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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Etwas vom Theater.

welche demselben in der Presse u. s. w. zuteil wird, ihre Rechtfertigung durch
die Personen und die persönlichen Verhältnisse der Darsteller?

Es ist seinerzeit als ein Residuum veralteter Anschauungen betrachtet und
cichselzuckcnd beiseite geschoben worden, als ein namhafter Schriftsteller den Ver¬
fall des Theaters von dem Tage datirte, wo man begonnen habe, dem Schau¬
spieler die bürgerliche Gleichberechtigung einzuräumen. Auch wollen wir diese
Anschauung nicht gerade zu der unsrigen machen; wir möchten aber konstatiren,
daß sie immerhin einen Sinn hat. Die Selbstentäußerung, welche das Wesen
eines dramatischen Künstlers ausmacht und von welcher auch Lessing und Tieck
anerkannten, daß etwas Unmännliches, Verächtliches in ihr liege oder wenigstens
sehr nahegerückt erscheine, wird offenbar begünstigt durch die gesellschaftliche
Pariastellnng; und andrerseits hat die über alles vernünftige Maß hinaus¬
gehende Schauspieleranbetung, welche wir gegenwärtig so vielfach finden, offenbar
die schlimmsten Neigungen der schauspielerischen Natur erst recht ins Kraut ge¬
trieben: die rücksichtslose Eigensucht, die nur für die eigne Person glänzen will
und dabei nach der Gattung des Stückes und nach dem Verbleib der "dra¬
matischen Kunst" keinen Pfifferling fragt, den giftigen Küustlerneid, der stets
zu den schwärzesten Schattenseiten schauspielerischer Verhältnisse gehört hat, den
leidenschaftlichen Drang, ungezähltes Geld zu verdienen, fast immer gePart mit
der Unfähigkeit, es festzuhalten. Daß das Virtuosentum zu deu bedenklichsten,
einer gediegenen dramatischen Kunst nachteiligsten Erscheinungen gehört, ist längst
zu einer banalen Redensart geworden -- jedermann weiß es und giebt es zu,
aber niemand richtet sich darnach. Ebenso ist es allgemein anerkannt, daß das
Verdienst der "Meininger" zu ansehnlichem Teile in dem energischen Zwange
besteht, mittelst dessen dort auch die größten "Künstler" und "Künstlerinnen"
in den Rahmen des Stückes eingespannt worden sind; aber auch hier ist man
weit davon entfernt, aus der anerkannten Wahrheit die Konsequenzen zu ziehen.
Das Lange und Kurze an der Sache ist, daß die Würdigung des Theaters
für das Alltagspublikum vollständig untergegangen ist in der Würdigung des
Personals, und daß hierin die eigentliche Wurzel für die vielbeklagte Misere
unsrer heutigen Thcaterzustände liegt.

Man braucht nur die Theaterbesprechungcn unsrer öffentlichen Blätter an¬
zusehen und die Urteile des Publikums zu hören, um dies jedesmal aufs neue
zu empfinden. Immer ist nur von Herrn X., Frau U., Fräulein Z. die Rede;
vom Stücke selbst wird unter Umständen eine flüchtige Andeutung gemacht, von
der Gesamtwirkung des Stückes erfahren wir gewöhnlich überhaupt nichts. Es
ist uns oft der Gedanke gekommen, warum nicht bei Besprechung eines Konzerts
ganz ebenso wie bei unsern Theaterbesprechnngen die einzelnen Musiker ihre
ausführliche Erwähnung finden und das Gesamturteil auf ein paar Worte zu¬
sammengedrängt wird; wir sehen wirklich keinen Grund, warum dies nicht gerade¬
sogut geschehen könnte -- gewiß wird aber niemand bezweifeln, daß darin, daß


Etwas vom Theater.

welche demselben in der Presse u. s. w. zuteil wird, ihre Rechtfertigung durch
die Personen und die persönlichen Verhältnisse der Darsteller?

Es ist seinerzeit als ein Residuum veralteter Anschauungen betrachtet und
cichselzuckcnd beiseite geschoben worden, als ein namhafter Schriftsteller den Ver¬
fall des Theaters von dem Tage datirte, wo man begonnen habe, dem Schau¬
spieler die bürgerliche Gleichberechtigung einzuräumen. Auch wollen wir diese
Anschauung nicht gerade zu der unsrigen machen; wir möchten aber konstatiren,
daß sie immerhin einen Sinn hat. Die Selbstentäußerung, welche das Wesen
eines dramatischen Künstlers ausmacht und von welcher auch Lessing und Tieck
anerkannten, daß etwas Unmännliches, Verächtliches in ihr liege oder wenigstens
sehr nahegerückt erscheine, wird offenbar begünstigt durch die gesellschaftliche
Pariastellnng; und andrerseits hat die über alles vernünftige Maß hinaus¬
gehende Schauspieleranbetung, welche wir gegenwärtig so vielfach finden, offenbar
die schlimmsten Neigungen der schauspielerischen Natur erst recht ins Kraut ge¬
trieben: die rücksichtslose Eigensucht, die nur für die eigne Person glänzen will
und dabei nach der Gattung des Stückes und nach dem Verbleib der „dra¬
matischen Kunst" keinen Pfifferling fragt, den giftigen Küustlerneid, der stets
zu den schwärzesten Schattenseiten schauspielerischer Verhältnisse gehört hat, den
leidenschaftlichen Drang, ungezähltes Geld zu verdienen, fast immer gePart mit
der Unfähigkeit, es festzuhalten. Daß das Virtuosentum zu deu bedenklichsten,
einer gediegenen dramatischen Kunst nachteiligsten Erscheinungen gehört, ist längst
zu einer banalen Redensart geworden — jedermann weiß es und giebt es zu,
aber niemand richtet sich darnach. Ebenso ist es allgemein anerkannt, daß das
Verdienst der „Meininger" zu ansehnlichem Teile in dem energischen Zwange
besteht, mittelst dessen dort auch die größten „Künstler" und „Künstlerinnen"
in den Rahmen des Stückes eingespannt worden sind; aber auch hier ist man
weit davon entfernt, aus der anerkannten Wahrheit die Konsequenzen zu ziehen.
Das Lange und Kurze an der Sache ist, daß die Würdigung des Theaters
für das Alltagspublikum vollständig untergegangen ist in der Würdigung des
Personals, und daß hierin die eigentliche Wurzel für die vielbeklagte Misere
unsrer heutigen Thcaterzustände liegt.

