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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Musikalische Genüsse,

gewählt hatte! Bei einem so zerpflückten, mühsam mosaikartig zusammengesetzten
undankbaren Werke ist alle Liebesmühe vergebens. Das ganze lange Stück hat
auch nicht eine Cantilene, die sich natürlich entwickelt, nicht eine zum Herzen
sprechende Melodie. Man mußte das Aufgebot von Kunstfertigkeit und südlicher
Glut beklagen, welches Herr Nachez hier erfolglos verschwendete.

Einige Lieder boten wieder erquicklichere Momente. Aber an die Symphonie
von Al. Glasunoff aus Petersburg wird sich jeder der Anwesenden zeitlebens
mit Grausen erinnern; nicht minder an das dreiviertelstündige Klavierkonzert in
einem Satze, komponirt und ausgeführt von Engen d'Albert. Jene bot den
stärksten Kaviar auf duftenden Juchten servirt, dies ein buntes Riesenbouauet
bekannter, lose aneinander gefügter Motive. Auf einem Orchester, das sich aus
wüsten Träumen nicht aufzuraffen vermochte, schwammen einige spärliche Klavier¬
läufe, gebrochene Akkorde und Triller. Und das war im Programm als "Klavier¬
konzert" bezeichnet! Wie kommt es, daß so junge, noch ganz unreife Tonsetzer
mit ihren verwirrten Machwerken hier zum Worte kommen konnten? Fehlt
denen, welche die Programme aufstellen, jeder kritische Blick, oder ist dies
Geschäft allein einem beliebigen Musikalienhändler überlassen, der seinen Kram
an den Mann bringen will?

Im fünften Konzerte konnte das I. Brahmssche (?-aur-Scxtett, das ans
gedämpften Tonlagen und einer träumerischen Stimmung sich fast nirgends
aufrafft, nicht hinreißen. Ich gab mir redliche Mühe, es schön zu finden, aber
es wollte mir nicht gelingen, zum Verständnis des von den schon genannten Quar-
tettisten und den Herren O. Pfitzner und A. Schroeder vortrefflich ausgeführten
Werkes durchzudringen. Die letzte Konzertuummer bildete R. Schumanns
"spanisches Liederspiel," gesungen von den Damen M. Unger-Haupt aus Leipzig,
M. Schmidtlein aus Berlin und den Herren G. Trautermann aus Leipzig und
Dr. Fr. Krückl ans Frankfurt. Eine Anmerkung im Textbuche, welche die
Wahl dieses Werkes gleichsam entschuldigte, verstimmte allgemein. Eine Ent¬
schuldigung wäre allerdings sehr am Platze gewesen, nämlich deswegen, daß man
diese reizvolle, hochpoetische Schöpfung vorführte, ohne die entsprechenden Kräfte
dazu gewonnen zu haben. Außer Herrn Krückl konnte keines der Mitwirkenden
auch nur annähernd befriedigen. Der Sopranistin fehlte jeder Hauch von Poesie,
die Altistin war von erschreckender Langweiligkeit, der Tenor ein echt deutscher
Philister. Diese drei seinsollenden Spcmiolen mit ihrem ledernen Singsang
waren wirklich zum Davonlaufen. Es war unverantwortlich, dies wundervolle
Werk in solcher Weise zu maltrcitiren. Herr Krückl sang anstatt des "Koutraban-
disten," im Anhange des Licderspicls den "Flutenreichen Ebro" aus den "Spa¬
nischen Liebesliedern." Anscheinend ist diese Romanze dankbarer als jene, aber
sollte der geistvolle und denkende Sänger die große Wirkung der "Kontrabcm-
distcn" nie erprobt haben? Das Lied, eine allerdings sehr schwere Aufgabe,
hat, wo ich es gut habe vortragen hören, noch stets einen Sturm von Beifall


Musikalische Genüsse,

gewählt hatte! Bei einem so zerpflückten, mühsam mosaikartig zusammengesetzten
undankbaren Werke ist alle Liebesmühe vergebens. Das ganze lange Stück hat
auch nicht eine Cantilene, die sich natürlich entwickelt, nicht eine zum Herzen
sprechende Melodie. Man mußte das Aufgebot von Kunstfertigkeit und südlicher
Glut beklagen, welches Herr Nachez hier erfolglos verschwendete.

Einige Lieder boten wieder erquicklichere Momente. Aber an die Symphonie
von Al. Glasunoff aus Petersburg wird sich jeder der Anwesenden zeitlebens
mit Grausen erinnern; nicht minder an das dreiviertelstündige Klavierkonzert in
einem Satze, komponirt und ausgeführt von Engen d'Albert. Jene bot den
stärksten Kaviar auf duftenden Juchten servirt, dies ein buntes Riesenbouauet
bekannter, lose aneinander gefügter Motive. Auf einem Orchester, das sich aus
wüsten Träumen nicht aufzuraffen vermochte, schwammen einige spärliche Klavier¬
läufe, gebrochene Akkorde und Triller. Und das war im Programm als „Klavier¬
konzert" bezeichnet! Wie kommt es, daß so junge, noch ganz unreife Tonsetzer
mit ihren verwirrten Machwerken hier zum Worte kommen konnten? Fehlt
denen, welche die Programme aufstellen, jeder kritische Blick, oder ist dies
Geschäft allein einem beliebigen Musikalienhändler überlassen, der seinen Kram
an den Mann bringen will?

Im fünften Konzerte konnte das I. Brahmssche (?-aur-Scxtett, das ans
gedämpften Tonlagen und einer träumerischen Stimmung sich fast nirgends
aufrafft, nicht hinreißen. Ich gab mir redliche Mühe, es schön zu finden, aber
es wollte mir nicht gelingen, zum Verständnis des von den schon genannten Quar-
tettisten und den Herren O. Pfitzner und A. Schroeder vortrefflich ausgeführten
Werkes durchzudringen. Die letzte Konzertuummer bildete R. Schumanns
„spanisches Liederspiel," gesungen von den Damen M. Unger-Haupt aus Leipzig,
M. Schmidtlein aus Berlin und den Herren G. Trautermann aus Leipzig und
Dr. Fr. Krückl ans Frankfurt. Eine Anmerkung im Textbuche, welche die
Wahl dieses Werkes gleichsam entschuldigte, verstimmte allgemein. Eine Ent¬
schuldigung wäre allerdings sehr am Platze gewesen, nämlich deswegen, daß man
diese reizvolle, hochpoetische Schöpfung vorführte, ohne die entsprechenden Kräfte
dazu gewonnen zu haben. Außer Herrn Krückl konnte keines der Mitwirkenden
auch nur annähernd befriedigen. Der Sopranistin fehlte jeder Hauch von Poesie,
die Altistin war von erschreckender Langweiligkeit, der Tenor ein echt deutscher
Philister. Diese drei seinsollenden Spcmiolen mit ihrem ledernen Singsang
waren wirklich zum Davonlaufen. Es war unverantwortlich, dies wundervolle
Werk in solcher Weise zu maltrcitiren. Herr Krückl sang anstatt des „Koutraban-
disten," im Anhange des Licderspicls den „Flutenreichen Ebro" aus den „Spa¬
nischen Liebesliedern." Anscheinend ist diese Romanze dankbarer als jene, aber
sollte der geistvolle und denkende Sänger die große Wirkung der „Kontrabcm-
distcn" nie erprobt haben? Das Lied, eine allerdings sehr schwere Aufgabe,
hat, wo ich es gut habe vortragen hören, noch stets einen Sturm von Beifall


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/45>, abgerufen am 22.06.2024.