, genügten ihr nicht. Sie dachte sogar daran, Paul entgegenzutreten in
dem Augenblicke, wo er Ninas Zimmer verließe, und sie hielt sich nur mit
Mühe davon zurück, da ihr die Sache doch zu gefährlich erschien.

Heute hatte sie sich in ihrem enganschließenden Amazoncnlleide vor den
Spiegel gestellt und bemühte sich, den breitkrcimpigen Hut mit wallenden
Federn recht keck auf die üppigen Locken zu setzen, während ihr Gemahl, auf
seinen Krückstock gestützt, im Anschauen ihrer herausfordernden Schönheit ver¬
sunken, ihr aus seinen gelben und verschrumpften Augenlidern einen Blick
des — nur zu vergeblichen! — Verlangens zuwarf. Achtlos, als ob es sich
um die gleichgiltigste Sache handelte, sagte die Gräfin: Hast du Amardi noch
nicht wieder gesehen?

Nein! Liegt dir daran, etwas von ihm zu erfahren?

Laurette bemerkte im Spiegel auf dem bleichen Gesichte des alten Rome
einen von seiner gewöhnlichen cynischen Gleichgiltigkeit abweichenden boshaften
Ausdruck, und da sie ihr Benehmen danach einzurichten verstand, so nahm sie
die graziöseste und üppigste Haltung an und lächelte, als der Spiegel wieder
das Aufblitzen der in den gläsernen Augen des Grafen funkelnden Sinnlichkeit
zurückwarf. Sie wußte, worin das ganze Geheimnis ihrer Macht über ihn bestand.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/55>, abgerufen am 27.09.2024.