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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Das Lüde einer weltgeschichtlichen Legende.

präfekten von Paris, Grafen Angles, ihn in der Lösung der ihm gestellte!?
Aufgabe durch Vornahme der erforderlichen Nachforschungen zu unterstütze", und
erlangte mit Hilfe der Beamten des letztern alsbald die wertvollsten Aufschlüsse
nicht nur über die in Frage kommenden Personen, sondern auch über alle Ein¬
zelheiten der Gefangenschaft der königlichen Familie und insbesondre über das
vorzeitige Ende des unglücklichen Dauphin.

Wie bereits bemerkt wurde, kamen die hierüber angefertigten amtlichen
Berichte und Protokolle in den Wirren der Julirevolution, bei denen man die
königlichen Archive durchstöberte und die sorgsam geordneten Urkunden durch¬
einanderwarf, abhanden und blieben seitdem der Geschichtsforschung verloren.
Erst im Jahre 1874 gelang es einem richterlichen Beamten, der mit der Leitung
des berühmten Prozesses betraut worden war, welchen die Naundorffs in diesem
Jahre gegen den Grafen von Chambord angestrengt hatten, jene Papiere zu
entdecken und darunter auch eine protokollarische Beurkundung des Zivilkom¬
missars Dämone ausfindig zu machen, in welcher dieser bezeugt, daß er beim
Tode des Prinzen Karl Ludwig zugegen gewesen. Auf Grund dieser Urkunde,
durch welche die UnHaltbarkeit der von Naundorff geltend gemachten Erbrechte
unzweifelhaft erwiesen wurde, fällte der Pariser Appellhof seine abweisende Ent¬
scheidung. Trotzdem wäre es auch jetzt noch kaum möglich gewesen, den wichtigen
Fund, der in den Katalogen nicht registrirt war und dessen Aufsuchung bei
dem Mangel aller näheren Angaben über seinen Aufbewahrungsort mit schwer
zu bewältigenden Hindernissen verknüpft war, weiteren Kreisen zugänglich zu
macheu, wenn nicht die Findigkeit und der Eifer eines Archivbeainten, namens
Teulet, nicht nur das in Rede stehende, sondern auch uoch eine ganze Samm¬
lung weiterer wichtigen Schriftstücke aufgespürt hätte, die bisher noch niemand
benutzt hatte. Aus denselben konnte über das Ende des Kronprinzen folgendes
festgestellt werden.

Unter dem Dienstpersonal des Temple, mit dessen Ermittelung die Pariser
Polizei auf Befehl Ludwigs XVIII. beauftragt worden war, hatte man auch
einen jungen Menschen, namens Caron, aufgefunden, der mit der Bedienung
des Prinzen betraut gewesen war und diesen von der Zeit seines Aufenthaltes
in der Familie des rohen Schusters Simon bis zu seinem Tode, also während
eines Zeitraumes von zwei Jahren (3. Juli 1793 bis 8. Juni 1795) täglich
gesehen und gesprochen hatte. Caron nun hat dem Polizeibeamten zu Protokoll
gegeben, daß er es gewesen sei, der dem Prinzen eine halbe Stunde vor seinem
Tode die letzte Tasse Fleischbrühe gereicht habe. Caron, der später von der
Schwester des Prinzen in Anerkennung seiner treuen Dienste ein Geldgeschenk
und den kleinen Hund, welcher der stete Genosse der Prinzessin während ihrer
Gefangenschaft gewesen war, zum Andenken erhielt, hat aufs bestimmteste ver¬
sichert, daß der Prinz mit dem sterbenden Knaben identisch gewesen sei. Chante-
lauze vermutet, daß Caron, ebenso wie ein andrer Beamter des Temple, der


Das Lüde einer weltgeschichtlichen Legende.

präfekten von Paris, Grafen Angles, ihn in der Lösung der ihm gestellte!?
Aufgabe durch Vornahme der erforderlichen Nachforschungen zu unterstütze», und
erlangte mit Hilfe der Beamten des letztern alsbald die wertvollsten Aufschlüsse
nicht nur über die in Frage kommenden Personen, sondern auch über alle Ein¬
zelheiten der Gefangenschaft der königlichen Familie und insbesondre über das
vorzeitige Ende des unglücklichen Dauphin.

Wie bereits bemerkt wurde, kamen die hierüber angefertigten amtlichen
Berichte und Protokolle in den Wirren der Julirevolution, bei denen man die
königlichen Archive durchstöberte und die sorgsam geordneten Urkunden durch¬
einanderwarf, abhanden und blieben seitdem der Geschichtsforschung verloren.
Erst im Jahre 1874 gelang es einem richterlichen Beamten, der mit der Leitung
des berühmten Prozesses betraut worden war, welchen die Naundorffs in diesem
Jahre gegen den Grafen von Chambord angestrengt hatten, jene Papiere zu
entdecken und darunter auch eine protokollarische Beurkundung des Zivilkom¬
missars Dämone ausfindig zu machen, in welcher dieser bezeugt, daß er beim
Tode des Prinzen Karl Ludwig zugegen gewesen. Auf Grund dieser Urkunde,
durch welche die UnHaltbarkeit der von Naundorff geltend gemachten Erbrechte
unzweifelhaft erwiesen wurde, fällte der Pariser Appellhof seine abweisende Ent¬
scheidung. Trotzdem wäre es auch jetzt noch kaum möglich gewesen, den wichtigen
Fund, der in den Katalogen nicht registrirt war und dessen Aufsuchung bei
dem Mangel aller näheren Angaben über seinen Aufbewahrungsort mit schwer
zu bewältigenden Hindernissen verknüpft war, weiteren Kreisen zugänglich zu
macheu, wenn nicht die Findigkeit und der Eifer eines Archivbeainten, namens
Teulet, nicht nur das in Rede stehende, sondern auch uoch eine ganze Samm¬
lung weiterer wichtigen Schriftstücke aufgespürt hätte, die bisher noch niemand
benutzt hatte. Aus denselben konnte über das Ende des Kronprinzen folgendes
festgestellt werden.

