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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Englische Politik und deutsche Interessen.

als die Verständigung über solche und ähnliche Punkte wurde es dem Minister¬
rate, der nach dem Eintreffen der Monarchen zur Vorbereitung des Friedens
gebildet worden war, darüber ins Reine zu kommen, wie der Wunsch der Deut¬
schen nach natürlichen Grenzen im Westen zu befriedigen sei. Die Verteidigung
Deutschlands mußte erleichtert, ein Angriff Frankreichs erschwert werden, die
Wiedereinsetzung der Bourbonen verbürgte den europäischen Frieden nicht ge¬
nügend. So erklärte die preußische Regierung, daß mau sich sowenig als möglich
darum zu kümmern habe, von wem Frankreich sich fortan regieren lassen wolle,
daß man vielmehr zur Sicherstellung Deutschlands und der Niederlande die
Abtretung derjenigen Plätze fordern müsse, welche die erste Reihe des dreifachen
Festungsgürtels bildeten, mit dem Vaubcin Frankreich von den Alpen bis zum
Meere umgeben hatte. Österreich war derselben Meinung, und Baiern und
Württemberg schlössen sich mit Eifer dem Verlangen der deutschen Großmächte
an. England aber stellte sich demselben immer entschiedener gegenüber. Zuerst
allerdings konnten Wellington und Castlereagh nicht recht deutlich mit der
Sprache herausgehen, da die öffentliche Meinung daheim fast einmütig gehörige
Ausnutzung des Sieges verlangte, bei welcher der niedergeworfene Feind für
die Zukunft unschädlich gemacht wurde. "Jeder Friede, so äußerte Lord Liver¬
pool mit Rücksicht hierauf, der Frankreich in der Lage ließe, in der es der
erste Pariser gelassen hat, oder auch in der, in welcher es sich vor der Revo¬
lution befand, würde in England die peinlichste Überraschung hervorrufen. Hier
herrscht der Gedanke vor, daß wir ganz in unserm Rechte wären, wenn wir
die Umstünde benutzen wollten, um dem französischen Reiche die wichtigsten
Eroberungen Ludwigs des Vierzehnten zu nehmen. Man sagt ganz richtig,
daß Frankreich die erfahrene Demütigung nie verzeihen und bei der ersten Ge¬
legenheit versuchen werde, seine kriegerische Glorie wiederherzustellen, und daß
es daher unsre Pflicht ist, den gegenwärtigen Augenblick wahrzunehmen, um
gefährlichen Folgen vorzubeugen, die aus der Größe unsers Erfolges selbst
hervorgehen könne." Castlereagh und Wellington waren aber weit davon entfernt,
im Geiste dieser Andeutungen zu handeln. Ihre erste Sorge war vielmehr,
den Prinzregenten und ihre Kollegen in London zu den Plänen zurückzuführen,
denen sie früher zugestimmt hatten. Das gelang aber sofort, als Kaiser Alexander
sich wieder anschickte, als großmütiger Sieger für die Interessen Frankreichs zu
wirken und zu stimmen und so sich dessen Gunst und Freundschaft zu erwerben.

Lord Liverpool schrieb, als die Verhandlungen in Paris vorrückten, wieder¬
holt an Castlereagh, er dürfe nicht außer Acht lassen, daß England mit Preußen
und Osterreich mehr Interessen gemeinsam habe als mit Rußland. Dem Kaiser
Alexander könne es zweckmäßig erscheinen, sich Frankreichs anzunehmen, Eng¬
land aber habe an die Bedürfnisse der Nachbarn des letztern zu denken. Hätte
Frankreich selbst sich auf den Ruf der Verbündeten gegen Napoleon erhoben,
so würde man jetzt kein Recht der Eroberung geltend machen können; wie die


Englische Politik und deutsche Interessen.

als die Verständigung über solche und ähnliche Punkte wurde es dem Minister¬
rate, der nach dem Eintreffen der Monarchen zur Vorbereitung des Friedens
gebildet worden war, darüber ins Reine zu kommen, wie der Wunsch der Deut¬
schen nach natürlichen Grenzen im Westen zu befriedigen sei. Die Verteidigung
Deutschlands mußte erleichtert, ein Angriff Frankreichs erschwert werden, die
Wiedereinsetzung der Bourbonen verbürgte den europäischen Frieden nicht ge¬
nügend. So erklärte die preußische Regierung, daß mau sich sowenig als möglich
darum zu kümmern habe, von wem Frankreich sich fortan regieren lassen wolle,
daß man vielmehr zur Sicherstellung Deutschlands und der Niederlande die
Abtretung derjenigen Plätze fordern müsse, welche die erste Reihe des dreifachen
Festungsgürtels bildeten, mit dem Vaubcin Frankreich von den Alpen bis zum
Meere umgeben hatte. Österreich war derselben Meinung, und Baiern und
Württemberg schlössen sich mit Eifer dem Verlangen der deutschen Großmächte
an. England aber stellte sich demselben immer entschiedener gegenüber. Zuerst
allerdings konnten Wellington und Castlereagh nicht recht deutlich mit der
Sprache herausgehen, da die öffentliche Meinung daheim fast einmütig gehörige
Ausnutzung des Sieges verlangte, bei welcher der niedergeworfene Feind für
die Zukunft unschädlich gemacht wurde. „Jeder Friede, so äußerte Lord Liver¬
pool mit Rücksicht hierauf, der Frankreich in der Lage ließe, in der es der
erste Pariser gelassen hat, oder auch in der, in welcher es sich vor der Revo¬
lution befand, würde in England die peinlichste Überraschung hervorrufen. Hier
herrscht der Gedanke vor, daß wir ganz in unserm Rechte wären, wenn wir
die Umstünde benutzen wollten, um dem französischen Reiche die wichtigsten
Eroberungen Ludwigs des Vierzehnten zu nehmen. Man sagt ganz richtig,
daß Frankreich die erfahrene Demütigung nie verzeihen und bei der ersten Ge¬
legenheit versuchen werde, seine kriegerische Glorie wiederherzustellen, und daß
es daher unsre Pflicht ist, den gegenwärtigen Augenblick wahrzunehmen, um
gefährlichen Folgen vorzubeugen, die aus der Größe unsers Erfolges selbst
hervorgehen könne." Castlereagh und Wellington waren aber weit davon entfernt,
im Geiste dieser Andeutungen zu handeln. Ihre erste Sorge war vielmehr,
den Prinzregenten und ihre Kollegen in London zu den Plänen zurückzuführen,
denen sie früher zugestimmt hatten. Das gelang aber sofort, als Kaiser Alexander
sich wieder anschickte, als großmütiger Sieger für die Interessen Frankreichs zu
wirken und zu stimmen und so sich dessen Gunst und Freundschaft zu erwerben.

