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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Der Pate des Todes.

Gottfried Keller erinnert, nur als gewandten Erzähler und erfinderischen Fa-
bulisten erscheinen lassen, während jener eine große und sittliche Weltanschauung
offenbart -- durch eben diese seine Eigenschaften ist Baumbachs Erfolg auch
in seiner spätern Richtung erklärbar. Das Streben nach Realismus, eine
nüchterne Pedanterie in der Motivirung der Handlungen und Bildung von
Charakteren, welches die jetzigen Dichter kennzeichnet, macht die Leser umso
empfänglicher für das schlechthin Erdichtete, welches als spannende Fabel ohne
weitere Ansprüche befriedigt, und es sollte uus garnicht Wundern, wenn über¬
haupt eine Reaktion in der Richtung einer Befreiung der Phantasie von all
den engen Fesseln moderner Epik einträte.

Alle diese Züge seiner dichterischen Eigenart hat auch Baumbach in seiner
neuesten Dichtung beibehalte".*) Er ist hier, sowenig wie früher, ein eigentlicher
Charakteristiker, ein Menschenbildner; auch hier wächst weder die Handlung aus
den Charakteren heraus, noch bekundet sie eine strengere Komposition; auch hier
flicht sich das Wunderbare mit dem Menschlichen märchenhaft zusammen, nur
daß Baumbach merkwürdigerweise auf einmal nüchtern wird und trotz allem
Märchenhaften der ganzen Geschichte das Wunderbarste nur durch Vermittlung
eines Traumgesichts darzustellen wagt; anch hier endlich werden wir, bei allem
Ernste des Ganzen, der dem heitern Dichter offenbar schwer genug fällt, mit
Behagen in die lebensfrohe Welt der Studenten und Landsknechte versetzt;
lyrische Partien wechseln mit rein epischen, wie man es aus "Zlatorog" und
"Frau Holde" kennt.

Baumbach hat sich hier das bekannte deutsche Märchen vom Tode, der in
Ermangelung eines andern Pate eines Knaben wird, in seiner Weise zurecht¬
gelegt. Der Knabe wird in der öden Einsamkeit des Waldes geboren, bei der
Mutter steht der Tod, aber der Knabe ist ihm nicht verfallen, drum eilt der
Tod selbst in eine Menscheinvvhnung, dem Kinde Hilfe zu holen. Es ist der
Totengräber, den er bringt und der den Knaben nun tauft. Da verspürt anch
der Tod


den Gnadenhauch
Des Gottes, der zugegen war.
Es ward ein Tropfen mir zuteil
Vom Strom der Liebe, der da rinnt
In Ewigkeit zu euerm Heil;
Du wurdest, Sohn, mein Patenkind.

Als Angebinde giebt der Tod diesem seinem Paten Reinhard die Mittel,
ein großer Arzt zu werden; doch zuvor muß Reinhard noch hinausziehen, um
sich vou Meistern der Wissenschaft belehren zu lasten, "die sich berühmt, dem
Tod zu wehren rin Pillen und mit Krüntersast." Und habe er einmal die



") Der Pate des Todes. Dichtung von Rudolf Baumbach. Leipzig, A. G,
Liebeskind, 1884.
Der Pate des Todes.

Gottfried Keller erinnert, nur als gewandten Erzähler und erfinderischen Fa-
bulisten erscheinen lassen, während jener eine große und sittliche Weltanschauung
offenbart — durch eben diese seine Eigenschaften ist Baumbachs Erfolg auch
in seiner spätern Richtung erklärbar. Das Streben nach Realismus, eine
nüchterne Pedanterie in der Motivirung der Handlungen und Bildung von
Charakteren, welches die jetzigen Dichter kennzeichnet, macht die Leser umso
empfänglicher für das schlechthin Erdichtete, welches als spannende Fabel ohne
weitere Ansprüche befriedigt, und es sollte uus garnicht Wundern, wenn über¬
haupt eine Reaktion in der Richtung einer Befreiung der Phantasie von all
den engen Fesseln moderner Epik einträte.

Alle diese Züge seiner dichterischen Eigenart hat auch Baumbach in seiner
neuesten Dichtung beibehalte».*) Er ist hier, sowenig wie früher, ein eigentlicher
Charakteristiker, ein Menschenbildner; auch hier wächst weder die Handlung aus
den Charakteren heraus, noch bekundet sie eine strengere Komposition; auch hier
flicht sich das Wunderbare mit dem Menschlichen märchenhaft zusammen, nur
daß Baumbach merkwürdigerweise auf einmal nüchtern wird und trotz allem
Märchenhaften der ganzen Geschichte das Wunderbarste nur durch Vermittlung
eines Traumgesichts darzustellen wagt; anch hier endlich werden wir, bei allem
Ernste des Ganzen, der dem heitern Dichter offenbar schwer genug fällt, mit
Behagen in die lebensfrohe Welt der Studenten und Landsknechte versetzt;
lyrische Partien wechseln mit rein epischen, wie man es aus „Zlatorog" und
„Frau Holde" kennt.