Man braucht nur die Theaterbesprechungcn unsrer öffentlichen Blätter an¬
zusehen und die Urteile des Publikums zu hören, um dies jedesmal aufs neue
zu empfinden. Immer ist nur von Herrn X., Frau U., Fräulein Z. die Rede;
vom Stücke selbst wird unter Umständen eine flüchtige Andeutung gemacht, von
der Gesamtwirkung des Stückes erfahren wir gewöhnlich überhaupt nichts. Es
ist uns oft der Gedanke gekommen, warum nicht bei Besprechung eines Konzerts
ganz ebenso wie bei unsern Theaterbesprechnngen die einzelnen Musiker ihre
ausführliche Erwähnung finden und das Gesamturteil auf ein paar Worte zu¬
sammengedrängt wird; wir sehen wirklich keinen Grund, warum dies nicht gerade¬
sogut geschehen könnte — gewiß wird aber niemand bezweifeln, daß darin, daß


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[0432] Etwas vom Theater. welche demselben in der Presse u. s. w. zuteil wird, ihre Rechtfertigung durch die Personen und die persönlichen Verhältnisse der Darsteller? Es ist seinerzeit als ein Residuum veralteter Anschauungen betrachtet und cichselzuckcnd beiseite geschoben worden, als ein namhafter Schriftsteller den Ver¬ fall des Theaters von dem Tage datirte, wo man begonnen habe, dem Schau¬ spieler die bürgerliche Gleichberechtigung einzuräumen. Auch wollen wir diese Anschauung nicht gerade zu der unsrigen machen; wir möchten aber konstatiren, daß sie immerhin einen Sinn hat. Die Selbstentäußerung, welche das Wesen eines dramatischen Künstlers ausmacht und von welcher auch Lessing und Tieck anerkannten, daß etwas Unmännliches, Verächtliches in ihr liege oder wenigstens sehr nahegerückt erscheine, wird offenbar begünstigt durch die gesellschaftliche Pariastellnng; und andrerseits hat die über alles vernünftige Maß hinaus¬ gehende Schauspieleranbetung, welche wir gegenwärtig so vielfach finden, offenbar die schlimmsten Neigungen der schauspielerischen Natur erst recht ins Kraut ge¬ trieben: die rücksichtslose Eigensucht, die nur für die eigne Person glänzen will und dabei nach der Gattung des Stückes und nach dem Verbleib der „dra¬ matischen Kunst" keinen Pfifferling fragt, den giftigen Küustlerneid, der stets zu den schwärzesten Schattenseiten schauspielerischer Verhältnisse gehört hat, den leidenschaftlichen Drang, ungezähltes Geld zu verdienen, fast immer gePart mit der Unfähigkeit, es festzuhalten. Daß das Virtuosentum zu deu bedenklichsten, einer gediegenen dramatischen Kunst nachteiligsten Erscheinungen gehört, ist längst zu einer banalen Redensart geworden — jedermann weiß es und giebt es zu, aber niemand richtet sich darnach. Ebenso ist es allgemein anerkannt, daß das Verdienst der „Meininger" zu ansehnlichem Teile in dem energischen Zwange besteht, mittelst dessen dort auch die größten „Künstler" und „Künstlerinnen" in den Rahmen des Stückes eingespannt worden sind; aber auch hier ist man weit davon entfernt, aus der anerkannten Wahrheit die Konsequenzen zu ziehen. Das Lange und Kurze an der Sache ist, daß die Würdigung des Theaters für das Alltagspublikum vollständig untergegangen ist in der Würdigung des Personals, und daß hierin die eigentliche Wurzel für die vielbeklagte Misere unsrer heutigen Thcaterzustände liegt. Man braucht nur die Theaterbesprechungcn unsrer öffentlichen Blätter an¬ zusehen und die Urteile des Publikums zu hören, um dies jedesmal aufs neue zu empfinden. Immer ist nur von Herrn X., Frau U., Fräulein Z. die Rede; vom Stücke selbst wird unter Umständen eine flüchtige Andeutung gemacht, von der Gesamtwirkung des Stückes erfahren wir gewöhnlich überhaupt nichts. Es ist uns oft der Gedanke gekommen, warum nicht bei Besprechung eines Konzerts ganz ebenso wie bei unsern Theaterbesprechnngen die einzelnen Musiker ihre ausführliche Erwähnung finden und das Gesamturteil auf ein paar Worte zu¬ sammengedrängt wird; wir sehen wirklich keinen Grund, warum dies nicht gerade¬ sogut geschehen könnte — gewiß wird aber niemand bezweifeln, daß darin, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/432>, abgerufen am 22.06.2024.