Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Etwas vom Theater.

es nicht geschieht, ein Vorzug der Musikbesprcchmigen vor den Thcater-
besprechungen liegt. Wir bestreiten aufs entschiedenste, daß das Wesen der
dramatischen Kunst dieses Hervordrängen der Darsteller verlange, behaupten
vielmehr, daß letzteres stets ein Zeichen der Entartung sein muß, und daß eine
blühende dramatische Kunst die Darsteller und Darstellerinnen von heute ge¬
waltig in den Hintergrund drängen würde.

Wir kommen hier noch einmal auf das Übermaß zurück, welches uns in
dem Umfange der heutigen journalistischen Befassung mit dem Theater zu liegen
scheint, und im Zusammenhange hiermit auf das Übermaß in der heutigen
Wertschätzung des Schauspielerstandes. Jede Woche ein paarmal hat Schreiber
dieses Gelegenheit, eine interessante Wahrnehmung zu machen. Ansehnliche Blätter
bringen aus irgendeiner Großstadt eine Korrespondenz, welche die dortigen
öffentlichen Zustände, die kommunale Entwicklung, die Formen des politischen
und gesellschaftlichen Lebens :c. schildern soll. Sehr oft nehmen diese Korre¬
spondenzen einen großartigen, vielversprechenden Anlauf. Aber -- hast du
nicht gesehen! -- auf einmal kommt der verehrliche Korrespondent aufs
Theater, und nun ist kein Halten mehr; und der geneigte Leser merkt zum
hundertsten- und tausendstenmale, daß, was er für eine lokale Korrespondenz
allgemeinen Charakters gehalten, in Wahrheit nur eine mit einigem sonstigen
Krimskrams verbrämte Theatcrkorrespondenz ist. Sollte das denn wirklich dem
realen Interesse entsprechen, welches das gesamte Publikum am Theater nimmt?
Wir bestreiten auch dies aufs entschiedenste. Nach unsrer Überzeugung würde
man, wenn die Menge der in einigermaßen ständiger Weise für das Theater
sich interessirenden Personen festgestellt werden könnte, zu einem lächerlich
kleinen Prozentsatz gelangen; und ebenso sind wir überzeugt, daß der Nicht-
theaterbesucher dadurch in keiner Weise eines wesentlichen oder selbst nur er¬
heblichen Bildungsfaktors beraubt wird -- es kann einer vom Theater kaum
etwas wissen, und gleichwohl in allen literarischen und künstlerischen Strömungen
unsrer Zeit recht befriedigend zu Hause sein. Nur eins allerdings entgeht diesen
Leuten: die Beobachtung der grauenhaften Öde des ästhetischen und sitt¬
lichen Standpunktes, wie solcher nur zu oft bei unserem Theaterpublikum zu
finden ist. Zum "Glück" und zu einem soliden Lebensgenusse aber ist diese
Kenntnis wahrlich entbehrlich. Wir glauben nicht, daß eine brave bürgerliche
Familie für sich und für die "Bildung" ihrer Söhne und Töchter etwas irgend
merkliches dadurch einbüßt, wenn das Theater ihr eine unbekannte Welt bleibt.
Zieht man vollends das lüsterne Interesse in betracht, welches den Per¬
sonen der Schauspieler und Schauspielerinnen von einem nur zu großen Teile
des Zuschauerpubliknms gewidmet zu werden Pflegt, so muß das Urteil über
den sittlichen und bildenden Wert des Theaterbesuchs (immer vorausgesetzt: wie
das Theater hente beschaffen ist) sich zu einem noch zweifelhafteren gestalten.
Damit hängt auch die Exposition der Bnhncnhelden und -Heldinnen in den


- Grenzboten III. 1384. L4
Etwas vom Theater.

es nicht geschieht, ein Vorzug der Musikbesprcchmigen vor den Thcater-
besprechungen liegt. Wir bestreiten aufs entschiedenste, daß das Wesen der
dramatischen Kunst dieses Hervordrängen der Darsteller verlange, behaupten
vielmehr, daß letzteres stets ein Zeichen der Entartung sein muß, und daß eine
blühende dramatische Kunst die Darsteller und Darstellerinnen von heute ge¬
waltig in den Hintergrund drängen würde.

