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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die Künste der Fälscher.

durch seine Leichtgläubigkeit den Angeklagten immer weiter auf die Bahn des
Verbrechens gelockt habe. In der That kam Vrain-Lucas mit zwei Jahren
Gefängnis und 500 Franks Schadenersatz davon, sodaß er schon 1872 wieder
einem alten Geistlichen die gewünschten Fmnilieupapiere liefern konnte, was ihm
abermals einige Monate eintrug.

Wie schrumpft neben diesem kühnen Großindustriellen die Gestalt jeues vor
einigen Jahrzehnten entlarvten Mannes in Sachsen (Gcrstenberg hieß er ja wohl)
zusammen, der die Handschriften und den Stil berühmter Personen mühsam
nachgeahmt und damit kaum sein tägliches Brot verdient hatte! Bei ihm
mochte der Reiz, andre zu mystifiziren, mit im Spiel sein wie bei manchem
Künstler, der in allen Manieren zu arbeiten vermag. Aber in tausend andern
Fällen hat das Publikum kein Recht, sich darüber aufzuhalten, daß dieser und
jener sein Talent und sein Können nicht besser zu verwenden wisse, als zum
Betrüge. Denn hätte dieser und jeuer das Bild oder die Kassette oder den
Halsschmuck als eigne Arbeit angeboten, so würde er keinen Käufer gefunden
haben, und in der Regel ist es die bittere Not, welche geschickte Leute zwingt,
auf ehrlichen Erwerb und geachteten Namen zu verzichten und sich zu Sklaven
dunkler Ehrenmänner zu machen. Ein "Fournissenr" der eleganten Welt in
einer großen Stadt erklärte einmal offenherzig: "Wenn ich meinem Publikum
sagen wollte, daß ich die Boulemvbel und die nickten u. s. w. hier in der Vor¬
stadt machen lasse, und nur die Preise forderte, für welche ich die Dinge geben
könnte, so würde ich die ganze Kundschaft meinen Konkurrenten zuschicken; und
wenn ich nur echte Sachen feilhalten wollte, so würde ich wegen der hohen
Preise keine Abnehmer finden. Uranos vult cleoixi," schloß er, wenn auch in
andrer Version.

Daß jene Sekte der Anthropologen, welche nur der vorsintflutliche Mensch
und dessen Werke interessiren, mit besondrer Vorliebe von den Fälschern be¬
rücksichtigt wird, ist bekannt und auch leicht erklärlich, weil der Betrug sich
gewöhnlich schwerer beweisen läßt, als wenn es sich um Zeugnisse aus Zeiten
der Kultur handelt. In letzter" Fällen hat sich auch der Geschickteste und Naffi-
nirteste meistens irgendein Verschen zu Schulden kommen lassen, einen Verstoß
gegen den Charakter der Sprache, der Schrift, der Tracht, des Kunststils der
Zeit, welcher er ein Produkt andichten wollte, die Anwendung einer Farbe oder
Technik, welche damals noch nicht bekannt waren n. s. w., und wenn neunund-
neunzig Augenpaare sich täuschen lassen, so entdeckt das hundertste den Fehler.
Aber wer kennt den Zeitgenossen des Höhlenbären so gemalt, um mit Bestimmt¬
heit zu erklären, was demselben zugetraut werden dürfe und was nicht? Endet
erinnert an eine Menge Mystifikationen, denen zum Teil große Gelehrte an¬
heimgefallen sind. Aber es gehört im Grunde wenig Witz dazu, Männern
etwas aufzubinden, die, wie er von Boucher de Perthes sagt, sich nicht träumen
lassen, daß jemand sie täuschen könne, da sie selbst unfähig wären, jemand zu


Die Künste der Fälscher.

durch seine Leichtgläubigkeit den Angeklagten immer weiter auf die Bahn des
Verbrechens gelockt habe. In der That kam Vrain-Lucas mit zwei Jahren
Gefängnis und 500 Franks Schadenersatz davon, sodaß er schon 1872 wieder
einem alten Geistlichen die gewünschten Fmnilieupapiere liefern konnte, was ihm
abermals einige Monate eintrug.

Wie schrumpft neben diesem kühnen Großindustriellen die Gestalt jeues vor
einigen Jahrzehnten entlarvten Mannes in Sachsen (Gcrstenberg hieß er ja wohl)
zusammen, der die Handschriften und den Stil berühmter Personen mühsam
nachgeahmt und damit kaum sein tägliches Brot verdient hatte! Bei ihm
mochte der Reiz, andre zu mystifiziren, mit im Spiel sein wie bei manchem
Künstler, der in allen Manieren zu arbeiten vermag. Aber in tausend andern
Fällen hat das Publikum kein Recht, sich darüber aufzuhalten, daß dieser und
jener sein Talent und sein Können nicht besser zu verwenden wisse, als zum
Betrüge. Denn hätte dieser und jeuer das Bild oder die Kassette oder den
Halsschmuck als eigne Arbeit angeboten, so würde er keinen Käufer gefunden
haben, und in der Regel ist es die bittere Not, welche geschickte Leute zwingt,
auf ehrlichen Erwerb und geachteten Namen zu verzichten und sich zu Sklaven
dunkler Ehrenmänner zu machen. Ein „Fournissenr" der eleganten Welt in
einer großen Stadt erklärte einmal offenherzig: „Wenn ich meinem Publikum
sagen wollte, daß ich die Boulemvbel und die nickten u. s. w. hier in der Vor¬
stadt machen lasse, und nur die Preise forderte, für welche ich die Dinge geben
könnte, so würde ich die ganze Kundschaft meinen Konkurrenten zuschicken; und
wenn ich nur echte Sachen feilhalten wollte, so würde ich wegen der hohen
Preise keine Abnehmer finden. Uranos vult cleoixi," schloß er, wenn auch in
andrer Version.

