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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die Engel auf Erden.

Er blieb mitten in seinem Zimmer, welches er mit eiligen Schritten durch-
messen hatte, plötzlich von einem Gedanken ergriffen stehen. Wenn ich mich ent¬
fernte! Ich will Josef den Vorschlag machen, abzureisen.

Er eilte nach dem Kurhause. An der Thür desselben stieß er auf den
Grafen Beldoni mit seinem falschen Lächeln, seinem schrägen Blick und seinem
chronischen Husten.

El, guten Tag, Herr Amardi, sagte der Graf und reichte ihm seine kalte,
feuchte Hand. Was ist denn mit ihnen vorgegangen? Warum lassen Sie sich
garnicht mehr sehen? Schickt es sich, daß Sie Ihre alten Freunde wegen der
neuen ganz vergessen? Wissen Sie auch, daß, wenn ich nicht das Glück gehabt
hätte, Sie soeben hier zu treffen, ich im Begriffe war, mich zu Ihnen in das
Haus des Doktors zu begeben?

Im Ernste? antwortete Paul mit ausgesuchter Höflichkeit, unter welcher
sich ein leichter Spott verbarg. Was konnte mir eine solche Ehre ver¬
schaffen?

Der Graf stützte sich mit der einen Seite vertraulich auf Pauls Arm,
mit der andern auf seinen unzertrennlichen Begleiter, den Krückstock, und stellte
sich hustend im Treppenhause auf.

Mein Bester, sagte er in gönnerhaftem Tone, ich habe Ihnen eine äußerst
schwierige und wichtige Botschaft zu überbringen. Und mir liegt in Wahrheit
an einem guten Erfolge ebensoviel, wie einem Feldherrn an einem Siege.

Ha! Sie wollen damit sagen, daß es für mich eine Niederlage sein wird?

Nein. Wissen Sie, es ist ein Fall, in welchem beide Teile ein Tedeum
singen.

In diesen Worten lag eine boshafte Anspielung, welche Amardis Beobach¬
tungen nicht entging.

Das kommt vor -- wenn beide Teile verloren haben.

Dies ist hier nicht der Fall. Ein ungenaues Gleichnis hat uns auf einen
falschen Weg geführt. Ich hatte Unrecht, wenn ich von einem Siege sprach.
Es handelt sich um einen Vertrag. Es gilt, eine Caprice der Gräfin zu be¬
friedigen. Sie wissen, es ist die erste Pflicht eines guten Ehemannes, den
Launen der Frau Genüge zu leisten. Und nun brach er in ein erzwungenes
Lachen aus, welches in einen Hustenanfall endigte.

Paul schwieg und wartete ab, wie der Graf sich ferner erklären würde.

Sie, Herr Amardi, sind der glückliche Besitzer eines Hundes, so schön, wie
man ihn nie gesehen hat. Die Tugenden dieses wackern Tieres kommen seiner
Schönheit gleich, wenn sie sie nicht gar noch übertreffen. Die ganze Bade-
gesellschaft ist voll von seinen glorreichen Thaten, und mau erzählt sich Wunder¬
dinge, wie dieser vicrpfotige Heros einem Knaben das Leben gerettet und ihn
wieder in die Arme seiner interessanten Mutter gebracht hat.

Paul wurde ungeduldig. Nun also?


Die Engel auf Erden.

Er blieb mitten in seinem Zimmer, welches er mit eiligen Schritten durch-
messen hatte, plötzlich von einem Gedanken ergriffen stehen. Wenn ich mich ent¬
fernte! Ich will Josef den Vorschlag machen, abzureisen.

Er eilte nach dem Kurhause. An der Thür desselben stieß er auf den
Grafen Beldoni mit seinem falschen Lächeln, seinem schrägen Blick und seinem
chronischen Husten.

El, guten Tag, Herr Amardi, sagte der Graf und reichte ihm seine kalte,
feuchte Hand. Was ist denn mit ihnen vorgegangen? Warum lassen Sie sich
garnicht mehr sehen? Schickt es sich, daß Sie Ihre alten Freunde wegen der
neuen ganz vergessen? Wissen Sie auch, daß, wenn ich nicht das Glück gehabt
hätte, Sie soeben hier zu treffen, ich im Begriffe war, mich zu Ihnen in das
Haus des Doktors zu begeben?

Im Ernste? antwortete Paul mit ausgesuchter Höflichkeit, unter welcher
sich ein leichter Spott verbarg. Was konnte mir eine solche Ehre ver¬
schaffen?

Der Graf stützte sich mit der einen Seite vertraulich auf Pauls Arm,
mit der andern auf seinen unzertrennlichen Begleiter, den Krückstock, und stellte
sich hustend im Treppenhause auf.

Mein Bester, sagte er in gönnerhaftem Tone, ich habe Ihnen eine äußerst
schwierige und wichtige Botschaft zu überbringen. Und mir liegt in Wahrheit
an einem guten Erfolge ebensoviel, wie einem Feldherrn an einem Siege.