Wir kommen hier noch einmal auf das Übermaß zurück, welches uns in
dem Umfange der heutigen journalistischen Befassung mit dem Theater zu liegen
scheint, und im Zusammenhange hiermit auf das Übermaß in der heutigen
Wertschätzung des Schauspielerstandes. Jede Woche ein paarmal hat Schreiber
dieses Gelegenheit, eine interessante Wahrnehmung zu machen. Ansehnliche Blätter
bringen aus irgendeiner Großstadt eine Korrespondenz, welche die dortigen
öffentlichen Zustände, die kommunale Entwicklung, die Formen des politischen
und gesellschaftlichen Lebens :c. schildern soll. Sehr oft nehmen diese Korre¬
spondenzen einen großartigen, vielversprechenden Anlauf. Aber — hast du
nicht gesehen! — auf einmal kommt der verehrliche Korrespondent aufs
Theater, und nun ist kein Halten mehr; und der geneigte Leser merkt zum
hundertsten- und tausendstenmale, daß, was er für eine lokale Korrespondenz
allgemeinen Charakters gehalten, in Wahrheit nur eine mit einigem sonstigen
Krimskrams verbrämte Theatcrkorrespondenz ist. Sollte das denn wirklich dem
realen Interesse entsprechen, welches das gesamte Publikum am Theater nimmt?
Wir bestreiten auch dies aufs entschiedenste. Nach unsrer Überzeugung würde
man, wenn die Menge der in einigermaßen ständiger Weise für das Theater
sich interessirenden Personen festgestellt werden könnte, zu einem lächerlich
kleinen Prozentsatz gelangen; und ebenso sind wir überzeugt, daß der Nicht-
theaterbesucher dadurch in keiner Weise eines wesentlichen oder selbst nur er¬
heblichen Bildungsfaktors beraubt wird — es kann einer vom Theater kaum
etwas wissen, und gleichwohl in allen literarischen und künstlerischen Strömungen
unsrer Zeit recht befriedigend zu Hause sein. Nur eins allerdings entgeht diesen
Leuten: die Beobachtung der grauenhaften Öde des ästhetischen und sitt¬
lichen Standpunktes, wie solcher nur zu oft bei unserem Theaterpublikum zu
finden ist. Zum „Glück" und zu einem soliden Lebensgenusse aber ist diese
Kenntnis wahrlich entbehrlich. Wir glauben nicht, daß eine brave bürgerliche
Familie für sich und für die „Bildung" ihrer Söhne und Töchter etwas irgend
merkliches dadurch einbüßt, wenn das Theater ihr eine unbekannte Welt bleibt.
Zieht man vollends das lüsterne Interesse in betracht, welches den Per¬
sonen der Schauspieler und Schauspielerinnen von einem nur zu großen Teile
des Zuschauerpubliknms gewidmet zu werden Pflegt, so muß das Urteil über
den sittlichen und bildenden Wert des Theaterbesuchs (immer vorausgesetzt: wie
das Theater hente beschaffen ist) sich zu einem noch zweifelhafteren gestalten.
Damit hängt auch die Exposition der Bnhncnhelden und -Heldinnen in den