Lord Liverpool schrieb, als die Verhandlungen in Paris vorrückten, wieder¬
holt an Castlereagh, er dürfe nicht außer Acht lassen, daß England mit Preußen
und Osterreich mehr Interessen gemeinsam habe als mit Rußland. Dem Kaiser
Alexander könne es zweckmäßig erscheinen, sich Frankreichs anzunehmen, Eng¬
land aber habe an die Bedürfnisse der Nachbarn des letztern zu denken. Hätte
Frankreich selbst sich auf den Ruf der Verbündeten gegen Napoleon erhoben,
so würde man jetzt kein Recht der Eroberung geltend machen können; wie die


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[0503] Englische Politik und deutsche Interessen. als die Verständigung über solche und ähnliche Punkte wurde es dem Minister¬ rate, der nach dem Eintreffen der Monarchen zur Vorbereitung des Friedens gebildet worden war, darüber ins Reine zu kommen, wie der Wunsch der Deut¬ schen nach natürlichen Grenzen im Westen zu befriedigen sei. Die Verteidigung Deutschlands mußte erleichtert, ein Angriff Frankreichs erschwert werden, die Wiedereinsetzung der Bourbonen verbürgte den europäischen Frieden nicht ge¬ nügend. So erklärte die preußische Regierung, daß mau sich sowenig als möglich darum zu kümmern habe, von wem Frankreich sich fortan regieren lassen wolle, daß man vielmehr zur Sicherstellung Deutschlands und der Niederlande die Abtretung derjenigen Plätze fordern müsse, welche die erste Reihe des dreifachen Festungsgürtels bildeten, mit dem Vaubcin Frankreich von den Alpen bis zum Meere umgeben hatte. Österreich war derselben Meinung, und Baiern und Württemberg schlössen sich mit Eifer dem Verlangen der deutschen Großmächte an. England aber stellte sich demselben immer entschiedener gegenüber. Zuerst allerdings konnten Wellington und Castlereagh nicht recht deutlich mit der Sprache herausgehen, da die öffentliche Meinung daheim fast einmütig gehörige Ausnutzung des Sieges verlangte, bei welcher der niedergeworfene Feind für die Zukunft unschädlich gemacht wurde. „Jeder Friede, so äußerte Lord Liver¬ pool mit Rücksicht hierauf, der Frankreich in der Lage ließe, in der es der erste Pariser gelassen hat, oder auch in der, in welcher es sich vor der Revo¬ lution befand, würde in England die peinlichste Überraschung hervorrufen. Hier herrscht der Gedanke vor, daß wir ganz in unserm Rechte wären, wenn wir die Umstünde benutzen wollten, um dem französischen Reiche die wichtigsten Eroberungen Ludwigs des Vierzehnten zu nehmen. Man sagt ganz richtig, daß Frankreich die erfahrene Demütigung nie verzeihen und bei der ersten Ge¬ legenheit versuchen werde, seine kriegerische Glorie wiederherzustellen, und daß es daher unsre Pflicht ist, den gegenwärtigen Augenblick wahrzunehmen, um gefährlichen Folgen vorzubeugen, die aus der Größe unsers Erfolges selbst hervorgehen könne." Castlereagh und Wellington waren aber weit davon entfernt, im Geiste dieser Andeutungen zu handeln. Ihre erste Sorge war vielmehr, den Prinzregenten und ihre Kollegen in London zu den Plänen zurückzuführen, denen sie früher zugestimmt hatten. Das gelang aber sofort, als Kaiser Alexander sich wieder anschickte, als großmütiger Sieger für die Interessen Frankreichs zu wirken und zu stimmen und so sich dessen Gunst und Freundschaft zu erwerben. Lord Liverpool schrieb, als die Verhandlungen in Paris vorrückten, wieder¬ holt an Castlereagh, er dürfe nicht außer Acht lassen, daß England mit Preußen und Osterreich mehr Interessen gemeinsam habe als mit Rußland. Dem Kaiser Alexander könne es zweckmäßig erscheinen, sich Frankreichs anzunehmen, Eng¬ land aber habe an die Bedürfnisse der Nachbarn des letztern zu denken. Hätte Frankreich selbst sich auf den Ruf der Verbündeten gegen Napoleon erhoben, so würde man jetzt kein Recht der Eroberung geltend machen können; wie die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/503>, abgerufen am 27.09.2024.