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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Englische Politik und deutsche Interessen.

Politik sah großmütig aus, war aber in Wirklichkeit recht wohlfeil; denn da
England schon im ersten Pariser Frieden ausreichend für seine wichtigsten
Interessen gesorgt und von den französischen Kolonien alles, was ihm gefiel
und ihm die Herrschaft zur See und den Welthandel sichern konnte, an sich
genommen hatte, so war mit der jetzigen Uneigennützigkeit keine Entsagung ver¬
bunden. Wie unangenehm den bourbouisch gesinnten Engländern die erwachenden
Ansprüche der Deutschen waren, sah man an der Übeln Laune, welche die Herren
dabei an den Tag legten; "sie gingen hin und wieder so weit, mit wegwerfenden
Unwillen von der Armut und Habgier Preußens -- Deutschlands zu sprechen,
als von einen Triebe, mit dem man anstündigerweise nichts gemein habe, zu
dem man nicht hinabsteigen könne. Leider unterließ man es deutscherseits,
als man zur Entscheidungsschlacht nach den Niederlanden zog, sich dieser Politik
der Tories gegenüber vertragsmäßig zu sichern, was freilich nicht leicht war,
da auch Kaiser Alexander sich Frankreich durch Schonung zu verpflichten gewillt
war. Zunächst aber gab der Sieg bei Waterloo dem Herzog von Wellington
die Leitung der Dinge in die Hand. Ganz anders als beim ersten Einzuge in
Paris führte daher Großbritannien jetzt die erste Stimme im Rate der Ver¬
bündeten. Rasch entschlossen that Wellington einen Schachzug, der die Ent¬
scheidung in seinem Sinne herbeiführen mußte. Während die Preußen eiligst
in Feindesland hineinstürmten, ohne sich viel um das zu kümmern, was in ihrem
Rücken vorging, nahm er die Gelegenheit wahr, König Ludwig mit seinem Hof
und seinen Ministern, langsam nachrückend von Gent nach Frankreich zurück¬
zuführen und wieder als Herrscher einzusetzen. Derselbe konnte jetzt nicht wohl
mehr beiseite gelassen werden, und man konnte nicht wohl mehr mit einer
andern Macht unterhandeln, die bessere Bedingungen bewilligt hätte. Die
Wendung der Dinge, durch welche Frankreich wieder mitbestimmend, wieder
Großmacht werden sollte, war eingeleitet und Englands Einfluß auf diese
Großmacht, wie es schien, gesichert. Der Griff war kühn, aber nichts weniger
als loyal: er wurde ohne Ermächtigung der Verbündeten, ja in der Absicht
gethan, alle Bedingungen, von denen sie ihre Zustimmung abhängig machen
konnten, zu umgehen und möglichst zu beseitigen. Aber Wellington war in
der Schule indischer Politik zum Staatsmanne gereift, und so waren solche
Rücksichten für ihn natürlich nicht vorhanden.

Als Ludwig der Achtzehnte seinen Einzug in Paris gehalten, hatte die
Politik der Tories ihr nächstes Ziel erreicht. Jetzt aber mußte Wellington die
Ankunft der verbündeten Monarchen herbeiwünschen; denn es fiel ihm schwer,
die Dinge in Paris seinen Absichten gemäß zu leiten. Blücher ließ sich nicht
abhalten, seine Truppen bei den Bürgern der Stadt einzuquartieren und wollte
der letztern eine Kriegssteuer von hundert Millionen Franken auferlegen. Schwerer



Bernhardt a. a. O. S. 239.
Englische Politik und deutsche Interessen.

Politik sah großmütig aus, war aber in Wirklichkeit recht wohlfeil; denn da
England schon im ersten Pariser Frieden ausreichend für seine wichtigsten
Interessen gesorgt und von den französischen Kolonien alles, was ihm gefiel
und ihm die Herrschaft zur See und den Welthandel sichern konnte, an sich
genommen hatte, so war mit der jetzigen Uneigennützigkeit keine Entsagung ver¬
bunden. Wie unangenehm den bourbouisch gesinnten Engländern die erwachenden
Ansprüche der Deutschen waren, sah man an der Übeln Laune, welche die Herren
dabei an den Tag legten; „sie gingen hin und wieder so weit, mit wegwerfenden
Unwillen von der Armut und Habgier Preußens — Deutschlands zu sprechen,
als von einen Triebe, mit dem man anstündigerweise nichts gemein habe, zu
dem man nicht hinabsteigen könne. Leider unterließ man es deutscherseits,
als man zur Entscheidungsschlacht nach den Niederlanden zog, sich dieser Politik
der Tories gegenüber vertragsmäßig zu sichern, was freilich nicht leicht war,
da auch Kaiser Alexander sich Frankreich durch Schonung zu verpflichten gewillt
war. Zunächst aber gab der Sieg bei Waterloo dem Herzog von Wellington
die Leitung der Dinge in die Hand. Ganz anders als beim ersten Einzuge in
Paris führte daher Großbritannien jetzt die erste Stimme im Rate der Ver¬
bündeten. Rasch entschlossen that Wellington einen Schachzug, der die Ent¬
scheidung in seinem Sinne herbeiführen mußte. Während die Preußen eiligst
in Feindesland hineinstürmten, ohne sich viel um das zu kümmern, was in ihrem
Rücken vorging, nahm er die Gelegenheit wahr, König Ludwig mit seinem Hof
und seinen Ministern, langsam nachrückend von Gent nach Frankreich zurück¬
zuführen und wieder als Herrscher einzusetzen. Derselbe konnte jetzt nicht wohl
mehr beiseite gelassen werden, und man konnte nicht wohl mehr mit einer
andern Macht unterhandeln, die bessere Bedingungen bewilligt hätte. Die
Wendung der Dinge, durch welche Frankreich wieder mitbestimmend, wieder
Großmacht werden sollte, war eingeleitet und Englands Einfluß auf diese
Großmacht, wie es schien, gesichert. Der Griff war kühn, aber nichts weniger
als loyal: er wurde ohne Ermächtigung der Verbündeten, ja in der Absicht
gethan, alle Bedingungen, von denen sie ihre Zustimmung abhängig machen
konnten, zu umgehen und möglichst zu beseitigen. Aber Wellington war in
der Schule indischer Politik zum Staatsmanne gereift, und so waren solche
Rücksichten für ihn natürlich nicht vorhanden.

