Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Pate des Todes.

nähme findet. Auch hier wird Reinhard schnell berühmt, und seine Kunst wendet
das unfreundliche Loos der Gefangenschaft, in die er geraten ist, zu seinem
Vorteile. Der Fürst des Landes liegt hoffnungslos darnieder, aber da der
Tod nicht an seinem Bette steht, kann ihn der herbeigerufene Reinhard retten.
Nun lebt er am Hofe des Fürsten, in höchster Freiheit, in hohen Ehren; dabei
gerät er in den Bannkreis der jugendlichen schönen Gemahlin desselben, zu der
er immer mehr in Liebe erglüht, so sehr, daß er sie in seiner Leidenschaft dem
Tode abtrotzt, dem sie durch einen giftigen Schlangenbiß, wie er wohl sah, ver¬
fallen war. Von Tag zu Tag verschiebt Reinhard seine Heimkehr zur Jugend¬
geliebten Gertrud, die sich unterdessen selbst auf den Weg macht, ihn in Italien
zu suchen. Aber der ehrliche deutsche Arzt wird von der Italienerin betrogen;
mit ihren Liebeskünsten will sie sich ihn bloß zum Werkzeuge ihres Planes
machen, den greisen fürstlichen Gatten aus dem Wege zu räumen, um dessen
jungen Neffen, den sie liebt, auf den Thron an ihre Seite zu erheben. Bei
dieser Entdeckung fällt Reinhard in eine schwere Ohnmacht, in der ihn der Tod
in eine weite, dunkle Höhle führt, wo viele Lämpchen brennen; da füllt der
Tod ein dem Erlöschen nahes mit dem Öl eines andern: für das ihm entrissene
Opfer der Fürstin holt er sich ein zweites, dem Patenkinde teures Leben. Es
ist Gertrud, die eben auf ihrer Wanderung über die schneebedeckten Alpen unter¬
geht. Zu spät eilt Reinhard heimwärts; denn als er Gertrud in einem Kloster
findet, steht schon der Tod an ihrem Lager, und ein zweitesmal läßt er sich
sein Opfer nicht entreißen. Aus Mitleid haucht er Reinhard an, der an Ger¬
truds Seite nun stirbt, und spricht zuletzt den nicht eben tragischen Gedanken
der Dichtung aus:


Nicht ins Gericht
Will ich dich rufen; deine Schuld ist mein.
Wenn Leben mit dem Tod ein Bündnis flicht,
So geht's zu Grund. Zu spät nun seh ich's ein.
Du warst mir lieb, das war zu deinem Leid,
Denn lieben darf der Feind des Lebens nicht,
Und einsam wall' ich wieder durch die Zeit.

Tragisch ist dieser Gedanke deswegen nicht, weil er banal und unwirklich ist.

Bei allen Schönheiten im einzelnen, welche die Dichtung namentlich in der
Schilderung des Studenten- und Landsknechtlebens und in den eingelegten
Liedern und Schwanken aufzuweisen hat, bei allem Reiz der äußern Form, die
Baumbach auch hier wieder mit Meisterschaft beherrscht, fehlt der Dichtung doch
eins: die wahre Einheit. Sie ist zu realistisch für das Märchen und zu märchen¬
haft unmotivirt für das rechte Epos. Wie, wenn jene Fürstin, so zufällig als
sie Reinhard mißbraucht und betrügt, ebenso zufällig es ehrlich mit ihm meinte?
Dann hätte er wohl den Tod besiegt? -- Baumbach muß sich über seine
künstlerischen Pflichten noch klarer werden, wenn er durch mehr als Einzelheiten
befriedigen will. Im "Zlatorog" ist ihm, weil er durchweg den Ton des Ro¬
mantischen festhielt, sein bester Wurf gelungen. Je nüchterner Baumbach wird,
umso tiefer müßte er werden. Tiefe scheint über nicht eben seine Sache zu sein.




