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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Der Pate des Todes.

Wand der hohlen Nuß ihrer Wissenschaft durchbrochen, wisse er, die Übel, die
er nicht gekannt, mit Namen zu nennen, dann werde er vom Tode selbst das große
Magisterium, die Panacee, den Trank des Lebens empfangen. Der Dichter fragt
sich da gleich im Beginne:


Ist wohl dem Freund (Tod), der ihn (Reinhard) begleitet
Und seinen Schritt durchs Leben leitet,
Bekannt der Weg zum Erdenglück?

und der Verlauf der weiteren Erzählung verneint diese Frage. Denn Reinhard
verläßt, um auf die hohe Schule zu ziehen, seine Jugendgeliebte Gertrud und
wirft sich mit Leidenschaft auf die Studien, die ihn schließlich nicht befriedigen:


Und schließlich weiß ich nicht, ob's wirklich Wahrheit
Gewesen, was sie tropfenweis geboten.
O goldne Zeit! da in den Marmorhallen,
Umgeben von den hohen Götterbildern,
Die Jünger wandelten mit ihren Meistern,
Von deren Lippen floß der Strom der Weisheit
Lebendig wie der Quell aus Bergestiefen.
Da glich die Wissenschaft der lieben Sonne,
Die jeden labt, der sehnend ihr das Antlitz
Entgegenkehrt; und heut? wie fernes Tägliche
Am Ausgang einer Katakombe dämmert
Ihr Schein, und endlos sind die Labyrinthe,
Durch die dem Ziel der Schiller keuchend zustrebt!

Da bricht die Pest aus und nun, wo der Tod eine große Ernte hält und alle
andre Weisheit ratlos steht, erhält Reinhard von seinem Paten die versprochene
Panacee, das Zaubertrank, das jede Krankheit heilt; jedoch knüpft der Tod eine
Bedingung an den Gebrauch dieses seines Geschenkes:


Vor einem aber warn' ich dich.
Wenn an des Siechen Lagerstatt,
Zu der mau dich gerufen hat,
In sichtbarer Gestalt ich stehe,
Dann ist verfallen mir das Leben
Des Kranken. -- Wehe, Reinhard, wehe!
Wem: du es wagst, zu widerstreben
Dem Tod, wenn mir dein Fürwitz nimmt
Das Opfer, so mir Gott bestimmt.

Er wird nun in der That ein Wunderarzt, doch da er in genauer Befolgung
des Gebotes seines Paten von jedem Krankenbette, an dem er den Tod stehen
sah, ohne zu helfen geht, beschwört er Neid und Verdächtigungen auf sich herauf;
ein Duell, bei dem sein Gegner fällt, zwingt ihn schließlich zur Flucht von der
Hochschule. Mit seinem Jugendfreunde Dieter, der ihn bisher begleitet hat und
den jovialen Kontrast zu dem schwermütig saustelnden Helden bildet, zieht er nach
Italien, wo er bei den Landsknechten als Arzt und Dieter als Soldat Auf-


Der Pate des Todes.

Wand der hohlen Nuß ihrer Wissenschaft durchbrochen, wisse er, die Übel, die
er nicht gekannt, mit Namen zu nennen, dann werde er vom Tode selbst das große
Magisterium, die Panacee, den Trank des Lebens empfangen. Der Dichter fragt
sich da gleich im Beginne:


Ist wohl dem Freund (Tod), der ihn (Reinhard) begleitet
Und seinen Schritt durchs Leben leitet,
Bekannt der Weg zum Erdenglück?

und der Verlauf der weiteren Erzählung verneint diese Frage. Denn Reinhard
verläßt, um auf die hohe Schule zu ziehen, seine Jugendgeliebte Gertrud und
wirft sich mit Leidenschaft auf die Studien, die ihn schließlich nicht befriedigen:


Und schließlich weiß ich nicht, ob's wirklich Wahrheit
Gewesen, was sie tropfenweis geboten.
O goldne Zeit! da in den Marmorhallen,
Umgeben von den hohen Götterbildern,
Die Jünger wandelten mit ihren Meistern,
Von deren Lippen floß der Strom der Weisheit
Lebendig wie der Quell aus Bergestiefen.
Da glich die Wissenschaft der lieben Sonne,
Die jeden labt, der sehnend ihr das Antlitz
Entgegenkehrt; und heut? wie fernes Tägliche
Am Ausgang einer Katakombe dämmert
Ihr Schein, und endlos sind die Labyrinthe,
Durch die dem Ziel der Schiller keuchend zustrebt!

