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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Englische Politik und deutsche Interessen.

Dinge aber stünden, sei man vollkommen befugt, zu verlangen, daß die Ruhe
Europas durch Landabtretung gesichert werde. Zu gleicher Zeit aber mahnte
der Lord zur Eile, da Gefahr im Verzüge sei. Wellington und Castlereagh
gingen indes darauf nicht ein. Letzterer entwarf, von Talleyrand und Pozzo
ti Borgo beeinflußt, in den Briefen an seinen Kollegen in England das schwärzeste
Bild von der Politik der deutschen Höfe und riet zu sorgfältiger Überwachung
derselben. Arm und habgierig, fänden es Preußen, Österreich und namentlich
die kleinern deutschen Staaten bequem, ihre Armeen auf Frankreichs Kosten er¬
nähren und besolden zu können, und so stellten sie allerlei Forderungen, um
einen baldigen Abschluß des Friedens zu vereiteln. Wenn man Frankreich jetzt
allerdings leicht zwingen könne, Land und Leute abzutreten, so werde dasselbe
doch das verlorene Gebiet bald wieder zu erobern versuchen, und da die Staaten,
denen dies zuteil werden müßte, allein nicht die Macht besäßen, es zu behaupten,
werde England dann als Teilnehmer an den Verträgen verpflichtet sein, ihnen
mit Opfern beizustehen. Der Hauptgrund Castlereaghs für die von ihm em¬
pfohlene Politik war der Gedanke, man dürfe Rußland nicht die Ehre und die
Vorteile der Rolle eines alleinigen Beschützers Frankreichs überlassen, und da¬
neben machte er noch (gegen Graf Münster, vergl. Bernhardt a. a. O., S. 463)
geltend, daß letzteres in seinem gegenwärtigen ungeschmälerten Umfange in dem
europäischen Staatensystem, besonders der wachsenden Macht des Zaren gegen¬
über, ein sehr nützliches Glied sein könne, vorausgesetzt, daß England den am
Pariser Hofe gewonnenen Einfluß behaupte.

So erhielt Castlereagh die Zustimmung der Londoner Kollegen zu ihrer
antideutschen Politik und die Ermächtigung, sich den inzwischen etwas veränderten
Vorschlägen Rußlands anzuschließen, und nun entspann sich zwischen England
und dem letztern ein förmlicher Wettstreit um den überwiegenden Einfluß in
Frankreich, aus dem ein Wettstreit des Edelmutes gegen dasselbe wurde und
dessen Kosten niemand anders als Deutschland zu tragen hatte.

Hardenberg forderte als unerläßlich für die Sicherheit der Nachbarländer
die Abtretung der Festungen Conto, Valenciennes, Maubeuge, Philippeville und
Charlemont mit Glock samt ihrem Gebiet an die Niederlande, die dafür Luxem¬
burg den Preußen überlassen sollten. Letzteres sollte ferner Saarlouis und
Thionville erhalten, und für das südliche Deutschland waren Bieses, Landau,
Fort Louis und Hüningen bestimmt. Sodann sollten die Festungswerke von
Le Qucsnoy, Mezieres, Sedan, Montmedy und Longwy geschleift werden, des¬
gleichen die von Straßburg, und der preußische Diplomat fügte hinzu, daß
man diese Stadt wieder zu dem machen könne, was sie einst gewesen: zu einer
freien Stadt des deutschen Reiches. Die Vertreter Englands erklärten darauf
im Namen des Prinzregenten: "Seine königliche Hoheit schließt sich den Grund¬
sätzen an, die von seiten Sr. Majestät des Kaisers von Rußland vorgelegt
worden sind," und Castlereagh erwiederte auf Hardenbergs Gründe, die ge-


Englische Politik und deutsche Interessen.

Dinge aber stünden, sei man vollkommen befugt, zu verlangen, daß die Ruhe
Europas durch Landabtretung gesichert werde. Zu gleicher Zeit aber mahnte
der Lord zur Eile, da Gefahr im Verzüge sei. Wellington und Castlereagh
gingen indes darauf nicht ein. Letzterer entwarf, von Talleyrand und Pozzo
ti Borgo beeinflußt, in den Briefen an seinen Kollegen in England das schwärzeste
Bild von der Politik der deutschen Höfe und riet zu sorgfältiger Überwachung
derselben. Arm und habgierig, fänden es Preußen, Österreich und namentlich
die kleinern deutschen Staaten bequem, ihre Armeen auf Frankreichs Kosten er¬
nähren und besolden zu können, und so stellten sie allerlei Forderungen, um
einen baldigen Abschluß des Friedens zu vereiteln. Wenn man Frankreich jetzt
allerdings leicht zwingen könne, Land und Leute abzutreten, so werde dasselbe
doch das verlorene Gebiet bald wieder zu erobern versuchen, und da die Staaten,
denen dies zuteil werden müßte, allein nicht die Macht besäßen, es zu behaupten,
werde England dann als Teilnehmer an den Verträgen verpflichtet sein, ihnen
mit Opfern beizustehen. Der Hauptgrund Castlereaghs für die von ihm em¬
pfohlene Politik war der Gedanke, man dürfe Rußland nicht die Ehre und die
Vorteile der Rolle eines alleinigen Beschützers Frankreichs überlassen, und da¬
neben machte er noch (gegen Graf Münster, vergl. Bernhardt a. a. O., S. 463)
geltend, daß letzteres in seinem gegenwärtigen ungeschmälerten Umfange in dem
europäischen Staatensystem, besonders der wachsenden Macht des Zaren gegen¬
über, ein sehr nützliches Glied sein könne, vorausgesetzt, daß England den am
Pariser Hofe gewonnenen Einfluß behaupte.