Als Ludwig der Achtzehnte seinen Einzug in Paris gehalten, hatte die
Politik der Tories ihr nächstes Ziel erreicht. Jetzt aber mußte Wellington die
Ankunft der verbündeten Monarchen herbeiwünschen; denn es fiel ihm schwer,
die Dinge in Paris seinen Absichten gemäß zu leiten. Blücher ließ sich nicht
abhalten, seine Truppen bei den Bürgern der Stadt einzuquartieren und wollte
der letztern eine Kriegssteuer von hundert Millionen Franken auferlegen. Schwerer



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[0502] Englische Politik und deutsche Interessen. Politik sah großmütig aus, war aber in Wirklichkeit recht wohlfeil; denn da England schon im ersten Pariser Frieden ausreichend für seine wichtigsten Interessen gesorgt und von den französischen Kolonien alles, was ihm gefiel und ihm die Herrschaft zur See und den Welthandel sichern konnte, an sich genommen hatte, so war mit der jetzigen Uneigennützigkeit keine Entsagung ver¬ bunden. Wie unangenehm den bourbouisch gesinnten Engländern die erwachenden Ansprüche der Deutschen waren, sah man an der Übeln Laune, welche die Herren dabei an den Tag legten; „sie gingen hin und wieder so weit, mit wegwerfenden Unwillen von der Armut und Habgier Preußens — Deutschlands zu sprechen, als von einen Triebe, mit dem man anstündigerweise nichts gemein habe, zu dem man nicht hinabsteigen könne. Leider unterließ man es deutscherseits, als man zur Entscheidungsschlacht nach den Niederlanden zog, sich dieser Politik der Tories gegenüber vertragsmäßig zu sichern, was freilich nicht leicht war, da auch Kaiser Alexander sich Frankreich durch Schonung zu verpflichten gewillt war. Zunächst aber gab der Sieg bei Waterloo dem Herzog von Wellington die Leitung der Dinge in die Hand. Ganz anders als beim ersten Einzuge in Paris führte daher Großbritannien jetzt die erste Stimme im Rate der Ver¬ bündeten. Rasch entschlossen that Wellington einen Schachzug, der die Ent¬ scheidung in seinem Sinne herbeiführen mußte. Während die Preußen eiligst in Feindesland hineinstürmten, ohne sich viel um das zu kümmern, was in ihrem Rücken vorging, nahm er die Gelegenheit wahr, König Ludwig mit seinem Hof und seinen Ministern, langsam nachrückend von Gent nach Frankreich zurück¬ zuführen und wieder als Herrscher einzusetzen. Derselbe konnte jetzt nicht wohl mehr beiseite gelassen werden, und man konnte nicht wohl mehr mit einer andern Macht unterhandeln, die bessere Bedingungen bewilligt hätte. Die Wendung der Dinge, durch welche Frankreich wieder mitbestimmend, wieder Großmacht werden sollte, war eingeleitet und Englands Einfluß auf diese Großmacht, wie es schien, gesichert. Der Griff war kühn, aber nichts weniger als loyal: er wurde ohne Ermächtigung der Verbündeten, ja in der Absicht gethan, alle Bedingungen, von denen sie ihre Zustimmung abhängig machen konnten, zu umgehen und möglichst zu beseitigen. Aber Wellington war in der Schule indischer Politik zum Staatsmanne gereift, und so waren solche Rücksichten für ihn natürlich nicht vorhanden. Als Ludwig der Achtzehnte seinen Einzug in Paris gehalten, hatte die Politik der Tories ihr nächstes Ziel erreicht. Jetzt aber mußte Wellington die Ankunft der verbündeten Monarchen herbeiwünschen; denn es fiel ihm schwer, die Dinge in Paris seinen Absichten gemäß zu leiten. Blücher ließ sich nicht abhalten, seine Truppen bei den Bürgern der Stadt einzuquartieren und wollte der letztern eine Kriegssteuer von hundert Millionen Franken auferlegen. Schwerer Bernhardt a. a. O. S. 239.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/502>, abgerufen am 27.06.2024.