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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die Lngel auf Erden.

mich, daß ich einen Verstand, der dem Vaterlande zur Ehre gereichen kann, zur
Thätigkeit zurückgeführt habe.

Verstand! Verstand! existirst du in mir, du, die wunderbare Kraft in diesem
so ohnmächtigen Wesen? Und würde der Verstand allein ausreichen, um von
ihr geliebt zu werden? Geliebt zu werden mit jeuer heiligen Liebe, die ich
nirgends gefunden habe?

Und nun warf er sich auf die Arbeit mit einem Feuereifer, wie er ihn als
Zwanzigjähriger gehabt hatte. Wie hatten ihn diese wenigen Tage verändert!
Er war wieder voll guter Laune, die Furchen seiner Stirn schienen sich zu
glätten, nur selten kehrte fein früheres ironisches Lächeln zurück. Adele hatte
ihre größte Freude darüber, sie hoffte, daß der innere Dämon, der sich dieser
gequälten Seele bemächtigt hatte, für immer besiegt worden sei.

Aber der böse Feind ließ seine Beute nicht so ruhig fahren. Eines schönen
Tages wurde Paul seiner Arbeit überdrüssig. Am Tage vorher war Rina
ausgeblieben, Adele war voll Unruhe mit ihrem Bruder nach dem Kurhause
geeilt. Es zeigte sich, daß Guido von einem Unwohlsein befallen war, und
nnn hatte die junge Mutter in ihrer Herzensangst für nichts weiter Sinn.
Paul wurde von ihr weder mit den gewohnten Blicken und Worten, noch mit
einem Lächeln beglückt, es schien ihm sogar, als er ihre Hand berührte, daß
dieselbe kalt und unempfindlich, sozusagen stumm war. Er empfand darüber
großen Kummer und ärgerte sich über diesen Kummer. Aufgeregt und schweigsam
kehrte er zurück.

Am folgenden Morgen betrachtete er mit verächtlichem Mitleid die von
ihm geschriebenen Blätter und las sie nochmals durch. Ein bitteres Lächeln
überfiel sein Gesicht. Erbärmliches Machwerk! rief er aus. Und ich habe mich
noch solchen Täuschungen hingeben können! Wie konnte überhaupt das Wort
einer Frau mich veranlassen, der Scham über meine Ohnmacht die Stirn zu
bieten?

Er ergriff die sämtlichen Blätter und zerriß sie. Nun, mein lieber Paul,
sagte er zu sich selbst, was sind denn jetzt deine Vorsätze? Diese Frau zu lieben?
Warum? Ach ja! sie erscheint mir allerdings als das edelste Wesen, dem ich
je begegnet bin... Und dann? Devannis sagte neulich: Sie gehört nicht zu
denen, welche man mit einer flüchtigen Liebelei streifen und dann wieder auf¬
geben kann. Mich für die ganze Zukunft an sie zu fesseln? Bin ich dazu ge¬
schaffen? Und wenn ich nun doch nicht den ersehnten Frieden fände? Wir
kennen uns ja erst seit so kurzer Zeit! Kann denn schon die durch einen Blick
hervorgerufene Aufregung genügen, um zwei Menschen unauflöslich aneinander
zu ketten? Und übrigens gehörte doch auch noch dazu, daß sie mich liebte.

Er zog wieder die Lippen zu seinem spöttischen Lächeln zusammen.

Mich lieben! Sie! Sie träumt in ihrer Phantasie doch nur von einem
Genie oder einem Heroen!


Die Lngel auf Erden.

mich, daß ich einen Verstand, der dem Vaterlande zur Ehre gereichen kann, zur
Thätigkeit zurückgeführt habe.

Verstand! Verstand! existirst du in mir, du, die wunderbare Kraft in diesem
so ohnmächtigen Wesen? Und würde der Verstand allein ausreichen, um von
ihr geliebt zu werden? Geliebt zu werden mit jeuer heiligen Liebe, die ich
nirgends gefunden habe?

Und nun warf er sich auf die Arbeit mit einem Feuereifer, wie er ihn als
Zwanzigjähriger gehabt hatte. Wie hatten ihn diese wenigen Tage verändert!
Er war wieder voll guter Laune, die Furchen seiner Stirn schienen sich zu
glätten, nur selten kehrte fein früheres ironisches Lächeln zurück. Adele hatte
ihre größte Freude darüber, sie hoffte, daß der innere Dämon, der sich dieser
gequälten Seele bemächtigt hatte, für immer besiegt worden sei.

Aber der böse Feind ließ seine Beute nicht so ruhig fahren. Eines schönen
Tages wurde Paul seiner Arbeit überdrüssig. Am Tage vorher war Rina
ausgeblieben, Adele war voll Unruhe mit ihrem Bruder nach dem Kurhause
geeilt. Es zeigte sich, daß Guido von einem Unwohlsein befallen war, und
nnn hatte die junge Mutter in ihrer Herzensangst für nichts weiter Sinn.
Paul wurde von ihr weder mit den gewohnten Blicken und Worten, noch mit
einem Lächeln beglückt, es schien ihm sogar, als er ihre Hand berührte, daß
dieselbe kalt und unempfindlich, sozusagen stumm war. Er empfand darüber
großen Kummer und ärgerte sich über diesen Kummer. Aufgeregt und schweigsam
kehrte er zurück.

