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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die Lngel auf Lrdon.

Ich konnte es nicht erwarten, Euch wiederzusehen, und so machte ich mich nach
Eurer Wohnung auf.

Und Ihr seht, mein Herr, daß andre es verstanden haben, Euch zuvor¬
zukommen.

Von dem eben erlebten Vorfall erwähnte sie nichts, aber Guido fing
davon an.

Du bist gerade zur rechten Zeit gekommen, Onkel Paul. Da ist ein hä߬
licher Mensch, der uns so angestarrt hat und der uns immer verfolgt.

Paul blickte nach der Seite, wohin der Kleine zeigte, und sah dort
den Akrobaten Carajo, wie er, auf seinen großen Stock gestützt, unbeweglich
dastand und mit bitterm und ironischem Ausdruck die Gruppe betrachtete.

Aha! dachte Paul; das ist ja der Mensch, der, wie Josef behauptet,
Mondejo sein soll. Wie er uns anstarrt! Wie er dasteht! Devanuis mag
Recht haben. Der Mensch will etwas mit uns zu thun haben. Hat er Euch
angeredet?

Nein, antwortete Nina. Es ist sicher einer von den Akrobaten, welche
gestern hier angekommen sind. Er hat uns neugierig angesehen, das ist alles.
Vielleicht wollte der Aermste ein Almosen haben. Laßt uns weiter gehen, es
ist wirklich nichts.

Guido zog seinen Freund am Rocke. Onkel Paul, fing er an, aber da
er sich erinnerte, was ihm die Mutter gesagt hatte, verbesserte er sich: Lieber
Vater, du hast mir noch keinen Kuß gegeben.

Paul wurde, als er diesen Namen ans dem Munde des lieblichen Knaben
hörte, so gerührt, daß ihm die hellen Thränen in die Augen traten. Rina er¬
rötete in anmutiger Verwirrung.

Ich dein Vater, o Guido! rief Paul aus. Jawohl! Nenne mich nur
immer bei diesem Namen, und gesegnet seien deine kleinen Lippen, die ihn aus-
sprachen. Ich werde es verdienen, daß du mich so nennst, denn ich werde dich,
das schwöre ich, wie meinen eignen Sohn lieben, und ich habe dich auch jetzt
schon ebenso lieb.

Carajos Gesicht zog sich drohend zusammen, als er sah, wie Paul den
kleinen Guido auf den Arm nahm und leidenschaftlich küßte, als er sah, wie
Rina sich an Pauls Arm hängte und sich zutraulich und liebevoll an ihn schmiegte.
Er machte eine Bewegung, als wollte er den beiden Liebenden nachsetzen, um
sie einzuholen, aber er beherrschte sich und blieb unbeweglich mit finsterm Ge¬
sicht und zornflammenden Blicken auf seinem Posten, bis sie bei einer Straßen¬
biegung seinen Augen entschwanden. Dann aber schüttelte er die Faust hinter
ihnen her und stieß aus den zusammengepreßten Zähnen hervor: Wehe Euch
beiden!

Mit eiligen Schritten trat er den Rückweg zum Bade-Etablissement an,
stellte sich bei dem Administrator ein und berichtete ihm mit dem ehrlichsten
Gesichte von der Welt, daß er wegen der Uhr, über deren Verlust er gestern
zur Rede gestellt worden war, alles, was nur möglich war, gethan, aber nichts
weiter herausgebracht habe, als daß keinen von seiner Gesellschaft eine Anklage
treffen könnte.

Der Administrator sah ihm starr in die Augen, aber Carajo hielt den
Blick mit der größten Ruhe aus.

Gut. Dann ist es ein Taschenspielerkunststück gewesen, antwortete jener.
Die verschwundene Uhr ist an der Stelle, wo sie ihr Herr gelassen hatte, wieder


Die Lngel auf Lrdon.

Ich konnte es nicht erwarten, Euch wiederzusehen, und so machte ich mich nach
Eurer Wohnung auf.

Und Ihr seht, mein Herr, daß andre es verstanden haben, Euch zuvor¬
zukommen.

Von dem eben erlebten Vorfall erwähnte sie nichts, aber Guido fing
davon an.

Du bist gerade zur rechten Zeit gekommen, Onkel Paul. Da ist ein hä߬
licher Mensch, der uns so angestarrt hat und der uns immer verfolgt.

Paul blickte nach der Seite, wohin der Kleine zeigte, und sah dort
den Akrobaten Carajo, wie er, auf seinen großen Stock gestützt, unbeweglich
dastand und mit bitterm und ironischem Ausdruck die Gruppe betrachtete.

Aha! dachte Paul; das ist ja der Mensch, der, wie Josef behauptet,
Mondejo sein soll. Wie er uns anstarrt! Wie er dasteht! Devanuis mag
Recht haben. Der Mensch will etwas mit uns zu thun haben. Hat er Euch
angeredet?

Nein, antwortete Nina. Es ist sicher einer von den Akrobaten, welche
gestern hier angekommen sind. Er hat uns neugierig angesehen, das ist alles.
Vielleicht wollte der Aermste ein Almosen haben. Laßt uns weiter gehen, es
ist wirklich nichts.

Guido zog seinen Freund am Rocke. Onkel Paul, fing er an, aber da
er sich erinnerte, was ihm die Mutter gesagt hatte, verbesserte er sich: Lieber
Vater, du hast mir noch keinen Kuß gegeben.

Paul wurde, als er diesen Namen ans dem Munde des lieblichen Knaben
hörte, so gerührt, daß ihm die hellen Thränen in die Augen traten. Rina er¬
rötete in anmutiger Verwirrung.

