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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die Lngel auf^Erden.

Du wirst sie sofort in dasselbe Zimmer bringen, wo du sie hergenommen hast,
und wirst sie an eine Stelle legen, wo der Herr sie bei seinem Eintritt sogleich
sehen kann, und das im Nu, geh, sonst wehe dir!

Cota schlich wieder, wie das erstemal, ins Kurhaus und kehrte nach einer
Viertelstunde zu Carcijv zurück; er schwur, daß er alles gethan habe, wie ihm
befohlen sei.

Gut! sagte Carajo, aber glaubst du so leicht durchzukommen, wenn du ans
so unverschämte Weise meinen Befehlen trotzest? Hölle und Teufel! Dir habe
ich es zu verdanken, daß ich diese Schande habe, Hexcnbrut, die du bist.

Und er prügelte den kleinen Menschen, daß ihm die Glieder schmerzten,
als wären sie mit einer Raume gestampft.

Später hatte sich Carajo wie gewöhnlich selbst völlig betrunken; er schlief
in einem der Packwagen auf einem Strohbündel. Cota hatte sich in seiner
Nähe auf den Boden gekauert, starrte ihn mit Angen an, welche wie die einer
Hyäne leuchteten, und deren Bosheit keine guten Absichten verrieten.

Mir alle schönen Sachen wegzunehmen, die ich erwerbe! murmelte er.
Mich so zu mißhandeln! O, ich werde mich rächen, ich werde mich rächen!




14.

Der folgende Tag war einer der schönsten des ganzen Sommers. Kein
Wölkchen am Himmel, kein Schatten von Dunst im Thale. Die ganze Natur
war strahlend und schön.

Als Nina aufstand, glaubte sie, daß der Himmel, die Erde, die ganze
Schöpfung ihre eigne Heiterkeit wiedcrstrahle. Und das himmlische Lächeln der
Natur fand sie in dem ihres Guido wieder, welcher sie beim Namen rief, die
kleinen Arme nach ihr ausstreckte und als Morgengruß einen Kuß von ihr ver¬
langte.

Sie kleidete den Kleinen an und antwortete seinen Plaudereien mit Küssen
und Liebkosungen.

Mutter, warum ziehst du mir mein neues Kleid nicht an?

Weil man das nur an Festtagen anzieht.

Und ist denn heute kein Fest? Mir scheint es doch, daß heute den ganzen
Tag über ein Festtag ist.

Die Mutter schloß ihn noch inniger in die Arme. Und warum scheint es
dir denn, daß heute ein Festtag ist?

Warum? Warum? Das weiß ich nicht. Du bist so vergnügt! Sage
einmal, Mutter, werden wir jetzt gleich die Tante Adele besuchen?

Ja, mein Liebling.

Laß uns gleich gehen. Ich habe es gestern Abend Onkel Paul versprochen,
weißt du! Und du hast mir gesagt, Versprechen soll man halten. Und Onkel
Paul würde sich darüber freuen.

Nina errötete und lächelte. Glaubst du?

Ganz gewiß. Er hat es mir selbst gesagt. Und Onkel Paul ist so gut!

Sage mir, Guido, würdest du dich freuen, wenn Onkel Paul dein Vater
würde?

O ja. Ich habe ja keinen Vater. Der Tante Adele ihre Söhne haben
einen, der sie auf seinen Knien reiten läßt. Und mein Vater ist oben im Himmel.


Grenzboten III. 1384. SS
Die Lngel auf^Erden.

Du wirst sie sofort in dasselbe Zimmer bringen, wo du sie hergenommen hast,
und wirst sie an eine Stelle legen, wo der Herr sie bei seinem Eintritt sogleich
sehen kann, und das im Nu, geh, sonst wehe dir!

Cota schlich wieder, wie das erstemal, ins Kurhaus und kehrte nach einer
Viertelstunde zu Carcijv zurück; er schwur, daß er alles gethan habe, wie ihm
befohlen sei.

Gut! sagte Carajo, aber glaubst du so leicht durchzukommen, wenn du ans
so unverschämte Weise meinen Befehlen trotzest? Hölle und Teufel! Dir habe
ich es zu verdanken, daß ich diese Schande habe, Hexcnbrut, die du bist.

Und er prügelte den kleinen Menschen, daß ihm die Glieder schmerzten,
als wären sie mit einer Raume gestampft.

Später hatte sich Carajo wie gewöhnlich selbst völlig betrunken; er schlief
in einem der Packwagen auf einem Strohbündel. Cota hatte sich in seiner
Nähe auf den Boden gekauert, starrte ihn mit Angen an, welche wie die einer
Hyäne leuchteten, und deren Bosheit keine guten Absichten verrieten.

Mir alle schönen Sachen wegzunehmen, die ich erwerbe! murmelte er.
Mich so zu mißhandeln! O, ich werde mich rächen, ich werde mich rächen!




14.

Der folgende Tag war einer der schönsten des ganzen Sommers. Kein
Wölkchen am Himmel, kein Schatten von Dunst im Thale. Die ganze Natur
war strahlend und schön.

Als Nina aufstand, glaubte sie, daß der Himmel, die Erde, die ganze
Schöpfung ihre eigne Heiterkeit wiedcrstrahle. Und das himmlische Lächeln der
Natur fand sie in dem ihres Guido wieder, welcher sie beim Namen rief, die
kleinen Arme nach ihr ausstreckte und als Morgengruß einen Kuß von ihr ver¬
langte.

Sie kleidete den Kleinen an und antwortete seinen Plaudereien mit Küssen
und Liebkosungen.

Mutter, warum ziehst du mir mein neues Kleid nicht an?

Weil man das nur an Festtagen anzieht.

Und ist denn heute kein Fest? Mir scheint es doch, daß heute den ganzen
Tag über ein Festtag ist.

Die Mutter schloß ihn noch inniger in die Arme. Und warum scheint es
dir denn, daß heute ein Festtag ist?

Warum? Warum? Das weiß ich nicht. Du bist so vergnügt! Sage
einmal, Mutter, werden wir jetzt gleich die Tante Adele besuchen?

Ja, mein Liebling.

Laß uns gleich gehen. Ich habe es gestern Abend Onkel Paul versprochen,
weißt du! Und du hast mir gesagt, Versprechen soll man halten. Und Onkel
Paul würde sich darüber freuen.

Nina errötete und lächelte. Glaubst du?

Ganz gewiß. Er hat es mir selbst gesagt. Und Onkel Paul ist so gut!

Sage mir, Guido, würdest du dich freuen, wenn Onkel Paul dein Vater
würde?

O ja. Ich habe ja keinen Vater. Der Tante Adele ihre Söhne haben
einen, der sie auf seinen Knien reiten läßt. Und mein Vater ist oben im Himmel.


Grenzboten III. 1384. SS
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/441>, abgerufen am 22.06.2024.