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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Das Lüde einer weltgeschichtlichen Legende.

HA0mis et Ls. mort g.u tsinxlö (Paris, 1853. 2 Bde. 9. Aufl. 1876) gekannt
haben, wird diese Mitteilung keine sonderliche Überraschung sein; denn schon
Beauchesne, ein Mann von außerordentlicher Gewissenhaftigkeit und von einer
seltenen Unermüdlichkeit des Forschens, hatte an der Hand von unwiderleglicher
Urkunden und von unzweifelhaften Zeugnissen unmittelbar beteiligt gewesener
Personen das gleiche Ergebnis erzielt, wenn auch nicht mit ganz der gleichen
historischen Unanfechtbarkeit, mit der es gegenwärtig vor den Richterstuhl der
Kritik hintritt in Gestalt eines Buches, welches der bereits dreimal zuvor mit
Akademieprcisen ausgezeichnete Historiker Chantelauze vor einigen Wochen der
Öffentlichkeit übergeben hat.*)

Wie so häufig bei derlei dunkeln Partien der Geschichte, hat mich diesmal
der Zufall zur Lösung des schwierigen Problems sein bestes thun müssen. Mit
seiner Hilfe sind Beweismittel zu tage gelangt, die bisher völlig unbekannt ini
Staube gelegen hatten und durch die Regierungsumwälzungen der Julirevolution,
welche auch deu Zustand der königlichen Archive in Unordnung brachten, unter
einem Chaos von andern Papieren in einen ablegenen Raum geraten waren,
in dem sie nur der Zufall entdecken konnte. Es ist im höchsten Grade inter¬
essant, zu erfahren, welche Umstände sich vereinigt haben, um jenes Befreiungs¬
werk zu ermöglichen und den Schleier von einem gefährlichen Geheimnis hin-
wegzunehmen, welches erst noch im Mai dieses Jahres wiederum als Untergrund
zu einem von den Nachkommen jenes Naundorff angestrebten Prozesse benutzt
werden sollte.

Bis jetzt war den Geschichtschreibern nur bekannt, daß Ludwig XVIII.,
als er zur Regierung gelangt war, nach zwei Richtungen hin über den Verbleib
der irdischen Überreste seines unglücklichen Neffen hatte Untersuchungen anstellen
lassen. Einmal nämlich, um auf dem Kirchhofe Sainte-Marguerite die Ge¬
beine des Prinzen ausfindig zu machen, dann um die Identität des Herzens
zu ermitteln, das der Chirurg Dr. Pelletan bei der Sektion der Leiche sich
heimlich angeeignet haben sollte. Niemand wußte, daß Ludwig XVIII. nach
der zweiten Restauration eine noch weit wichtigere Untersuchung über den näm¬
lichen Gegenstand angeordnet hatte, durch die das darüber schwebende Dunkel
hinlänglich aufgehellt worden war. Der König hatte dem Polizeiminister Grafen
von Decazes den Auftrag erteilt, alle jene Personen ausfindig zu machen,
welche der Familie seines Bruders während ihrer Gefangenschaft im Temple
Dienste geleistet und dazu beigetragen hatten, ihre traurige Lage zu verbessern:
ein Befehl, der mit der ausgesprochenen Absicht erteilt wurde, deu Betreffenden
für ihre monarchische Treue eine Belohnung zuzuwenden. Der Polizeiminister
machte sich sofort ans Werk und erließ nunmehr die Weisung an den Polizei-



*) lionisXVII,, son onkanoo, sa, prison se mort ".u tsmxls. ?g,ris. Z?irmin
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Das Lüde einer weltgeschichtlichen Legende.

HA0mis et Ls. mort g.u tsinxlö (Paris, 1853. 2 Bde. 9. Aufl. 1876) gekannt
haben, wird diese Mitteilung keine sonderliche Überraschung sein; denn schon
Beauchesne, ein Mann von außerordentlicher Gewissenhaftigkeit und von einer
seltenen Unermüdlichkeit des Forschens, hatte an der Hand von unwiderleglicher
Urkunden und von unzweifelhaften Zeugnissen unmittelbar beteiligt gewesener
Personen das gleiche Ergebnis erzielt, wenn auch nicht mit ganz der gleichen
historischen Unanfechtbarkeit, mit der es gegenwärtig vor den Richterstuhl der
Kritik hintritt in Gestalt eines Buches, welches der bereits dreimal zuvor mit
Akademieprcisen ausgezeichnete Historiker Chantelauze vor einigen Wochen der
Öffentlichkeit übergeben hat.*)

Wie so häufig bei derlei dunkeln Partien der Geschichte, hat mich diesmal
der Zufall zur Lösung des schwierigen Problems sein bestes thun müssen. Mit
seiner Hilfe sind Beweismittel zu tage gelangt, die bisher völlig unbekannt ini
Staube gelegen hatten und durch die Regierungsumwälzungen der Julirevolution,
welche auch deu Zustand der königlichen Archive in Unordnung brachten, unter
einem Chaos von andern Papieren in einen ablegenen Raum geraten waren,
in dem sie nur der Zufall entdecken konnte. Es ist im höchsten Grade inter¬
essant, zu erfahren, welche Umstände sich vereinigt haben, um jenes Befreiungs¬
werk zu ermöglichen und den Schleier von einem gefährlichen Geheimnis hin-
wegzunehmen, welches erst noch im Mai dieses Jahres wiederum als Untergrund
zu einem von den Nachkommen jenes Naundorff angestrebten Prozesse benutzt
werden sollte.

Bis jetzt war den Geschichtschreibern nur bekannt, daß Ludwig XVIII.,
als er zur Regierung gelangt war, nach zwei Richtungen hin über den Verbleib
der irdischen Überreste seines unglücklichen Neffen hatte Untersuchungen anstellen
lassen. Einmal nämlich, um auf dem Kirchhofe Sainte-Marguerite die Ge¬
beine des Prinzen ausfindig zu machen, dann um die Identität des Herzens
zu ermitteln, das der Chirurg Dr. Pelletan bei der Sektion der Leiche sich
heimlich angeeignet haben sollte. Niemand wußte, daß Ludwig XVIII. nach
der zweiten Restauration eine noch weit wichtigere Untersuchung über den näm¬
lichen Gegenstand angeordnet hatte, durch die das darüber schwebende Dunkel
hinlänglich aufgehellt worden war. Der König hatte dem Polizeiminister Grafen
von Decazes den Auftrag erteilt, alle jene Personen ausfindig zu machen,
welche der Familie seines Bruders während ihrer Gefangenschaft im Temple
Dienste geleistet und dazu beigetragen hatten, ihre traurige Lage zu verbessern:
ein Befehl, der mit der ausgesprochenen Absicht erteilt wurde, deu Betreffenden
für ihre monarchische Treue eine Belohnung zuzuwenden. Der Polizeiminister
machte sich sofort ans Werk und erließ nunmehr die Weisung an den Polizei-



*) lionisXVII,, son onkanoo, sa, prison se mort ».u tsmxls. ?g,ris. Z?irmin
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/519>, abgerufen am 28.09.2024.