- Grenzboten III. 1384. L4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0433" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156704"/>
          <fw type="header" place="top"> Etwas vom Theater.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1818" prev="#ID_1817"> es nicht geschieht, ein Vorzug der Musikbesprcchmigen vor den Thcater-<lb/>
besprechungen liegt. Wir bestreiten aufs entschiedenste, daß das Wesen der<lb/>
dramatischen Kunst dieses Hervordrängen der Darsteller verlange, behaupten<lb/>
vielmehr, daß letzteres stets ein Zeichen der Entartung sein muß, und daß eine<lb/>
blühende dramatische Kunst die Darsteller und Darstellerinnen von heute ge¬<lb/>
waltig in den Hintergrund drängen würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1819" next="#ID_1820"> Wir kommen hier noch einmal auf das Übermaß zurück, welches uns in<lb/>
dem Umfange der heutigen journalistischen Befassung mit dem Theater zu liegen<lb/>
scheint, und im Zusammenhange hiermit auf das Übermaß in der heutigen<lb/>
Wertschätzung des Schauspielerstandes. Jede Woche ein paarmal hat Schreiber<lb/>
dieses Gelegenheit, eine interessante Wahrnehmung zu machen. Ansehnliche Blätter<lb/>
bringen aus irgendeiner Großstadt eine Korrespondenz, welche die dortigen<lb/>
öffentlichen Zustände, die kommunale Entwicklung, die Formen des politischen<lb/>
und gesellschaftlichen Lebens :c. schildern soll. Sehr oft nehmen diese Korre¬<lb/>
spondenzen einen großartigen, vielversprechenden Anlauf. Aber &#x2014; hast du<lb/>
nicht gesehen! &#x2014; auf einmal kommt der verehrliche Korrespondent aufs<lb/>
Theater, und nun ist kein Halten mehr; und der geneigte Leser merkt zum<lb/>
hundertsten- und tausendstenmale, daß, was er für eine lokale Korrespondenz<lb/>
allgemeinen Charakters gehalten, in Wahrheit nur eine mit einigem sonstigen<lb/>
Krimskrams verbrämte Theatcrkorrespondenz ist. Sollte das denn wirklich dem<lb/>
realen Interesse entsprechen, welches das gesamte Publikum am Theater nimmt?<lb/>
Wir bestreiten auch dies aufs entschiedenste. Nach unsrer Überzeugung würde<lb/>
man, wenn die Menge der in einigermaßen ständiger Weise für das Theater<lb/>
sich interessirenden Personen festgestellt werden könnte, zu einem lächerlich<lb/>
kleinen Prozentsatz gelangen; und ebenso sind wir überzeugt, daß der Nicht-<lb/>
theaterbesucher dadurch in keiner Weise eines wesentlichen oder selbst nur er¬<lb/>
heblichen Bildungsfaktors beraubt wird &#x2014; es kann einer vom Theater kaum<lb/>
etwas wissen, und gleichwohl in allen literarischen und künstlerischen Strömungen<lb/>
unsrer Zeit recht befriedigend zu Hause sein. Nur eins allerdings entgeht diesen<lb/>
Leuten: die Beobachtung der grauenhaften Öde des ästhetischen und sitt¬<lb/>
lichen Standpunktes, wie solcher nur zu oft bei unserem Theaterpublikum zu<lb/>
finden ist. Zum &#x201E;Glück" und zu einem soliden Lebensgenusse aber ist diese<lb/>
Kenntnis wahrlich entbehrlich. Wir glauben nicht, daß eine brave bürgerliche<lb/>
Familie für sich und für die &#x201E;Bildung" ihrer Söhne und Töchter etwas irgend<lb/>
merkliches dadurch einbüßt, wenn das Theater ihr eine unbekannte Welt bleibt.<lb/>
Zieht man vollends das lüsterne Interesse in betracht, welches den Per¬<lb/>
sonen der Schauspieler und Schauspielerinnen von einem nur zu großen Teile<lb/>
des Zuschauerpubliknms gewidmet zu werden Pflegt, so muß das Urteil über<lb/>
den sittlichen und bildenden Wert des Theaterbesuchs (immer vorausgesetzt: wie<lb/>
das Theater hente beschaffen ist) sich zu einem noch zweifelhafteren gestalten.<lb/>
Damit hängt auch die Exposition der Bnhncnhelden und -Heldinnen in den</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> - Grenzboten III. 1384. L4</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0433] Etwas vom Theater. es nicht geschieht, ein Vorzug der Musikbesprcchmigen vor den Thcater- besprechungen liegt. Wir bestreiten aufs entschiedenste, daß das Wesen der dramatischen Kunst dieses Hervordrängen der Darsteller verlange, behaupten vielmehr, daß letzteres stets ein Zeichen der Entartung sein muß, und daß eine blühende dramatische Kunst die Darsteller und Darstellerinnen von heute ge¬ waltig in den Hintergrund drängen würde. Wir kommen hier noch einmal auf das Übermaß zurück, welches uns in dem Umfange der heutigen journalistischen Befassung mit dem Theater zu liegen scheint, und im Zusammenhange hiermit auf das Übermaß in der heutigen Wertschätzung des Schauspielerstandes. Jede Woche ein paarmal hat Schreiber dieses Gelegenheit, eine interessante Wahrnehmung zu machen. Ansehnliche Blätter bringen aus irgendeiner Großstadt eine Korrespondenz, welche die dortigen öffentlichen Zustände, die kommunale Entwicklung, die Formen des politischen und gesellschaftlichen Lebens :c. schildern soll. Sehr oft nehmen diese Korre¬ spondenzen einen großartigen, vielversprechenden Anlauf. Aber — hast du nicht gesehen! — auf einmal kommt der verehrliche Korrespondent aufs Theater, und nun ist kein Halten mehr; und der geneigte Leser merkt zum hundertsten- und tausendstenmale, daß, was er für eine lokale Korrespondenz allgemeinen Charakters gehalten, in Wahrheit nur eine mit einigem sonstigen Krimskrams verbrämte Theatcrkorrespondenz ist. Sollte das denn wirklich dem realen Interesse entsprechen, welches das gesamte Publikum am Theater nimmt? Wir bestreiten auch dies aufs entschiedenste. Nach unsrer Überzeugung würde man, wenn die Menge der in einigermaßen ständiger Weise für das Theater sich interessirenden Personen festgestellt werden könnte, zu einem lächerlich kleinen Prozentsatz gelangen; und ebenso sind wir überzeugt, daß der Nicht- theaterbesucher dadurch in keiner Weise eines wesentlichen oder selbst nur er¬ heblichen Bildungsfaktors beraubt wird — es kann einer vom Theater kaum etwas wissen, und gleichwohl in allen literarischen und künstlerischen Strömungen unsrer Zeit recht befriedigend zu Hause sein. Nur eins allerdings entgeht diesen Leuten: die Beobachtung der grauenhaften Öde des ästhetischen und sitt¬ lichen Standpunktes, wie solcher nur zu oft bei unserem Theaterpublikum zu finden ist. Zum „Glück" und zu einem soliden Lebensgenusse aber ist diese Kenntnis wahrlich entbehrlich. Wir glauben nicht, daß eine brave bürgerliche Familie für sich und für die „Bildung" ihrer Söhne und Töchter etwas irgend merkliches dadurch einbüßt, wenn das Theater ihr eine unbekannte Welt bleibt. Zieht man vollends das lüsterne Interesse in betracht, welches den Per¬ sonen der Schauspieler und Schauspielerinnen von einem nur zu großen Teile des Zuschauerpubliknms gewidmet zu werden Pflegt, so muß das Urteil über den sittlichen und bildenden Wert des Theaterbesuchs (immer vorausgesetzt: wie das Theater hente beschaffen ist) sich zu einem noch zweifelhafteren gestalten. Damit hängt auch die Exposition der Bnhncnhelden und -Heldinnen in den - Grenzboten III. 1384. L4

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/433
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/433>, abgerufen am 22.06.2024.