Der Pate des Todes.

nähme findet. Auch hier wird Reinhard schnell berühmt, und seine Kunst wendet
das unfreundliche Loos der Gefangenschaft, in die er geraten ist, zu seinem
Vorteile. Der Fürst des Landes liegt hoffnungslos darnieder, aber da der
Tod nicht an seinem Bette steht, kann ihn der herbeigerufene Reinhard retten.
Nun lebt er am Hofe des Fürsten, in höchster Freiheit, in hohen Ehren; dabei
gerät er in den Bannkreis der jugendlichen schönen Gemahlin desselben, zu der
er immer mehr in Liebe erglüht, so sehr, daß er sie in seiner Leidenschaft dem
Tode abtrotzt, dem sie durch einen giftigen Schlangenbiß, wie er wohl sah, ver¬
fallen war. Von Tag zu Tag verschiebt Reinhard seine Heimkehr zur Jugend¬
geliebten Gertrud, die sich unterdessen selbst auf den Weg macht, ihn in Italien
zu suchen. Aber der ehrliche deutsche Arzt wird von der Italienerin betrogen;
mit ihren Liebeskünsten will sie sich ihn bloß zum Werkzeuge ihres Planes
machen, den greisen fürstlichen Gatten aus dem Wege zu räumen, um dessen
jungen Neffen, den sie liebt, auf den Thron an ihre Seite zu erheben. Bei
dieser Entdeckung fällt Reinhard in eine schwere Ohnmacht, in der ihn der Tod
in eine weite, dunkle Höhle führt, wo viele Lämpchen brennen; da füllt der
Tod ein dem Erlöschen nahes mit dem Öl eines andern: für das ihm entrissene
Opfer der Fürstin holt er sich ein zweites, dem Patenkinde teures Leben. Es
ist Gertrud, die eben auf ihrer Wanderung über die schneebedeckten Alpen unter¬
geht. Zu spät eilt Reinhard heimwärts; denn als er Gertrud in einem Kloster
findet, steht schon der Tod an ihrem Lager, und ein zweitesmal läßt er sich
sein Opfer nicht entreißen. Aus Mitleid haucht er Reinhard an, der an Ger¬
truds Seite nun stirbt, und spricht zuletzt den nicht eben tragischen Gedanken
der Dichtung aus:


Nicht ins Gericht
Will ich dich rufen; deine Schuld ist mein.
Wenn Leben mit dem Tod ein Bündnis flicht,
So geht's zu Grund. Zu spät nun seh ich's ein.
Du warst mir lieb, das war zu deinem Leid,
Denn lieben darf der Feind des Lebens nicht,
Und einsam wall' ich wieder durch die Zeit.

Tragisch ist dieser Gedanke deswegen nicht, weil er banal und unwirklich ist.