Ich dein Vater, o Guido! rief Paul aus. Jawohl! Nenne mich nur
immer bei diesem Namen, und gesegnet seien deine kleinen Lippen, die ihn aus-
sprachen. Ich werde es verdienen, daß du mich so nennst, denn ich werde dich,
das schwöre ich, wie meinen eignen Sohn lieben, und ich habe dich auch jetzt
schon ebenso lieb.

Carajos Gesicht zog sich drohend zusammen, als er sah, wie Paul den
kleinen Guido auf den Arm nahm und leidenschaftlich küßte, als er sah, wie
Rina sich an Pauls Arm hängte und sich zutraulich und liebevoll an ihn schmiegte.
Er machte eine Bewegung, als wollte er den beiden Liebenden nachsetzen, um
sie einzuholen, aber er beherrschte sich und blieb unbeweglich mit finsterm Ge¬
sicht und zornflammenden Blicken auf seinem Posten, bis sie bei einer Straßen¬
biegung seinen Augen entschwanden. Dann aber schüttelte er die Faust hinter
ihnen her und stieß aus den zusammengepreßten Zähnen hervor: Wehe Euch
beiden!

Mit eiligen Schritten trat er den Rückweg zum Bade-Etablissement an,
stellte sich bei dem Administrator ein und berichtete ihm mit dem ehrlichsten
Gesichte von der Welt, daß er wegen der Uhr, über deren Verlust er gestern
zur Rede gestellt worden war, alles, was nur möglich war, gethan, aber nichts
weiter herausgebracht habe, als daß keinen von seiner Gesellschaft eine Anklage
treffen könnte.

Der Administrator sah ihm starr in die Augen, aber Carajo hielt den
Blick mit der größten Ruhe aus.

Gut. Dann ist es ein Taschenspielerkunststück gewesen, antwortete jener.
Die verschwundene Uhr ist an der Stelle, wo sie ihr Herr gelassen hatte, wieder


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[0443] Die Lngel auf Lrdon. Ich konnte es nicht erwarten, Euch wiederzusehen, und so machte ich mich nach Eurer Wohnung auf. Und Ihr seht, mein Herr, daß andre es verstanden haben, Euch zuvor¬ zukommen. Von dem eben erlebten Vorfall erwähnte sie nichts, aber Guido fing davon an. Du bist gerade zur rechten Zeit gekommen, Onkel Paul. Da ist ein hä߬ licher Mensch, der uns so angestarrt hat und der uns immer verfolgt. Paul blickte nach der Seite, wohin der Kleine zeigte, und sah dort den Akrobaten Carajo, wie er, auf seinen großen Stock gestützt, unbeweglich dastand und mit bitterm und ironischem Ausdruck die Gruppe betrachtete. Aha! dachte Paul; das ist ja der Mensch, der, wie Josef behauptet, Mondejo sein soll. Wie er uns anstarrt! Wie er dasteht! Devanuis mag Recht haben. Der Mensch will etwas mit uns zu thun haben. Hat er Euch angeredet? Nein, antwortete Nina. Es ist sicher einer von den Akrobaten, welche gestern hier angekommen sind. Er hat uns neugierig angesehen, das ist alles. Vielleicht wollte der Aermste ein Almosen haben. Laßt uns weiter gehen, es ist wirklich nichts. Guido zog seinen Freund am Rocke. Onkel Paul, fing er an, aber da er sich erinnerte, was ihm die Mutter gesagt hatte, verbesserte er sich: Lieber Vater, du hast mir noch keinen Kuß gegeben. Paul wurde, als er diesen Namen ans dem Munde des lieblichen Knaben hörte, so gerührt, daß ihm die hellen Thränen in die Augen traten. Rina er¬ rötete in anmutiger Verwirrung. Ich dein Vater, o Guido! rief Paul aus. Jawohl! Nenne mich nur immer bei diesem Namen, und gesegnet seien deine kleinen Lippen, die ihn aus- sprachen. Ich werde es verdienen, daß du mich so nennst, denn ich werde dich, das schwöre ich, wie meinen eignen Sohn lieben, und ich habe dich auch jetzt schon ebenso lieb. Carajos Gesicht zog sich drohend zusammen, als er sah, wie Paul den kleinen Guido auf den Arm nahm und leidenschaftlich küßte, als er sah, wie Rina sich an Pauls Arm hängte und sich zutraulich und liebevoll an ihn schmiegte. Er machte eine Bewegung, als wollte er den beiden Liebenden nachsetzen, um sie einzuholen, aber er beherrschte sich und blieb unbeweglich mit finsterm Ge¬ sicht und zornflammenden Blicken auf seinem Posten, bis sie bei einer Straßen¬ biegung seinen Augen entschwanden. Dann aber schüttelte er die Faust hinter ihnen her und stieß aus den zusammengepreßten Zähnen hervor: Wehe Euch beiden! Mit eiligen Schritten trat er den Rückweg zum Bade-Etablissement an, stellte sich bei dem Administrator ein und berichtete ihm mit dem ehrlichsten Gesichte von der Welt, daß er wegen der Uhr, über deren Verlust er gestern zur Rede gestellt worden war, alles, was nur möglich war, gethan, aber nichts weiter herausgebracht habe, als daß keinen von seiner Gesellschaft eine Anklage treffen könnte. Der Administrator sah ihm starr in die Augen, aber Carajo hielt den Blick mit der größten Ruhe aus. Gut. Dann ist es ein Taschenspielerkunststück gewesen, antwortete jener. Die verschwundene Uhr ist an der Stelle, wo sie ihr Herr gelassen hatte, wieder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/443>, abgerufen am 22.06.2024.