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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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ver Pate des Todes.

selbst wie so ein fahrender Geselle, ein vagirender Scholar, wie sie in unsrer
Volkslyrik so häufig auftreten, und an sie knüpfte er an. Man hat wohl nicht
ganz Recht, wenn man seinen Zusammenhang mit Scheffel so sehr betont; das
echt akademische Leben ist ihm doch fremder. Viel wahrer dürfte es sein, auf
Eichendorffs freilich ungleich zartere, duftigere und gemütsinuigere Wander¬
poesie hinzuweisen, an die sich bei Baumbach zahlreiche Anklänge finden. Wie
Eichendorff hat auch er, echt lyrisch übrigens, sein' Sach' auf nichts gestellt,
wenn er z. B. einmal sagt (Mein Frühjahr, S. 61):


Wohl dem, und wär' er ein Bettelmann,
Der träumen, singen und sagen kann!
Der tauscht mit keinem König.

Das Naturgefühl und die Wanderlust bei Baumbach sind jedenfalls aus Eichen¬
dorffs Schule. Mit dem Bilde des fahrenden Scholaren und Spielmannes
stellte sich aber die ganze Romantik der Landstraße und Schenke bei ihm ein;
sie führte ihn in das Leben des Volkes, in die Welt der in allem Besitze, auch
dem höherer geistiger Güter, bescheidenen Leute ein, welche sich jedoch durch
Schlichtheit und Wahrheit der Empfindung und auch, häufiger wohl, durch
einen unverwüstlichen Humor für das ihnen versagte Gut entschädigt fühlen
und auf einem mindestens neckischen Fuße mit allen Mächtigen und Besitzenden
stehen. Hat Baumbach früher Alpensagen gesammelt und poetisch im "Zlatorog"
verwertet, so bot sich ihm in seinem neuen poetischen. Stande die weitaus er¬
giebigere, ja unerschöpfliche Literatur der Volkspoesie, des Märchens überhaupt;
als "Spielmann" griff er zurück in die Vergangenheit und bemächtigte sich in
seinen "Abenteuern und Schwanken" einer besonders dankbaren Spezies von
Geschichten, die er alten Meistern mit neuer Anmut und Kunst nacherzählte.
Aber eigentlich neuschöpferisch erwies er sich auch da nicht. Wie er mit vielem
Behagen in den ganzen Gemüts- und Jdeenkreis des fahrenden und festsitzenden
Volkes untertauchte, den Ton seines Liedes mit großem Geschick nachahmte, zu
Hans Sachs in die Schule ging und bei ihm sich u. a. die kostbare Gestalt
des heiligen Petrus für viele seiner Schwänke holte, wie er von seinem Kern,
dem sorglosen Lebensgenuß, ausgehend nach und nach alle verwandten Gestalten,
vom Studenten bis zum Landsknecht, in feinen Stoffkreis zog, so versuchte er
es auch nicht, sich über diese Stände zu erheben, ungläubiger zu sein als das
Volk und etwa die überlieferten unterhaltenden Geschichten mit einem neuen
sittlichen Gehalt zu erfüllen. Als Dichter glaubt Baumbach so gut wie das
Volk an die Jungfrau Maria und an Frau Holde, nur in den "Sommer¬
märchen" versuchte er es, das Wunderbare dem modern skeptischen Leser
wenigstens psychologisch als nicht ganz unmöglich zu motiviren, was ihm aber
nicht immer zu seinem Vorteile gelang. Und durch diese Eigenschaften, die ihn
zwar, wenn man sich an ein Meisterstück wie die "Sieben Legenden" von


ver Pate des Todes.

selbst wie so ein fahrender Geselle, ein vagirender Scholar, wie sie in unsrer
Volkslyrik so häufig auftreten, und an sie knüpfte er an. Man hat wohl nicht
ganz Recht, wenn man seinen Zusammenhang mit Scheffel so sehr betont; das
echt akademische Leben ist ihm doch fremder. Viel wahrer dürfte es sein, auf
Eichendorffs freilich ungleich zartere, duftigere und gemütsinuigere Wander¬
poesie hinzuweisen, an die sich bei Baumbach zahlreiche Anklänge finden. Wie
Eichendorff hat auch er, echt lyrisch übrigens, sein' Sach' auf nichts gestellt,
wenn er z. B. einmal sagt (Mein Frühjahr, S. 61):


Wohl dem, und wär' er ein Bettelmann,
Der träumen, singen und sagen kann!
Der tauscht mit keinem König.

Das Naturgefühl und die Wanderlust bei Baumbach sind jedenfalls aus Eichen¬
dorffs Schule. Mit dem Bilde des fahrenden Scholaren und Spielmannes
stellte sich aber die ganze Romantik der Landstraße und Schenke bei ihm ein;
sie führte ihn in das Leben des Volkes, in die Welt der in allem Besitze, auch
dem höherer geistiger Güter, bescheidenen Leute ein, welche sich jedoch durch
Schlichtheit und Wahrheit der Empfindung und auch, häufiger wohl, durch
einen unverwüstlichen Humor für das ihnen versagte Gut entschädigt fühlen
und auf einem mindestens neckischen Fuße mit allen Mächtigen und Besitzenden
stehen. Hat Baumbach früher Alpensagen gesammelt und poetisch im „Zlatorog"
verwertet, so bot sich ihm in seinem neuen poetischen. Stande die weitaus er¬
giebigere, ja unerschöpfliche Literatur der Volkspoesie, des Märchens überhaupt;
als „Spielmann" griff er zurück in die Vergangenheit und bemächtigte sich in
seinen „Abenteuern und Schwanken" einer besonders dankbaren Spezies von
Geschichten, die er alten Meistern mit neuer Anmut und Kunst nacherzählte.
Aber eigentlich neuschöpferisch erwies er sich auch da nicht. Wie er mit vielem
Behagen in den ganzen Gemüts- und Jdeenkreis des fahrenden und festsitzenden
Volkes untertauchte, den Ton seines Liedes mit großem Geschick nachahmte, zu
Hans Sachs in die Schule ging und bei ihm sich u. a. die kostbare Gestalt
des heiligen Petrus für viele seiner Schwänke holte, wie er von seinem Kern,
dem sorglosen Lebensgenuß, ausgehend nach und nach alle verwandten Gestalten,
vom Studenten bis zum Landsknecht, in feinen Stoffkreis zog, so versuchte er
es auch nicht, sich über diese Stände zu erheben, ungläubiger zu sein als das
Volk und etwa die überlieferten unterhaltenden Geschichten mit einem neuen
sittlichen Gehalt zu erfüllen. Als Dichter glaubt Baumbach so gut wie das
Volk an die Jungfrau Maria und an Frau Holde, nur in den „Sommer¬
märchen" versuchte er es, das Wunderbare dem modern skeptischen Leser
wenigstens psychologisch als nicht ganz unmöglich zu motiviren, was ihm aber
nicht immer zu seinem Vorteile gelang. Und durch diese Eigenschaften, die ihn
zwar, wenn man sich an ein Meisterstück wie die „Sieben Legenden" von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/485>, abgerufen am 27.09.2024.