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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Musikalische Genüsse.

hervorgerufen, und hier in Weimar wäre es nach dem kläglichen Eindruck der
vorausgegcmgnen Nummern doppelt erwünscht gewesen.

Diesen? Mittagskonzert folgte in der Kirche noch ein Abendkonzert. Ich
hörte nur die Grauer Festmesfe von Liszt, ein an geistvollen Kombinationen
und instrumentalen und harmonischen Effekten reiches Werk, und doch in seiner
Gesamtwirkung unerquicklich und unbedeutend. Auf jemanden, der wie ich seit Jahr¬
zehnten in den Messen von Haydn und Mozart und in den Chorwerken von
Händel, Bach, Beethoven, Spohr und Mendelssohn fleißig und begeistert mit¬
gewirkt hat, vermögen solche auf jeden strengen Kirchenstil verzichtende und nur
nach Äußerlichkeiten haschende, innerlich zusammenhanglose Tonsätze keinen Ein¬
druck zu machen.

Schließlich gilt es noch, den Chor- und Orchestermitgliedern, sowie den
beiden Festdirigenten den Zoll der Bewunderung für ihre herkulische Ausdauer
darzubringen. Möge über der Feststellung künftiger Programme ein günstigerer
Stern walten! Auch die treue Teilnahme der fürstlichen Herrschaften an allen
Aufführungen erscheint der größten Anerkennung würdig. Der weimarische Hof
verdiente durch einen zweiten Walter von der Vogelweide dafür gepriesen zu
werden.

Eines unvergeßlichen Momentes sei noch gedacht. Den Festteilnchmern
war der Besuch des Goethchauses gestattet worden. Das Schillerhänschen
öffnet sich jedem, aber es ist eine ganz besondre Vergünstigung, auch in das
Goethchaus zu gelangen. Ach, wer doch allein und unbelästigt von dem Ge¬
dränge und Geschnatter zahlloser Anwesenden diese von den reichsten Kunstwerken
erfüllten und doch so einfachen Räume hätte durchwandeln dürfen! Und doch,
trotz aller belästigenden und störenden Unruhe, welchen tiefen, unvergeßlichen
Eindruck muß diese Stunde auf jeden der Anwesenden hervorgebracht haben!

Noch stand am 28. eine musikalische Nachfeier und eine Operncinfführung
bevor, aber ich dachte: Genug des grausamen Spiels! Noch ehe Herr Müller-
Hartung den Taktstock hob zur Aufführung von Liszts "Idealen," entführte mich
das mildherzige Dampfroß deu Genußleiden, die ich am Jlmufer durchgekostet
hatte, nach den grünen Waldthcileru der Saale. Wie traut, still und heimlich
war es in Nudolstndt, Blankenburg und Saalfeld, wie entzückend die Ruhe in
den Wäldern um die Schwarzburg!
'

Ich komme nnn zur Beantwortung der zu Anfange dieses Artikels
aufgeworfenen Frage, warum der "Allgemeine" deutsche Musikverein bisher ein
ausschließlich norddeutsches Institut geblieben ist und die Maingreuze nie über¬
schritten hat. Herrscht in Süddeutschland weniger Sinn, Verständnis und Liebe
sür die Kunst der Töne als in Norddeutschland? Huldige man hier weniger
dem musikalischen "Fortschritt" als dort? Ist nicht Baiern, insbesondre München,
die eigentlichste Brutstätte des Wagnertums, der "Zukunftsmusik"? Allerdings.
Aber trotzdem und ganz entgegengesetzt der von oben herab genährten Be-


Musikalische Genüsse.

hervorgerufen, und hier in Weimar wäre es nach dem kläglichen Eindruck der
vorausgegcmgnen Nummern doppelt erwünscht gewesen.

Diesen? Mittagskonzert folgte in der Kirche noch ein Abendkonzert. Ich
hörte nur die Grauer Festmesfe von Liszt, ein an geistvollen Kombinationen
und instrumentalen und harmonischen Effekten reiches Werk, und doch in seiner
Gesamtwirkung unerquicklich und unbedeutend. Auf jemanden, der wie ich seit Jahr¬
zehnten in den Messen von Haydn und Mozart und in den Chorwerken von
Händel, Bach, Beethoven, Spohr und Mendelssohn fleißig und begeistert mit¬
gewirkt hat, vermögen solche auf jeden strengen Kirchenstil verzichtende und nur
nach Äußerlichkeiten haschende, innerlich zusammenhanglose Tonsätze keinen Ein¬
druck zu machen.

Schließlich gilt es noch, den Chor- und Orchestermitgliedern, sowie den
beiden Festdirigenten den Zoll der Bewunderung für ihre herkulische Ausdauer
darzubringen. Möge über der Feststellung künftiger Programme ein günstigerer
Stern walten! Auch die treue Teilnahme der fürstlichen Herrschaften an allen
Aufführungen erscheint der größten Anerkennung würdig. Der weimarische Hof
verdiente durch einen zweiten Walter von der Vogelweide dafür gepriesen zu
werden.

Eines unvergeßlichen Momentes sei noch gedacht. Den Festteilnchmern
war der Besuch des Goethchauses gestattet worden. Das Schillerhänschen
öffnet sich jedem, aber es ist eine ganz besondre Vergünstigung, auch in das
Goethchaus zu gelangen. Ach, wer doch allein und unbelästigt von dem Ge¬
dränge und Geschnatter zahlloser Anwesenden diese von den reichsten Kunstwerken
erfüllten und doch so einfachen Räume hätte durchwandeln dürfen! Und doch,
trotz aller belästigenden und störenden Unruhe, welchen tiefen, unvergeßlichen
Eindruck muß diese Stunde auf jeden der Anwesenden hervorgebracht haben!

Noch stand am 28. eine musikalische Nachfeier und eine Operncinfführung
bevor, aber ich dachte: Genug des grausamen Spiels! Noch ehe Herr Müller-
Hartung den Taktstock hob zur Aufführung von Liszts „Idealen," entführte mich
das mildherzige Dampfroß deu Genußleiden, die ich am Jlmufer durchgekostet
hatte, nach den grünen Waldthcileru der Saale. Wie traut, still und heimlich
war es in Nudolstndt, Blankenburg und Saalfeld, wie entzückend die Ruhe in
den Wäldern um die Schwarzburg!
'

Ich komme nnn zur Beantwortung der zu Anfange dieses Artikels
aufgeworfenen Frage, warum der „Allgemeine" deutsche Musikverein bisher ein
ausschließlich norddeutsches Institut geblieben ist und die Maingreuze nie über¬
schritten hat. Herrscht in Süddeutschland weniger Sinn, Verständnis und Liebe
sür die Kunst der Töne als in Norddeutschland? Huldige man hier weniger
dem musikalischen „Fortschritt" als dort? Ist nicht Baiern, insbesondre München,
die eigentlichste Brutstätte des Wagnertums, der „Zukunftsmusik"? Allerdings.
Aber trotzdem und ganz entgegengesetzt der von oben herab genährten Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/46>, abgerufen am 23.06.2024.