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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die Lngel auf Erden.

seinem gewohnten Lakonismus, findet sich an der fünften Thür links von der
Treppe. Die Gräfin im ersten Stock, Nummer 10, letzte Thür rechts, dem
Kasinoziinmer gegenüber. Die Thüren werden mit dem Schlüssel verschlossen.
Wenige oder gar keine haben Riegel. In einer Minute könnte man jedes
Schloß aufsprengen.

Keiner hat dich gesehen, wie du hin- und hergingst?

Nein.

Du bist in keins von den Zimmern eingetreten?

Cota zauderte einen Augenblick, dann antwortete er: Ich habe gedacht, es
wäre nicht unnütz, zu erfahren, wie sie eingerichtet sind.

Gut; und hast gesehen?

Die Thür abwechselnd in der rechten oder in der linken Ecke, das Fenster
an der Wand gegenüber, das Bett zur Rechten, wenn die Thür zur Linken ist,
und umgekehrt; wenig Möbel; die Zimmer stehen alle miteinander in Ver¬
bindung und werden nur dadurch abgesondert, daß man die Zwischenthür ab¬
schließt und die Kommode oder den Waschtisch davor rückt. Die Mandozzi
schläft im zweiten Zimmer ihres Logis, die Thür nach dem Korridor ist immer
verschlossen, und man muß durch das erste Zimmer hindurch, wo ein Kammer¬
mädchen schläft.

Gut; du hast dich nicht weiter herumgetrieben und bist nicht in die Zimmer
von diesem oder jenem getreten?
Nein.

Und doch hast du soviel Zeit vertrödelt.

Ich habe alles ordentlich beobachtet.

Nichts berührt?

Nein.

Desto besser für uns alle, und hauptsächlich für dich. Ich will nicht, daß
man auch nur die geringste Anklage oder Beschwerde gegen uns erhebe. Jetzt geh.

Ccirajo war in tiefe Gedanken versunken, er saß, die Ellenbogen auf die
Knie, das Kinn auf die Hände gestützt und gab auf Cota, welcher ihm still¬
schweigend die Flasche reichen wollte, gar keine Achtung.

Was soll ich thun? sagte er im Stillen. Ach! Dieser fatale Moment ist
viel schneller gekommen, als ich erwartete. Zu schnell! Was für ein verruchter
Dämon hat mich getrieben, ins Vaterland zurückzukehren? Und in dieser Weise!
In diesem Aufzuge! Heruntergekommen, wie ich bin! Ich wollte garnicht vor
ihr erscheinen! Mich ihr in diesen Kleidern zu erkennen geben, nie! Das beste
wäre, wenn ich unerkannt weiterzöge, und auf Nimmerwiedersehen. Die Welt
ist ja so weit! Einen entlegenen Winkel, wo man mühselig leben und in Elend
krepiren könnte, ohne daß einen jemand kennt, den würde ich schon finden. Und
hier, kann mich hier ein andres Geschick treffen? Und obendrein die Schande
auf meinen Namen und die Meinigen! Aber dieser Amardi will sie heiraten!
Sicher liebt sie ihn. Ha! Jetzt weiß ich, warum ich instinktmäßig solchen Haß
auf ihn hatte! Und sie erscheint mir schöner als je. Und ist Mutter! Ich
muß ihn sehen, ihren Sohn!

Da trat ein Diener des Bade-Etablissements herein und fragte nach dem
Direktor der Akrobatengesellschaft.

Das bin ich, sagte Carajo, was wollt Ihr von mir?

Der Administrator will Euch sofort sprechen. Kommt nur mit, er er¬
wartet Euch.


Die Lngel auf Erden.

seinem gewohnten Lakonismus, findet sich an der fünften Thür links von der
Treppe. Die Gräfin im ersten Stock, Nummer 10, letzte Thür rechts, dem
Kasinoziinmer gegenüber. Die Thüren werden mit dem Schlüssel verschlossen.
Wenige oder gar keine haben Riegel. In einer Minute könnte man jedes
Schloß aufsprengen.

Keiner hat dich gesehen, wie du hin- und hergingst?

Nein.

Du bist in keins von den Zimmern eingetreten?

Cota zauderte einen Augenblick, dann antwortete er: Ich habe gedacht, es
wäre nicht unnütz, zu erfahren, wie sie eingerichtet sind.

Gut; und hast gesehen?

Die Thür abwechselnd in der rechten oder in der linken Ecke, das Fenster
an der Wand gegenüber, das Bett zur Rechten, wenn die Thür zur Linken ist,
und umgekehrt; wenig Möbel; die Zimmer stehen alle miteinander in Ver¬
bindung und werden nur dadurch abgesondert, daß man die Zwischenthür ab¬
schließt und die Kommode oder den Waschtisch davor rückt. Die Mandozzi
schläft im zweiten Zimmer ihres Logis, die Thür nach dem Korridor ist immer
verschlossen, und man muß durch das erste Zimmer hindurch, wo ein Kammer¬
mädchen schläft.

Gut; du hast dich nicht weiter herumgetrieben und bist nicht in die Zimmer
von diesem oder jenem getreten?
Nein.

Und doch hast du soviel Zeit vertrödelt.

Ich habe alles ordentlich beobachtet.

Nichts berührt?

Nein.

Desto besser für uns alle, und hauptsächlich für dich. Ich will nicht, daß
man auch nur die geringste Anklage oder Beschwerde gegen uns erhebe. Jetzt geh.

