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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die Engel auf Erden.

Manchmal nahm Paul ein Buch in die Hand und las daraus vor, ein
andermal erzählte er von seinen Reisen und schilderte Land und Leute, und
wenn er sah, wie Rina, das Kinn auf ihre Hand gesenkt, das Auge fest auf
ihn gerichtet, in gespannter Aufmerksamkeit an seinen Lippen hing, dann wurde
seine Beredsamkeit größer und größer, seine Worte, seine Bilder wurden wärmer,
als ob der klare und heitere Blick dieser Frau seine Geisteskräfte verdoppelt
hätte.

Eines Tages sagte Nina zu Paul: Sie hatten früher die edle Laufbahn
des Schriftstellers ergriffen, warum haben Sie diese auf dem besten Wege ver¬
lassen und sich einer Muße hingegeben, welche weder Ihren geistigen Anlagen
noch Ihrem Herzen ansteht?

Paul hatte schon eine von jenen sarkastischen Antworten auf den Lippen,
welche er bei ähnlichen Gelegenheiten zu erteilen pflegte, aber er hielt an sich
und blieb einen Augenblick in Gedanken versunken.

Adele, antwortete er dann, hat mir neulich gesagt, der Mensch müsse suchen,
sich auf der Welt nützlich zu machen. Glauben Sie, daß ein Phrasenkritzler in
Prosa oder in Versen zu irgend etwas nützlich sei?

Schöne und wahre Sachen zu sagen, scheint mir eine der vortrefflichsten
Aufgaben zu sein, welche sich der menschliche Verstand vornehmen kann. Warum,
wollen Sie Ihr Licht unter den Scheffel stellen? Schreiben Sie, Herr Paul
Schreiben, hat ein großer italienischer Denker gesagt, ist arbeiten.

Würde das Ihnen Vergnügen machen? fragte Paul mit einem vielleicht
etwas zu warmen Ausdruck der Stimme, denn Rina hielt es für gut, etwas
kühler zu antworten: Mir würde es ganz gewiß Vergnügen machen, wenn ich
sehen könnte, daß ein Verstand, welcher dem Vaterlande zur Ehre gereichen kann,
zur Thätigkeit zurückkehrt.

Die folgende Nacht brachte Paul in fieberartiger Hitze unter dem Druck
der in ihm brütenden Ideen zu. Er fühlte sich wieder jung an Stärke der
Phantasie und im Besitze eines reiferen und sicherern Denkvermögens. Es
fehlte ihm nur noch die Schöpfungskraft des Willens, welcher Leib und Seele
zu der mühseligen und heilsamen Gymnastik der dringenden Arbeit zwingt. Und
es schien ihm, als ob Ninas Blick und Wort ihm diese wunderbare Gabe ver¬
liehen habe und ihn bei jedem neuen Anfalle von Schwäche kräftigen könne.

O, könnte ich doch diese Fülle von Gedanken, welche in meinem Gehirn
sieden, in ein Meisterwerk zusammenfassen! rief er aus, und preßte beide Hände
gegen die Stirn. Könnte ich doch das glanzvolle Ideal, welches meine Phan¬
tasie entzückt, in Worte übersetzen! Ihr beweisen, daß ich etwas in mir habe,
was mich ihren Blicken nicht unwert macht! Könnte ich ihr meinen Ruhm zu
Füßen legen und ihr sagen: Das ist dein Werk! Dann würde sie mir viel¬
leicht mit ihrem himmlischen Lächeln danken, mir ihre liebe Weiße Hand reichen
und mit ihrer Stimme, die bis in mein Innerstes dringt, mir sagen: Ich freue


Die Engel auf Erden.

Manchmal nahm Paul ein Buch in die Hand und las daraus vor, ein
andermal erzählte er von seinen Reisen und schilderte Land und Leute, und
wenn er sah, wie Rina, das Kinn auf ihre Hand gesenkt, das Auge fest auf
ihn gerichtet, in gespannter Aufmerksamkeit an seinen Lippen hing, dann wurde
seine Beredsamkeit größer und größer, seine Worte, seine Bilder wurden wärmer,
als ob der klare und heitere Blick dieser Frau seine Geisteskräfte verdoppelt
hätte.

Eines Tages sagte Nina zu Paul: Sie hatten früher die edle Laufbahn
des Schriftstellers ergriffen, warum haben Sie diese auf dem besten Wege ver¬
lassen und sich einer Muße hingegeben, welche weder Ihren geistigen Anlagen
noch Ihrem Herzen ansteht?

Paul hatte schon eine von jenen sarkastischen Antworten auf den Lippen,
welche er bei ähnlichen Gelegenheiten zu erteilen pflegte, aber er hielt an sich
und blieb einen Augenblick in Gedanken versunken.

Adele, antwortete er dann, hat mir neulich gesagt, der Mensch müsse suchen,
sich auf der Welt nützlich zu machen. Glauben Sie, daß ein Phrasenkritzler in
Prosa oder in Versen zu irgend etwas nützlich sei?

Schöne und wahre Sachen zu sagen, scheint mir eine der vortrefflichsten
Aufgaben zu sein, welche sich der menschliche Verstand vornehmen kann. Warum,
wollen Sie Ihr Licht unter den Scheffel stellen? Schreiben Sie, Herr Paul
Schreiben, hat ein großer italienischer Denker gesagt, ist arbeiten.

Würde das Ihnen Vergnügen machen? fragte Paul mit einem vielleicht
etwas zu warmen Ausdruck der Stimme, denn Rina hielt es für gut, etwas
kühler zu antworten: Mir würde es ganz gewiß Vergnügen machen, wenn ich
sehen könnte, daß ein Verstand, welcher dem Vaterlande zur Ehre gereichen kann,
zur Thätigkeit zurückkehrt.

Die folgende Nacht brachte Paul in fieberartiger Hitze unter dem Druck
der in ihm brütenden Ideen zu. Er fühlte sich wieder jung an Stärke der
Phantasie und im Besitze eines reiferen und sicherern Denkvermögens. Es
fehlte ihm nur noch die Schöpfungskraft des Willens, welcher Leib und Seele
zu der mühseligen und heilsamen Gymnastik der dringenden Arbeit zwingt. Und
es schien ihm, als ob Ninas Blick und Wort ihm diese wunderbare Gabe ver¬
liehen habe und ihn bei jedem neuen Anfalle von Schwäche kräftigen könne.

O, könnte ich doch diese Fülle von Gedanken, welche in meinem Gehirn
sieden, in ein Meisterwerk zusammenfassen! rief er aus, und preßte beide Hände
gegen die Stirn. Könnte ich doch das glanzvolle Ideal, welches meine Phan¬
tasie entzückt, in Worte übersetzen! Ihr beweisen, daß ich etwas in mir habe,
was mich ihren Blicken nicht unwert macht! Könnte ich ihr meinen Ruhm zu
Füßen legen und ihr sagen: Das ist dein Werk! Dann würde sie mir viel¬
leicht mit ihrem himmlischen Lächeln danken, mir ihre liebe Weiße Hand reichen
und mit ihrer Stimme, die bis in mein Innerstes dringt, mir sagen: Ich freue


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/52>, abgerufen am 27.06.2024.