Unter dem Dienstpersonal des Temple, mit dessen Ermittelung die Pariser
Polizei auf Befehl Ludwigs XVIII. beauftragt worden war, hatte man auch
einen jungen Menschen, namens Caron, aufgefunden, der mit der Bedienung
des Prinzen betraut gewesen war und diesen von der Zeit seines Aufenthaltes
in der Familie des rohen Schusters Simon bis zu seinem Tode, also während
eines Zeitraumes von zwei Jahren (3. Juli 1793 bis 8. Juni 1795) täglich
gesehen und gesprochen hatte. Caron nun hat dem Polizeibeamten zu Protokoll
gegeben, daß er es gewesen sei, der dem Prinzen eine halbe Stunde vor seinem
Tode die letzte Tasse Fleischbrühe gereicht habe. Caron, der später von der
Schwester des Prinzen in Anerkennung seiner treuen Dienste ein Geldgeschenk
und den kleinen Hund, welcher der stete Genosse der Prinzessin während ihrer
Gefangenschaft gewesen war, zum Andenken erhielt, hat aufs bestimmteste ver¬
sichert, daß der Prinz mit dem sterbenden Knaben identisch gewesen sei. Chante-
lauze vermutet, daß Caron, ebenso wie ein andrer Beamter des Temple, der


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[0520] Das Lüde einer weltgeschichtlichen Legende. präfekten von Paris, Grafen Angles, ihn in der Lösung der ihm gestellte!? Aufgabe durch Vornahme der erforderlichen Nachforschungen zu unterstütze», und erlangte mit Hilfe der Beamten des letztern alsbald die wertvollsten Aufschlüsse nicht nur über die in Frage kommenden Personen, sondern auch über alle Ein¬ zelheiten der Gefangenschaft der königlichen Familie und insbesondre über das vorzeitige Ende des unglücklichen Dauphin. Wie bereits bemerkt wurde, kamen die hierüber angefertigten amtlichen Berichte und Protokolle in den Wirren der Julirevolution, bei denen man die königlichen Archive durchstöberte und die sorgsam geordneten Urkunden durch¬ einanderwarf, abhanden und blieben seitdem der Geschichtsforschung verloren. Erst im Jahre 1874 gelang es einem richterlichen Beamten, der mit der Leitung des berühmten Prozesses betraut worden war, welchen die Naundorffs in diesem Jahre gegen den Grafen von Chambord angestrengt hatten, jene Papiere zu entdecken und darunter auch eine protokollarische Beurkundung des Zivilkom¬ missars Dämone ausfindig zu machen, in welcher dieser bezeugt, daß er beim Tode des Prinzen Karl Ludwig zugegen gewesen. Auf Grund dieser Urkunde, durch welche die UnHaltbarkeit der von Naundorff geltend gemachten Erbrechte unzweifelhaft erwiesen wurde, fällte der Pariser Appellhof seine abweisende Ent¬ scheidung. Trotzdem wäre es auch jetzt noch kaum möglich gewesen, den wichtigen Fund, der in den Katalogen nicht registrirt war und dessen Aufsuchung bei dem Mangel aller näheren Angaben über seinen Aufbewahrungsort mit schwer zu bewältigenden Hindernissen verknüpft war, weiteren Kreisen zugänglich zu macheu, wenn nicht die Findigkeit und der Eifer eines Archivbeainten, namens Teulet, nicht nur das in Rede stehende, sondern auch uoch eine ganze Samm¬ lung weiterer wichtigen Schriftstücke aufgespürt hätte, die bisher noch niemand benutzt hatte. Aus denselben konnte über das Ende des Kronprinzen folgendes festgestellt werden. Unter dem Dienstpersonal des Temple, mit dessen Ermittelung die Pariser Polizei auf Befehl Ludwigs XVIII. beauftragt worden war, hatte man auch einen jungen Menschen, namens Caron, aufgefunden, der mit der Bedienung des Prinzen betraut gewesen war und diesen von der Zeit seines Aufenthaltes in der Familie des rohen Schusters Simon bis zu seinem Tode, also während eines Zeitraumes von zwei Jahren (3. Juli 1793 bis 8. Juni 1795) täglich gesehen und gesprochen hatte. Caron nun hat dem Polizeibeamten zu Protokoll gegeben, daß er es gewesen sei, der dem Prinzen eine halbe Stunde vor seinem Tode die letzte Tasse Fleischbrühe gereicht habe. Caron, der später von der Schwester des Prinzen in Anerkennung seiner treuen Dienste ein Geldgeschenk und den kleinen Hund, welcher der stete Genosse der Prinzessin während ihrer Gefangenschaft gewesen war, zum Andenken erhielt, hat aufs bestimmteste ver¬ sichert, daß der Prinz mit dem sterbenden Knaben identisch gewesen sei. Chante- lauze vermutet, daß Caron, ebenso wie ein andrer Beamter des Temple, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/520>, abgerufen am 27.06.2024.