Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.Englische Politik und deutsche Interessen. forderten Festungen und Landstriche könnten erst dann von Nutzen sein, wenn Bei den letzten Beratungen machte Hardenberg noch einen Versuch, was England erntete von der Saat Wellingtons nicht den gehofften Gewinn. Durch den zweiten Pariser Frieden war König Ludwig verpflichtet, die Grenzboten III. 1834. 63
Englische Politik und deutsche Interessen. forderten Festungen und Landstriche könnten erst dann von Nutzen sein, wenn Bei den letzten Beratungen machte Hardenberg noch einen Versuch, was England erntete von der Saat Wellingtons nicht den gehofften Gewinn. Durch den zweiten Pariser Frieden war König Ludwig verpflichtet, die Grenzboten III. 1834. 63
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Englische Politik und deutsche Interessen.
forderten Festungen und Landstriche könnten erst dann von Nutzen sein, wenn
die auf sieben Jahr festgesetzte militärische Okkupation Frankreich durch die Ver¬
bündeten aufgehört habe; bis dahin bedürfe man ihrer nicht, und „wie könnte
man verlangen, daß die Verbündeten sich jetzt Ungelegenheiten unterzogen, die
erst in so ferner Zeit vielleicht Nutzen gewähren dürften."
Bei den letzten Beratungen machte Hardenberg noch einen Versuch, was
Wohl zu erlangen sei, wenn Preußen seine eignen Ansprüche noch weiter be¬
schränkte, aber am Oberrhein ein Gebiet forderte, über das Österreich verfügen
könne. Er wies nach, daß Frankreich im Jahre 1813 über seine alten Grenzen
von 1790 hinaus Landstriche mit mehr als einer halben Million Einwohnern
behalten habe, und verlangte ebensoviel, aber in andrer Verteilung als früher,
für die Niederlande einige Grenzgebiete, Philippeville und Glock, für Preußen
nur Saarlouis, dagegen am obern Rhein außer Landau fast das ganze untere
Elsaß bis an die Zorn, d. h. bis fast an die Thore Straßburgs. Daneben
bestand er auf einer Kriegsentschädigung von 1200 Millionen Franken. Eben
zu dieser Zeit aber ließ Osterreich, das überhaupt sich an den Verhandlungen
nur lau beteiligt hatte, seine bisherige Politik vollständig fallen, um sich den
Vorschlägen Rußlands anzuschließen, und Preußen stand jetzt allein. Über die
Artikel des Friedensvertrages, der nun der französischen Regierung vorgelegt
werden sollte, war man unter diesen Umständen bald einig. Sie enthielten im
wesentlichen die von Rußland entworfenen Bedingungen.
England erntete von der Saat Wellingtons nicht den gehofften Gewinn.
Talleyrand, der den Friedensentwurf der Verbündeten mit einer Denkschrift von
beispielloser Insolenz beantwortet hatte, war dadurch unmöglich geworden, und
es wurde ein neues französisches Ministerium unter dem Herzoge von Richelieu
gebildet, das aus sehr verschiedenen Elementen bestand, aber insofern doch eine
gewisse Einheit zeigte, als niemand darin aufgenommen worden war, der einem
besondern Einflüsse Großbritanniens dienen konnte — ein entschiedener Sieg
Kaiser Alexanders und ein empfindlicher Schlag für die englischen Diplomaten,
namentlich für Wellington, der sich auf diesem Wege um die Früchte so vieler
Liebesmühe gebracht sah. Er vermochte seinen Verdruß so wenig zu zähmen
und zu verbergen, daß er, von dem dies am wenigsten zu erwarten war, in
der ersten Zeit sich heftige Ausbrüche gegen die Bourbonen entschlüpfen ließ.
Durch den zweiten Pariser Frieden war König Ludwig verpflichtet, die
auswärtigen Gemeinden und Privatleute zu befriedigen, welche von den napoleo-
»löcher Tagen her Geld von der Krone Frankreich zu fordern hatten. Die
französische Negierung bat flehentlich um Abminderung der betreffenden Summe,
und Kaiser Alexander versprach dieselbe eigenmächtig. England durfte nicht
zurückbleiben, und durch Wellingtons Vermittlung kam endlich am 25. April 1818
ein Vertrag zustande, kraft dessen Frankreich für alle noch unerledigten Forderungen
240,8 Millionen Franken in Rentenbriefen binnen Jahresfrist zahlen sollte. Bei
Grenzboten III. 1834. 63
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