Bei allen Schönheiten im einzelnen, welche die Dichtung namentlich in der
Schilderung des Studenten- und Landsknechtlebens und in den eingelegten
Liedern und Schwanken aufzuweisen hat, bei allem Reiz der äußern Form, die
Baumbach auch hier wieder mit Meisterschaft beherrscht, fehlt der Dichtung doch
eins: die wahre Einheit. Sie ist zu realistisch für das Märchen und zu märchen¬
haft unmotivirt für das rechte Epos. Wie, wenn jene Fürstin, so zufällig als
sie Reinhard mißbraucht und betrügt, ebenso zufällig es ehrlich mit ihm meinte?
Dann hätte er wohl den Tod besiegt? — Baumbach muß sich über seine
künstlerischen Pflichten noch klarer werden, wenn er durch mehr als Einzelheiten
befriedigen will. Im „Zlatorog" ist ihm, weil er durchweg den Ton des Ro¬
mantischen festhielt, sein bester Wurf gelungen. Je nüchterner Baumbach wird,
umso tiefer müßte er werden. Tiefe scheint über nicht eben seine Sache zu sein.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0488" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156759"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Pate des Todes.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2161" prev="#ID_2160"> nähme findet. Auch hier wird Reinhard schnell berühmt, und seine Kunst wendet<lb/>
das unfreundliche Loos der Gefangenschaft, in die er geraten ist, zu seinem<lb/>
Vorteile. Der Fürst des Landes liegt hoffnungslos darnieder, aber da der<lb/>
Tod nicht an seinem Bette steht, kann ihn der herbeigerufene Reinhard retten.<lb/>
Nun lebt er am Hofe des Fürsten, in höchster Freiheit, in hohen Ehren; dabei<lb/>
gerät er in den Bannkreis der jugendlichen schönen Gemahlin desselben, zu der<lb/>
er immer mehr in Liebe erglüht, so sehr, daß er sie in seiner Leidenschaft dem<lb/>
Tode abtrotzt, dem sie durch einen giftigen Schlangenbiß, wie er wohl sah, ver¬<lb/>
fallen war. Von Tag zu Tag verschiebt Reinhard seine Heimkehr zur Jugend¬<lb/>
geliebten Gertrud, die sich unterdessen selbst auf den Weg macht, ihn in Italien<lb/>
zu suchen. Aber der ehrliche deutsche Arzt wird von der Italienerin betrogen;<lb/>
mit ihren Liebeskünsten will sie sich ihn bloß zum Werkzeuge ihres Planes<lb/>
machen, den greisen fürstlichen Gatten aus dem Wege zu räumen, um dessen<lb/>
jungen Neffen, den sie liebt, auf den Thron an ihre Seite zu erheben. Bei<lb/>
dieser Entdeckung fällt Reinhard in eine schwere Ohnmacht, in der ihn der Tod<lb/>
in eine weite, dunkle Höhle führt, wo viele Lämpchen brennen; da füllt der<lb/>
Tod ein dem Erlöschen nahes mit dem Öl eines andern: für das ihm entrissene<lb/>
Opfer der Fürstin holt er sich ein zweites, dem Patenkinde teures Leben. Es<lb/>
ist Gertrud, die eben auf ihrer Wanderung über die schneebedeckten Alpen unter¬<lb/>
geht. Zu spät eilt Reinhard heimwärts; denn als er Gertrud in einem Kloster<lb/>
findet, steht schon der Tod an ihrem Lager, und ein zweitesmal läßt er sich<lb/>
sein Opfer nicht entreißen. Aus Mitleid haucht er Reinhard an, der an Ger¬<lb/>
truds Seite nun stirbt, und spricht zuletzt den nicht eben tragischen Gedanken<lb/>
der Dichtung aus:</p><lb/>
          <quote> Nicht ins Gericht<lb/>
Will ich dich rufen; deine Schuld ist mein.<lb/>
Wenn Leben mit dem Tod ein Bündnis flicht,<lb/>
So geht's zu Grund. Zu spät nun seh ich's ein.<lb/>
Du warst mir lieb, das war zu deinem Leid,<lb/>
Denn lieben darf der Feind des Lebens nicht,<lb/>
Und einsam wall' ich wieder durch die Zeit.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_2162"> Tragisch ist dieser Gedanke deswegen nicht, weil er banal und unwirklich ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2163"> Bei allen Schönheiten im einzelnen, welche die Dichtung namentlich in der<lb/>
Schilderung des Studenten- und Landsknechtlebens und in den eingelegten<lb/>
Liedern und Schwanken aufzuweisen hat, bei allem Reiz der äußern Form, die<lb/>
Baumbach auch hier wieder mit Meisterschaft beherrscht, fehlt der Dichtung doch<lb/>