Da bricht die Pest aus und nun, wo der Tod eine große Ernte hält und alle
andre Weisheit ratlos steht, erhält Reinhard von seinem Paten die versprochene
Panacee, das Zaubertrank, das jede Krankheit heilt; jedoch knüpft der Tod eine
Bedingung an den Gebrauch dieses seines Geschenkes:


Vor einem aber warn' ich dich.
Wenn an des Siechen Lagerstatt,
Zu der mau dich gerufen hat,
In sichtbarer Gestalt ich stehe,
Dann ist verfallen mir das Leben
Des Kranken. — Wehe, Reinhard, wehe!
Wem: du es wagst, zu widerstreben
Dem Tod, wenn mir dein Fürwitz nimmt
Das Opfer, so mir Gott bestimmt.

Er wird nun in der That ein Wunderarzt, doch da er in genauer Befolgung
des Gebotes seines Paten von jedem Krankenbette, an dem er den Tod stehen
sah, ohne zu helfen geht, beschwört er Neid und Verdächtigungen auf sich herauf;
ein Duell, bei dem sein Gegner fällt, zwingt ihn schließlich zur Flucht von der
Hochschule. Mit seinem Jugendfreunde Dieter, der ihn bisher begleitet hat und
den jovialen Kontrast zu dem schwermütig saustelnden Helden bildet, zieht er nach
Italien, wo er bei den Landsknechten als Arzt und Dieter als Soldat Auf-


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[0487] Der Pate des Todes. Wand der hohlen Nuß ihrer Wissenschaft durchbrochen, wisse er, die Übel, die er nicht gekannt, mit Namen zu nennen, dann werde er vom Tode selbst das große Magisterium, die Panacee, den Trank des Lebens empfangen. Der Dichter fragt sich da gleich im Beginne: Ist wohl dem Freund (Tod), der ihn (Reinhard) begleitet Und seinen Schritt durchs Leben leitet, Bekannt der Weg zum Erdenglück? und der Verlauf der weiteren Erzählung verneint diese Frage. Denn Reinhard verläßt, um auf die hohe Schule zu ziehen, seine Jugendgeliebte Gertrud und wirft sich mit Leidenschaft auf die Studien, die ihn schließlich nicht befriedigen: Und schließlich weiß ich nicht, ob's wirklich Wahrheit Gewesen, was sie tropfenweis geboten. O goldne Zeit! da in den Marmorhallen, Umgeben von den hohen Götterbildern, Die Jünger wandelten mit ihren Meistern, Von deren Lippen floß der Strom der Weisheit Lebendig wie der Quell aus Bergestiefen. Da glich die Wissenschaft der lieben Sonne, Die jeden labt, der sehnend ihr das Antlitz Entgegenkehrt; und heut? wie fernes Tägliche Am Ausgang einer Katakombe dämmert Ihr Schein, und endlos sind die Labyrinthe, Durch die dem Ziel der Schiller keuchend zustrebt! Da bricht die Pest aus und nun, wo der Tod eine große Ernte hält und alle andre Weisheit ratlos steht, erhält Reinhard von seinem Paten die versprochene Panacee, das Zaubertrank, das jede Krankheit heilt; jedoch knüpft der Tod eine Bedingung an den Gebrauch dieses seines Geschenkes: Vor einem aber warn' ich dich. Wenn an des Siechen Lagerstatt, Zu der mau dich gerufen hat, In sichtbarer Gestalt ich stehe, Dann ist verfallen mir das Leben Des Kranken. — Wehe, Reinhard, wehe! Wem: du es wagst, zu widerstreben Dem Tod, wenn mir dein Fürwitz nimmt Das Opfer, so mir Gott bestimmt. Er wird nun in der That ein Wunderarzt, doch da er in genauer Befolgung des Gebotes seines Paten von jedem Krankenbette, an dem er den Tod stehen sah, ohne zu helfen geht, beschwört er Neid und Verdächtigungen auf sich herauf; ein Duell, bei dem sein Gegner fällt, zwingt ihn schließlich zur Flucht von der Hochschule. Mit seinem Jugendfreunde Dieter, der ihn bisher begleitet hat und den jovialen Kontrast zu dem schwermütig saustelnden Helden bildet, zieht er nach Italien, wo er bei den Landsknechten als Arzt und Dieter als Soldat Auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/487>, abgerufen am 27.06.2024.