Daß jene Sekte der Anthropologen, welche nur der vorsintflutliche Mensch
und dessen Werke interessiren, mit besondrer Vorliebe von den Fälschern be¬
rücksichtigt wird, ist bekannt und auch leicht erklärlich, weil der Betrug sich
gewöhnlich schwerer beweisen läßt, als wenn es sich um Zeugnisse aus Zeiten
der Kultur handelt. In letzter« Fällen hat sich auch der Geschickteste und Naffi-
nirteste meistens irgendein Verschen zu Schulden kommen lassen, einen Verstoß
gegen den Charakter der Sprache, der Schrift, der Tracht, des Kunststils der
Zeit, welcher er ein Produkt andichten wollte, die Anwendung einer Farbe oder
Technik, welche damals noch nicht bekannt waren n. s. w., und wenn neunund-
neunzig Augenpaare sich täuschen lassen, so entdeckt das hundertste den Fehler.
Aber wer kennt den Zeitgenossen des Höhlenbären so gemalt, um mit Bestimmt¬
heit zu erklären, was demselben zugetraut werden dürfe und was nicht? Endet
erinnert an eine Menge Mystifikationen, denen zum Teil große Gelehrte an¬
heimgefallen sind. Aber es gehört im Grunde wenig Witz dazu, Männern
etwas aufzubinden, die, wie er von Boucher de Perthes sagt, sich nicht träumen
lassen, daß jemand sie täuschen könne, da sie selbst unfähig wären, jemand zu


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[0480] Die Künste der Fälscher. durch seine Leichtgläubigkeit den Angeklagten immer weiter auf die Bahn des Verbrechens gelockt habe. In der That kam Vrain-Lucas mit zwei Jahren Gefängnis und 500 Franks Schadenersatz davon, sodaß er schon 1872 wieder einem alten Geistlichen die gewünschten Fmnilieupapiere liefern konnte, was ihm abermals einige Monate eintrug. Wie schrumpft neben diesem kühnen Großindustriellen die Gestalt jeues vor einigen Jahrzehnten entlarvten Mannes in Sachsen (Gcrstenberg hieß er ja wohl) zusammen, der die Handschriften und den Stil berühmter Personen mühsam nachgeahmt und damit kaum sein tägliches Brot verdient hatte! Bei ihm mochte der Reiz, andre zu mystifiziren, mit im Spiel sein wie bei manchem Künstler, der in allen Manieren zu arbeiten vermag. Aber in tausend andern Fällen hat das Publikum kein Recht, sich darüber aufzuhalten, daß dieser und jener sein Talent und sein Können nicht besser zu verwenden wisse, als zum Betrüge. Denn hätte dieser und jeuer das Bild oder die Kassette oder den Halsschmuck als eigne Arbeit angeboten, so würde er keinen Käufer gefunden haben, und in der Regel ist es die bittere Not, welche geschickte Leute zwingt, auf ehrlichen Erwerb und geachteten Namen zu verzichten und sich zu Sklaven dunkler Ehrenmänner zu machen. Ein „Fournissenr" der eleganten Welt in einer großen Stadt erklärte einmal offenherzig: „Wenn ich meinem Publikum sagen wollte, daß ich die Boulemvbel und die nickten u. s. w. hier in der Vor¬ stadt machen lasse, und nur die Preise forderte, für welche ich die Dinge geben könnte, so würde ich die ganze Kundschaft meinen Konkurrenten zuschicken; und wenn ich nur echte Sachen feilhalten wollte, so würde ich wegen der hohen Preise keine Abnehmer finden. Uranos vult cleoixi," schloß er, wenn auch in andrer Version. Daß jene Sekte der Anthropologen, welche nur der vorsintflutliche Mensch und dessen Werke interessiren, mit besondrer Vorliebe von den Fälschern be¬ rücksichtigt wird, ist bekannt und auch leicht erklärlich, weil der Betrug sich gewöhnlich schwerer beweisen läßt, als wenn es sich um Zeugnisse aus Zeiten der Kultur handelt. In letzter« Fällen hat sich auch der Geschickteste und Naffi- nirteste meistens irgendein Verschen zu Schulden kommen lassen, einen Verstoß gegen den Charakter der Sprache, der Schrift, der Tracht, des Kunststils der Zeit, welcher er ein Produkt andichten wollte, die Anwendung einer Farbe oder Technik, welche damals noch nicht bekannt waren n. s. w., und wenn neunund- neunzig Augenpaare sich täuschen lassen, so entdeckt das hundertste den Fehler. Aber wer kennt den Zeitgenossen des Höhlenbären so gemalt, um mit Bestimmt¬ heit zu erklären, was demselben zugetraut werden dürfe und was nicht? Endet erinnert an eine Menge Mystifikationen, denen zum Teil große Gelehrte an¬ heimgefallen sind. Aber es gehört im Grunde wenig Witz dazu, Männern etwas aufzubinden, die, wie er von Boucher de Perthes sagt, sich nicht träumen lassen, daß jemand sie täuschen könne, da sie selbst unfähig wären, jemand zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/480>, abgerufen am 27.06.2024.