Am folgenden Morgen betrachtete er mit verächtlichem Mitleid die von
ihm geschriebenen Blätter und las sie nochmals durch. Ein bitteres Lächeln
überfiel sein Gesicht. Erbärmliches Machwerk! rief er aus. Und ich habe mich
noch solchen Täuschungen hingeben können! Wie konnte überhaupt das Wort
einer Frau mich veranlassen, der Scham über meine Ohnmacht die Stirn zu
bieten?

Er ergriff die sämtlichen Blätter und zerriß sie. Nun, mein lieber Paul,
sagte er zu sich selbst, was sind denn jetzt deine Vorsätze? Diese Frau zu lieben?
Warum? Ach ja! sie erscheint mir allerdings als das edelste Wesen, dem ich
je begegnet bin... Und dann? Devannis sagte neulich: Sie gehört nicht zu
denen, welche man mit einer flüchtigen Liebelei streifen und dann wieder auf¬
geben kann. Mich für die ganze Zukunft an sie zu fesseln? Bin ich dazu ge¬
schaffen? Und wenn ich nun doch nicht den ersehnten Frieden fände? Wir
kennen uns ja erst seit so kurzer Zeit! Kann denn schon die durch einen Blick
hervorgerufene Aufregung genügen, um zwei Menschen unauflöslich aneinander
zu ketten? Und übrigens gehörte doch auch noch dazu, daß sie mich liebte.

Er zog wieder die Lippen zu seinem spöttischen Lächeln zusammen.

Mich lieben! Sie! Sie träumt in ihrer Phantasie doch nur von einem
Genie oder einem Heroen!


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[0053] Die Lngel auf Erden. mich, daß ich einen Verstand, der dem Vaterlande zur Ehre gereichen kann, zur Thätigkeit zurückgeführt habe. Verstand! Verstand! existirst du in mir, du, die wunderbare Kraft in diesem so ohnmächtigen Wesen? Und würde der Verstand allein ausreichen, um von ihr geliebt zu werden? Geliebt zu werden mit jeuer heiligen Liebe, die ich nirgends gefunden habe? Und nun warf er sich auf die Arbeit mit einem Feuereifer, wie er ihn als Zwanzigjähriger gehabt hatte. Wie hatten ihn diese wenigen Tage verändert! Er war wieder voll guter Laune, die Furchen seiner Stirn schienen sich zu glätten, nur selten kehrte fein früheres ironisches Lächeln zurück. Adele hatte ihre größte Freude darüber, sie hoffte, daß der innere Dämon, der sich dieser gequälten Seele bemächtigt hatte, für immer besiegt worden sei. Aber der böse Feind ließ seine Beute nicht so ruhig fahren. Eines schönen Tages wurde Paul seiner Arbeit überdrüssig. Am Tage vorher war Rina ausgeblieben, Adele war voll Unruhe mit ihrem Bruder nach dem Kurhause geeilt. Es zeigte sich, daß Guido von einem Unwohlsein befallen war, und nnn hatte die junge Mutter in ihrer Herzensangst für nichts weiter Sinn. Paul wurde von ihr weder mit den gewohnten Blicken und Worten, noch mit einem Lächeln beglückt, es schien ihm sogar, als er ihre Hand berührte, daß dieselbe kalt und unempfindlich, sozusagen stumm war. Er empfand darüber großen Kummer und ärgerte sich über diesen Kummer. Aufgeregt und schweigsam kehrte er zurück. Am folgenden Morgen betrachtete er mit verächtlichem Mitleid die von ihm geschriebenen Blätter und las sie nochmals durch. Ein bitteres Lächeln überfiel sein Gesicht. Erbärmliches Machwerk! rief er aus. Und ich habe mich noch solchen Täuschungen hingeben können! Wie konnte überhaupt das Wort einer Frau mich veranlassen, der Scham über meine Ohnmacht die Stirn zu bieten? Er ergriff die sämtlichen Blätter und zerriß sie. Nun, mein lieber Paul, sagte er zu sich selbst, was sind denn jetzt deine Vorsätze? Diese Frau zu lieben? Warum? Ach ja! sie erscheint mir allerdings als das edelste Wesen, dem ich je begegnet bin... Und dann? Devannis sagte neulich: Sie gehört nicht zu denen, welche man mit einer flüchtigen Liebelei streifen und dann wieder auf¬ geben kann. Mich für die ganze Zukunft an sie zu fesseln? Bin ich dazu ge¬ schaffen? Und wenn ich nun doch nicht den ersehnten Frieden fände? Wir kennen uns ja erst seit so kurzer Zeit! Kann denn schon die durch einen Blick hervorgerufene Aufregung genügen, um zwei Menschen unauflöslich aneinander zu ketten? Und übrigens gehörte doch auch noch dazu, daß sie mich liebte. Er zog wieder die Lippen zu seinem spöttischen Lächeln zusammen. Mich lieben! Sie! Sie träumt in ihrer Phantasie doch nur von einem Genie oder einem Heroen!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/53>, abgerufen am 27.06.2024.