So erhielt Castlereagh die Zustimmung der Londoner Kollegen zu ihrer
antideutschen Politik und die Ermächtigung, sich den inzwischen etwas veränderten
Vorschlägen Rußlands anzuschließen, und nun entspann sich zwischen England
und dem letztern ein förmlicher Wettstreit um den überwiegenden Einfluß in
Frankreich, aus dem ein Wettstreit des Edelmutes gegen dasselbe wurde und
dessen Kosten niemand anders als Deutschland zu tragen hatte.

Hardenberg forderte als unerläßlich für die Sicherheit der Nachbarländer
die Abtretung der Festungen Conto, Valenciennes, Maubeuge, Philippeville und
Charlemont mit Glock samt ihrem Gebiet an die Niederlande, die dafür Luxem¬
burg den Preußen überlassen sollten. Letzteres sollte ferner Saarlouis und
Thionville erhalten, und für das südliche Deutschland waren Bieses, Landau,
Fort Louis und Hüningen bestimmt. Sodann sollten die Festungswerke von
Le Qucsnoy, Mezieres, Sedan, Montmedy und Longwy geschleift werden, des¬
gleichen die von Straßburg, und der preußische Diplomat fügte hinzu, daß
man diese Stadt wieder zu dem machen könne, was sie einst gewesen: zu einer
freien Stadt des deutschen Reiches. Die Vertreter Englands erklärten darauf
im Namen des Prinzregenten: „Seine königliche Hoheit schließt sich den Grund¬
sätzen an, die von seiten Sr. Majestät des Kaisers von Rußland vorgelegt
worden sind," und Castlereagh erwiederte auf Hardenbergs Gründe, die ge-


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[0504] Englische Politik und deutsche Interessen. Dinge aber stünden, sei man vollkommen befugt, zu verlangen, daß die Ruhe Europas durch Landabtretung gesichert werde. Zu gleicher Zeit aber mahnte der Lord zur Eile, da Gefahr im Verzüge sei. Wellington und Castlereagh gingen indes darauf nicht ein. Letzterer entwarf, von Talleyrand und Pozzo ti Borgo beeinflußt, in den Briefen an seinen Kollegen in England das schwärzeste Bild von der Politik der deutschen Höfe und riet zu sorgfältiger Überwachung derselben. Arm und habgierig, fänden es Preußen, Österreich und namentlich die kleinern deutschen Staaten bequem, ihre Armeen auf Frankreichs Kosten er¬ nähren und besolden zu können, und so stellten sie allerlei Forderungen, um einen baldigen Abschluß des Friedens zu vereiteln. Wenn man Frankreich jetzt allerdings leicht zwingen könne, Land und Leute abzutreten, so werde dasselbe doch das verlorene Gebiet bald wieder zu erobern versuchen, und da die Staaten, denen dies zuteil werden müßte, allein nicht die Macht besäßen, es zu behaupten, werde England dann als Teilnehmer an den Verträgen verpflichtet sein, ihnen mit Opfern beizustehen. Der Hauptgrund Castlereaghs für die von ihm em¬ pfohlene Politik war der Gedanke, man dürfe Rußland nicht die Ehre und die Vorteile der Rolle eines alleinigen Beschützers Frankreichs überlassen, und da¬ neben machte er noch (gegen Graf Münster, vergl. Bernhardt a. a. O., S. 463) geltend, daß letzteres in seinem gegenwärtigen ungeschmälerten Umfange in dem europäischen Staatensystem, besonders der wachsenden Macht des Zaren gegen¬ über, ein sehr nützliches Glied sein könne, vorausgesetzt, daß England den am Pariser Hofe gewonnenen Einfluß behaupte. So erhielt Castlereagh die Zustimmung der Londoner Kollegen zu ihrer antideutschen Politik und die Ermächtigung, sich den inzwischen etwas veränderten Vorschlägen Rußlands anzuschließen, und nun entspann sich zwischen England und dem letztern ein förmlicher Wettstreit um den überwiegenden Einfluß in Frankreich, aus dem ein Wettstreit des Edelmutes gegen dasselbe wurde und dessen Kosten niemand anders als Deutschland zu tragen hatte. Hardenberg forderte als unerläßlich für die Sicherheit der Nachbarländer die Abtretung der Festungen Conto, Valenciennes, Maubeuge, Philippeville und Charlemont mit Glock samt ihrem Gebiet an die Niederlande, die dafür Luxem¬ burg den Preußen überlassen sollten. Letzteres sollte ferner Saarlouis und Thionville erhalten, und für das südliche Deutschland waren Bieses, Landau, Fort Louis und Hüningen bestimmt. Sodann sollten die Festungswerke von Le Qucsnoy, Mezieres, Sedan, Montmedy und Longwy geschleift werden, des¬ gleichen die von Straßburg, und der preußische Diplomat fügte hinzu, daß man diese Stadt wieder zu dem machen könne, was sie einst gewesen: zu einer freien Stadt des deutschen Reiches. Die Vertreter Englands erklärten darauf im Namen des Prinzregenten: „Seine königliche Hoheit schließt sich den Grund¬ sätzen an, die von seiten Sr. Majestät des Kaisers von Rußland vorgelegt worden sind," und Castlereagh erwiederte auf Hardenbergs Gründe, die ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/504>, abgerufen am 27.06.2024.