eins: die wahre Einheit. Sie ist zu realistisch für das Märchen und zu märchen¬<lb/>
haft unmotivirt für das rechte Epos. Wie, wenn jene Fürstin, so zufällig als<lb/>
sie Reinhard mißbraucht und betrügt, ebenso zufällig es ehrlich mit ihm meinte?<lb/>
Dann hätte er wohl den Tod besiegt? &#x2014; Baumbach muß sich über seine<lb/>
künstlerischen Pflichten noch klarer werden, wenn er durch mehr als Einzelheiten<lb/>
befriedigen will. Im &#x201E;Zlatorog" ist ihm, weil er durchweg den Ton des Ro¬<lb/>
mantischen festhielt, sein bester Wurf gelungen. Je nüchterner Baumbach wird,<lb/>
umso tiefer müßte er werden. Tiefe scheint über nicht eben seine Sache zu sein.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0488] Der Pate des Todes. nähme findet. Auch hier wird Reinhard schnell berühmt, und seine Kunst wendet das unfreundliche Loos der Gefangenschaft, in die er geraten ist, zu seinem Vorteile. Der Fürst des Landes liegt hoffnungslos darnieder, aber da der Tod nicht an seinem Bette steht, kann ihn der herbeigerufene Reinhard retten. Nun lebt er am Hofe des Fürsten, in höchster Freiheit, in hohen Ehren; dabei gerät er in den Bannkreis der jugendlichen schönen Gemahlin desselben, zu der er immer mehr in Liebe erglüht, so sehr, daß er sie in seiner Leidenschaft dem Tode abtrotzt, dem sie durch einen giftigen Schlangenbiß, wie er wohl sah, ver¬ fallen war. Von Tag zu Tag verschiebt Reinhard seine Heimkehr zur Jugend¬ geliebten Gertrud, die sich unterdessen selbst auf den Weg macht, ihn in Italien zu suchen. Aber der ehrliche deutsche Arzt wird von der Italienerin betrogen; mit ihren Liebeskünsten will sie sich ihn bloß zum Werkzeuge ihres Planes machen, den greisen fürstlichen Gatten aus dem Wege zu räumen, um dessen jungen Neffen, den sie liebt, auf den Thron an ihre Seite zu erheben. Bei dieser Entdeckung fällt Reinhard in eine schwere Ohnmacht, in der ihn der Tod in eine weite, dunkle Höhle führt, wo viele Lämpchen brennen; da füllt der Tod ein dem Erlöschen nahes mit dem Öl eines andern: für das ihm entrissene Opfer der Fürstin holt er sich ein zweites, dem Patenkinde teures Leben. Es ist Gertrud, die eben auf ihrer Wanderung über die schneebedeckten Alpen unter¬ geht. Zu spät eilt Reinhard heimwärts; denn als er Gertrud in einem Kloster findet, steht schon der Tod an ihrem Lager, und ein zweitesmal läßt er sich sein Opfer nicht entreißen. Aus Mitleid haucht er Reinhard an, der an Ger¬ truds Seite nun stirbt, und spricht zuletzt den nicht eben tragischen Gedanken der Dichtung aus: Nicht ins Gericht Will ich dich rufen; deine Schuld ist mein. Wenn Leben mit dem Tod ein Bündnis flicht, So geht's zu Grund. Zu spät nun seh ich's ein. Du warst mir lieb, das war zu deinem Leid, Denn lieben darf der Feind des Lebens nicht, Und einsam wall' ich wieder durch die Zeit. Tragisch ist dieser Gedanke deswegen nicht, weil er banal und unwirklich ist. Bei allen Schönheiten im einzelnen, welche die Dichtung namentlich in der Schilderung des Studenten- und Landsknechtlebens und in den eingelegten Liedern und Schwanken aufzuweisen hat, bei allem Reiz der äußern Form, die Baumbach auch hier wieder mit Meisterschaft beherrscht, fehlt der Dichtung doch eins: die wahre Einheit. Sie ist zu realistisch für das Märchen und zu märchen¬ haft unmotivirt für das rechte Epos. Wie, wenn jene Fürstin, so zufällig als sie Reinhard mißbraucht und betrügt, ebenso zufällig es ehrlich mit ihm meinte? Dann hätte er wohl den Tod besiegt? — Baumbach muß sich über seine künstlerischen Pflichten noch klarer werden, wenn er durch mehr als Einzelheiten befriedigen will. Im „Zlatorog" ist ihm, weil er durchweg den Ton des Ro¬ mantischen festhielt, sein bester Wurf gelungen. Je nüchterner Baumbach wird, umso tiefer müßte er werden. Tiefe scheint über nicht eben seine Sache zu sein.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/488
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/488>, abgerufen am 27.09.2024.