Ccirajo war in tiefe Gedanken versunken, er saß, die Ellenbogen auf die
Knie, das Kinn auf die Hände gestützt und gab auf Cota, welcher ihm still¬
schweigend die Flasche reichen wollte, gar keine Achtung.

Was soll ich thun? sagte er im Stillen. Ach! Dieser fatale Moment ist
viel schneller gekommen, als ich erwartete. Zu schnell! Was für ein verruchter
Dämon hat mich getrieben, ins Vaterland zurückzukehren? Und in dieser Weise!
In diesem Aufzuge! Heruntergekommen, wie ich bin! Ich wollte garnicht vor
ihr erscheinen! Mich ihr in diesen Kleidern zu erkennen geben, nie! Das beste
wäre, wenn ich unerkannt weiterzöge, und auf Nimmerwiedersehen. Die Welt
ist ja so weit! Einen entlegenen Winkel, wo man mühselig leben und in Elend
krepiren könnte, ohne daß einen jemand kennt, den würde ich schon finden. Und
hier, kann mich hier ein andres Geschick treffen? Und obendrein die Schande
auf meinen Namen und die Meinigen! Aber dieser Amardi will sie heiraten!
Sicher liebt sie ihn. Ha! Jetzt weiß ich, warum ich instinktmäßig solchen Haß
auf ihn hatte! Und sie erscheint mir schöner als je. Und ist Mutter! Ich
muß ihn sehen, ihren Sohn!

Da trat ein Diener des Bade-Etablissements herein und fragte nach dem
Direktor der Akrobatengesellschaft.

Das bin ich, sagte Carajo, was wollt Ihr von mir?

Der Administrator will Euch sofort sprechen. Kommt nur mit, er er¬
wartet Euch.


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[0439] Die Lngel auf Erden. seinem gewohnten Lakonismus, findet sich an der fünften Thür links von der Treppe. Die Gräfin im ersten Stock, Nummer 10, letzte Thür rechts, dem Kasinoziinmer gegenüber. Die Thüren werden mit dem Schlüssel verschlossen. Wenige oder gar keine haben Riegel. In einer Minute könnte man jedes Schloß aufsprengen. Keiner hat dich gesehen, wie du hin- und hergingst? Nein. Du bist in keins von den Zimmern eingetreten? Cota zauderte einen Augenblick, dann antwortete er: Ich habe gedacht, es wäre nicht unnütz, zu erfahren, wie sie eingerichtet sind. Gut; und hast gesehen? Die Thür abwechselnd in der rechten oder in der linken Ecke, das Fenster an der Wand gegenüber, das Bett zur Rechten, wenn die Thür zur Linken ist, und umgekehrt; wenig Möbel; die Zimmer stehen alle miteinander in Ver¬ bindung und werden nur dadurch abgesondert, daß man die Zwischenthür ab¬ schließt und die Kommode oder den Waschtisch davor rückt. Die Mandozzi schläft im zweiten Zimmer ihres Logis, die Thür nach dem Korridor ist immer verschlossen, und man muß durch das erste Zimmer hindurch, wo ein Kammer¬ mädchen schläft. Gut; du hast dich nicht weiter herumgetrieben und bist nicht in die Zimmer von diesem oder jenem getreten? Nein. Und doch hast du soviel Zeit vertrödelt. Ich habe alles ordentlich beobachtet. Nichts berührt? Nein. Desto besser für uns alle, und hauptsächlich für dich. Ich will nicht, daß man auch nur die geringste Anklage oder Beschwerde gegen uns erhebe. Jetzt geh. Ccirajo war in tiefe Gedanken versunken, er saß, die Ellenbogen auf die Knie, das Kinn auf die Hände gestützt und gab auf Cota, welcher ihm still¬ schweigend die Flasche reichen wollte, gar keine Achtung. Was soll ich thun? sagte er im Stillen. Ach! Dieser fatale Moment ist viel schneller gekommen, als ich erwartete. Zu schnell! Was für ein verruchter Dämon hat mich getrieben, ins Vaterland zurückzukehren? Und in dieser Weise! In diesem Aufzuge! Heruntergekommen, wie ich bin! Ich wollte garnicht vor ihr erscheinen! Mich ihr in diesen Kleidern zu erkennen geben, nie! Das beste wäre, wenn ich unerkannt weiterzöge, und auf Nimmerwiedersehen. Die Welt ist ja so weit! Einen entlegenen Winkel, wo man mühselig leben und in Elend krepiren könnte, ohne daß einen jemand kennt, den würde ich schon finden. Und hier, kann mich hier ein andres Geschick treffen? Und obendrein die Schande auf meinen Namen und die Meinigen! Aber dieser Amardi will sie heiraten! Sicher liebt sie ihn. Ha! Jetzt weiß ich, warum ich instinktmäßig solchen Haß auf ihn hatte! Und sie erscheint mir schöner als je. Und ist Mutter! Ich muß ihn sehen, ihren Sohn! Da trat ein Diener des Bade-Etablissements herein und fragte nach dem Direktor der Akrobatengesellschaft. Das bin ich, sagte Carajo, was wollt Ihr von mir? Der Administrator will Euch sofort sprechen. Kommt nur mit, er er¬ wartet Euch.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/439>, abgerufen am 22.06.2024.