Baumbach hat sich hier das bekannte deutsche Märchen vom Tode, der in
Ermangelung eines andern Pate eines Knaben wird, in seiner Weise zurecht¬
gelegt. Der Knabe wird in der öden Einsamkeit des Waldes geboren, bei der
Mutter steht der Tod, aber der Knabe ist ihm nicht verfallen, drum eilt der
Tod selbst in eine Menscheinvvhnung, dem Kinde Hilfe zu holen. Es ist der
Totengräber, den er bringt und der den Knaben nun tauft. Da verspürt anch
der Tod


den Gnadenhauch
Des Gottes, der zugegen war.
Es ward ein Tropfen mir zuteil
Vom Strom der Liebe, der da rinnt
In Ewigkeit zu euerm Heil;
Du wurdest, Sohn, mein Patenkind.

Als Angebinde giebt der Tod diesem seinem Paten Reinhard die Mittel,
ein großer Arzt zu werden; doch zuvor muß Reinhard noch hinausziehen, um
sich vou Meistern der Wissenschaft belehren zu lasten, „die sich berühmt, dem
Tod zu wehren rin Pillen und mit Krüntersast." Und habe er einmal die



") Der Pate des Todes. Dichtung von Rudolf Baumbach. Leipzig, A. G,
Liebeskind, 1884.
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[0486] Der Pate des Todes. Gottfried Keller erinnert, nur als gewandten Erzähler und erfinderischen Fa- bulisten erscheinen lassen, während jener eine große und sittliche Weltanschauung offenbart — durch eben diese seine Eigenschaften ist Baumbachs Erfolg auch in seiner spätern Richtung erklärbar. Das Streben nach Realismus, eine nüchterne Pedanterie in der Motivirung der Handlungen und Bildung von Charakteren, welches die jetzigen Dichter kennzeichnet, macht die Leser umso empfänglicher für das schlechthin Erdichtete, welches als spannende Fabel ohne weitere Ansprüche befriedigt, und es sollte uus garnicht Wundern, wenn über¬ haupt eine Reaktion in der Richtung einer Befreiung der Phantasie von all den engen Fesseln moderner Epik einträte. Alle diese Züge seiner dichterischen Eigenart hat auch Baumbach in seiner neuesten Dichtung beibehalte».*) Er ist hier, sowenig wie früher, ein eigentlicher Charakteristiker, ein Menschenbildner; auch hier wächst weder die Handlung aus den Charakteren heraus, noch bekundet sie eine strengere Komposition; auch hier flicht sich das Wunderbare mit dem Menschlichen märchenhaft zusammen, nur daß Baumbach merkwürdigerweise auf einmal nüchtern wird und trotz allem Märchenhaften der ganzen Geschichte das Wunderbarste nur durch Vermittlung eines Traumgesichts darzustellen wagt; anch hier endlich werden wir, bei allem Ernste des Ganzen, der dem heitern Dichter offenbar schwer genug fällt, mit Behagen in die lebensfrohe Welt der Studenten und Landsknechte versetzt; lyrische Partien wechseln mit rein epischen, wie man es aus „Zlatorog" und „Frau Holde" kennt. Baumbach hat sich hier das bekannte deutsche Märchen vom Tode, der in Ermangelung eines andern Pate eines Knaben wird, in seiner Weise zurecht¬ gelegt. Der Knabe wird in der öden Einsamkeit des Waldes geboren, bei der Mutter steht der Tod, aber der Knabe ist ihm nicht verfallen, drum eilt der Tod selbst in eine Menscheinvvhnung, dem Kinde Hilfe zu holen. Es ist der Totengräber, den er bringt und der den Knaben nun tauft. Da verspürt anch der Tod den Gnadenhauch Des Gottes, der zugegen war. Es ward ein Tropfen mir zuteil Vom Strom der Liebe, der da rinnt In Ewigkeit zu euerm Heil; Du wurdest, Sohn, mein Patenkind. Als Angebinde giebt der Tod diesem seinem Paten Reinhard die Mittel, ein großer Arzt zu werden; doch zuvor muß Reinhard noch hinausziehen, um sich vou Meistern der Wissenschaft belehren zu lasten, „die sich berühmt, dem Tod zu wehren rin Pillen und mit Krüntersast." Und habe er einmal die ") Der Pate des Todes. Dichtung von Rudolf Baumbach. Leipzig, A. G, Liebeskind, 1884.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/486>, abgerufen am 27.06.2024.