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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Irrtum also, daß auch das "Veilchen auf der Wiese" von Gleim sei, lag nicht
so fern.

Das genannte Liederheft Steffans bietet aber noch aus einem andern
Grunde Interesse. Es enthält nämlich außerdem nicht bloß uuter Nummer 5
eine Komposition von Reitzensteins bekanntem sentimentalen Erguß "Lotte bei
Werthers Grabe" (Ausgelitten hast du, ausgerungen), die von dem Text im
"Teutschen Merkur" (Juni 1775) viele Abweichungen zeigt, sondern auch
unter Nummer 17 ein Seitenstück dazu: "stelln," ein Lied, welches der Heldin
des Stückes dem treulosen Fernando gegenüber in den Mund gelegt ist.


stelln.
Sagt mir ihr stillen Hahne
Wo mein Geliebter irrt,
Ob der, um den ich weine,
Mir bald erscheinen wird;
Sagt mir ihr Morgenwinde,
Habt ihr ihn nicht umweht?
Daß ich die Gegend finde,
Wo mein Fernando geht. Sonst war mein Herz so frostig
Und alles froh um mich,
Und ich, ich war so selig,
Fernando liebte mich!
Ach, welch ein Quell voll Freuden
War mir sein Kuß, sein Blick,
O! all ihr Seligkeiten
Wann kehret ihr zurück? M denk ich stets im Stillen
Nur dich, Geliebter dich!
Die matten Augen hüllen
In SehnsuchtsthrKnen sich,
Mein Herz ist mir so trübe,
Und alles Freuden leer --
Der einzgc, den ich liebe
Liebt mich vielleicht nicht mehr. Oft malen mir die Schatten
Das vielgeliebte Bild
Des Theuren, ach, des Gatten,
Der meine Seel erfüllt;
Doch täuscht es meine Blicke
Und er ist fern von hier:
Wann kehrest du zurücke,
Wann nahst du, Theurer, mir?

Einen Platz, an dem man sich dieses Lied im Schauspiel eingelegt denken
könnte, giebt es nicht. Wenn Stella aber im zweiten Akte sagt: "Verlohrne


Irrtum also, daß auch das „Veilchen auf der Wiese" von Gleim sei, lag nicht
so fern.

Das genannte Liederheft Steffans bietet aber noch aus einem andern
Grunde Interesse. Es enthält nämlich außerdem nicht bloß uuter Nummer 5
eine Komposition von Reitzensteins bekanntem sentimentalen Erguß „Lotte bei
Werthers Grabe" (Ausgelitten hast du, ausgerungen), die von dem Text im
„Teutschen Merkur" (Juni 1775) viele Abweichungen zeigt, sondern auch
unter Nummer 17 ein Seitenstück dazu: „stelln," ein Lied, welches der Heldin
des Stückes dem treulosen Fernando gegenüber in den Mund gelegt ist.


stelln.
Sagt mir ihr stillen Hahne
Wo mein Geliebter irrt,
Ob der, um den ich weine,
Mir bald erscheinen wird;
Sagt mir ihr Morgenwinde,
Habt ihr ihn nicht umweht?
Daß ich die Gegend finde,
Wo mein Fernando geht. Sonst war mein Herz so frostig
Und alles froh um mich,
Und ich, ich war so selig,
Fernando liebte mich!
Ach, welch ein Quell voll Freuden
War mir sein Kuß, sein Blick,
O! all ihr Seligkeiten
Wann kehret ihr zurück? M denk ich stets im Stillen
Nur dich, Geliebter dich!
Die matten Augen hüllen
In SehnsuchtsthrKnen sich,
Mein Herz ist mir so trübe,
Und alles Freuden leer —
Der einzgc, den ich liebe
Liebt mich vielleicht nicht mehr. Oft malen mir die Schatten
Das vielgeliebte Bild
Des Theuren, ach, des Gatten,
Der meine Seel erfüllt;
Doch täuscht es meine Blicke
Und er ist fern von hier:
Wann kehrest du zurücke,
Wann nahst du, Theurer, mir?

Einen Platz, an dem man sich dieses Lied im Schauspiel eingelegt denken
könnte, giebt es nicht. Wenn Stella aber im zweiten Akte sagt: „Verlohrne


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[0471] Irrtum also, daß auch das „Veilchen auf der Wiese" von Gleim sei, lag nicht so fern. Das genannte Liederheft Steffans bietet aber noch aus einem andern Grunde Interesse. Es enthält nämlich außerdem nicht bloß uuter Nummer 5 eine Komposition von Reitzensteins bekanntem sentimentalen Erguß „Lotte bei Werthers Grabe" (Ausgelitten hast du, ausgerungen), die von dem Text im „Teutschen Merkur" (Juni 1775) viele Abweichungen zeigt, sondern auch unter Nummer 17 ein Seitenstück dazu: „stelln," ein Lied, welches der Heldin des Stückes dem treulosen Fernando gegenüber in den Mund gelegt ist. stelln. Sagt mir ihr stillen Hahne Wo mein Geliebter irrt, Ob der, um den ich weine, Mir bald erscheinen wird; Sagt mir ihr Morgenwinde, Habt ihr ihn nicht umweht? Daß ich die Gegend finde, Wo mein Fernando geht. Sonst war mein Herz so frostig Und alles froh um mich, Und ich, ich war so selig, Fernando liebte mich! Ach, welch ein Quell voll Freuden War mir sein Kuß, sein Blick, O! all ihr Seligkeiten Wann kehret ihr zurück? M denk ich stets im Stillen Nur dich, Geliebter dich! Die matten Augen hüllen In SehnsuchtsthrKnen sich, Mein Herz ist mir so trübe, Und alles Freuden leer — Der einzgc, den ich liebe Liebt mich vielleicht nicht mehr. Oft malen mir die Schatten Das vielgeliebte Bild Des Theuren, ach, des Gatten, Der meine Seel erfüllt; Doch täuscht es meine Blicke Und er ist fern von hier: Wann kehrest du zurücke, Wann nahst du, Theurer, mir? Einen Platz, an dem man sich dieses Lied im Schauspiel eingelegt denken könnte, giebt es nicht. Wenn Stella aber im zweiten Akte sagt: „Verlohrne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/471>, abgerufen am 27.09.2024.