Ha! Sie wollen damit sagen, daß es für mich eine Niederlage sein wird?

Nein. Wissen Sie, es ist ein Fall, in welchem beide Teile ein Tedeum
singen.

In diesen Worten lag eine boshafte Anspielung, welche Amardis Beobach¬
tungen nicht entging.

Das kommt vor — wenn beide Teile verloren haben.

Dies ist hier nicht der Fall. Ein ungenaues Gleichnis hat uns auf einen
falschen Weg geführt. Ich hatte Unrecht, wenn ich von einem Siege sprach.
Es handelt sich um einen Vertrag. Es gilt, eine Caprice der Gräfin zu be¬
friedigen. Sie wissen, es ist die erste Pflicht eines guten Ehemannes, den
Launen der Frau Genüge zu leisten. Und nun brach er in ein erzwungenes
Lachen aus, welches in einen Hustenanfall endigte.

Paul schwieg und wartete ab, wie der Graf sich ferner erklären würde.

Sie, Herr Amardi, sind der glückliche Besitzer eines Hundes, so schön, wie
man ihn nie gesehen hat. Die Tugenden dieses wackern Tieres kommen seiner
Schönheit gleich, wenn sie sie nicht gar noch übertreffen. Die ganze Bade-
gesellschaft ist voll von seinen glorreichen Thaten, und mau erzählt sich Wunder¬
dinge, wie dieser vicrpfotige Heros einem Knaben das Leben gerettet und ihn
wieder in die Arme seiner interessanten Mutter gebracht hat.

Paul wurde ungeduldig. Nun also?


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[0054] Die Engel auf Erden. Er blieb mitten in seinem Zimmer, welches er mit eiligen Schritten durch- messen hatte, plötzlich von einem Gedanken ergriffen stehen. Wenn ich mich ent¬ fernte! Ich will Josef den Vorschlag machen, abzureisen. Er eilte nach dem Kurhause. An der Thür desselben stieß er auf den Grafen Beldoni mit seinem falschen Lächeln, seinem schrägen Blick und seinem chronischen Husten. El, guten Tag, Herr Amardi, sagte der Graf und reichte ihm seine kalte, feuchte Hand. Was ist denn mit ihnen vorgegangen? Warum lassen Sie sich garnicht mehr sehen? Schickt es sich, daß Sie Ihre alten Freunde wegen der neuen ganz vergessen? Wissen Sie auch, daß, wenn ich nicht das Glück gehabt hätte, Sie soeben hier zu treffen, ich im Begriffe war, mich zu Ihnen in das Haus des Doktors zu begeben? Im Ernste? antwortete Paul mit ausgesuchter Höflichkeit, unter welcher sich ein leichter Spott verbarg. Was konnte mir eine solche Ehre ver¬ schaffen? Der Graf stützte sich mit der einen Seite vertraulich auf Pauls Arm, mit der andern auf seinen unzertrennlichen Begleiter, den Krückstock, und stellte sich hustend im Treppenhause auf. Mein Bester, sagte er in gönnerhaftem Tone, ich habe Ihnen eine äußerst schwierige und wichtige Botschaft zu überbringen. Und mir liegt in Wahrheit an einem guten Erfolge ebensoviel, wie einem Feldherrn an einem Siege. Ha! Sie wollen damit sagen, daß es für mich eine Niederlage sein wird? Nein. Wissen Sie, es ist ein Fall, in welchem beide Teile ein Tedeum singen. In diesen Worten lag eine boshafte Anspielung, welche Amardis Beobach¬ tungen nicht entging. Das kommt vor — wenn beide Teile verloren haben. Dies ist hier nicht der Fall. Ein ungenaues Gleichnis hat uns auf einen falschen Weg geführt. Ich hatte Unrecht, wenn ich von einem Siege sprach. Es handelt sich um einen Vertrag. Es gilt, eine Caprice der Gräfin zu be¬ friedigen. Sie wissen, es ist die erste Pflicht eines guten Ehemannes, den Launen der Frau Genüge zu leisten. Und nun brach er in ein erzwungenes Lachen aus, welches in einen Hustenanfall endigte. Paul schwieg und wartete ab, wie der Graf sich ferner erklären würde. Sie, Herr Amardi, sind der glückliche Besitzer eines Hundes, so schön, wie man ihn nie gesehen hat. Die Tugenden dieses wackern Tieres kommen seiner Schönheit gleich, wenn sie sie nicht gar noch übertreffen. Die ganze Bade- gesellschaft ist voll von seinen glorreichen Thaten, und mau erzählt sich Wunder¬ dinge, wie dieser vicrpfotige Heros einem Knaben das Leben gerettet und ihn wieder in die Arme seiner interessanten Mutter gebracht hat. Paul wurde ungeduldig. Nun also?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/54>, abgerufen am 27.06.2024.