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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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David d'Angers.

enthielte, und sah darin eine Disharmonie der Komposition. "Nachdem das
Auge, so schrieb Gustav Planche, die verschiedenen Porträts, welche die linke
Seite einnehmen, erkannt hat, sucht es auch die Krieger zu erkennen, durch
welche David den kriegerischen Ruhm personifizirt hat, und dieses nutzlose
Studium schadet dem Gesamteindruck des Werkes." Die Ecken des Giebelfeldes
sind auf der eiuen Seite mit Studirenden der vier Fakultäten, auf der andern
Seite mit Schülern des Polytechnikums ausgefüllt: das ist die Jugend, "welche
sich durch das Studium auf die künftige Größe vorbereitet."

Aus der großen Zahl der Werke, welche David nach der Vollendung dieses
riesigen Hochreliefs geschaffen, heben wir noch die Statue des Schauspielers
Talma für das IlMtrs ti-g.n^i8, das Grabmal für Börne auf dem Pere Lachaise,
ein Bronzerelief, auf welchem Fmukreich und Deutschland, durch die Freiheit
geeinigt, dargestellt sind, die Marmorfigur des jungen Barra, des heldenmütigen
Trommlers aus den Vendeekriegen, die Denkmäler Jean Barts für Dünkirchen,
Cuviers für Montbeliard, Bernardin de Se. Pierres für Havre und des Königs
Rene von Anjou mit zwölf Bronzestatuetten für Angers hervor. Für die Ka¬
thedrale seiner Vaterstadt schuf er auch eine Marmorstatue der heiligen Cäcilia,
in welcher er die keusche Befangenheit des mittelalterlichen Stils sehr glücklich
traf. Zu gleicher Zeit mit dem Giebelfelde für das Pantheon (1837) vollendete
David eine Statue des Philopoemen für den Tuileriengarten, die aber inzwischen
zur besseren Erhaltung in den Louvre versetzt worden ist. Kein andres Werk
Davids ist so charakteristisch für sein Verhältnis zur Antike wie dieses. Der
Künstler wählte den Moment, wie der griechische Feldherr in der Schlacht bei
Sellasia einen Speer, welcher ihm den Schenkel durchbohrt hatte, mit rascher
Bewegung aus der Wunde zieht. Philopoemen war damals einunddreißig
Jahre alt, also in der vollen Kraft seiner Jugend. David hielt sich aber nicht
an die geschichtliche Wahrheit, sondern stellte den nackten Körper eines Mannes
von fünfzig Jahren unter dem Einfluß eines heftigen Schmerzes dar, weil es
seiner Neigung für das scharf Charakteristische und für das Pathologische mehr
zusagte, an einem alten Körper den Reichtum seiner anatomischen Kenntnisse
und die Virtuosität seiner Technik zu zeigen, als durch die Darstellung männ¬
licher Kraft einen ihm unliebsamen Vergleich mit der Antike herauszufordern.
Ein energischer, aber unschöner Naturalismus beherrscht die ganze Figur. Die
Haut ist durchfurcht und das Fleisch zerklüftet, und nirgends kommt es zu
festen, ruhigen Flächen, welche die Gesetze des edeln Stils verlangen. Von
rein naturalistischem Standpunkte betrachtet durfte freilich das Werk für die
Zeit seiner Entstehung eine große Bedeutung beanspruchen, und es gehört auch
zu einem der Marksteine in der Entwicklung des Naturalismus, welcher heute
in der Plastik immer mehr um sich greift und gegen die Stützen der akademischen
Richtung Sturm läuft.


David d'Angers.

enthielte, und sah darin eine Disharmonie der Komposition. „Nachdem das
Auge, so schrieb Gustav Planche, die verschiedenen Porträts, welche die linke
Seite einnehmen, erkannt hat, sucht es auch die Krieger zu erkennen, durch
welche David den kriegerischen Ruhm personifizirt hat, und dieses nutzlose
Studium schadet dem Gesamteindruck des Werkes." Die Ecken des Giebelfeldes
sind auf der eiuen Seite mit Studirenden der vier Fakultäten, auf der andern
Seite mit Schülern des Polytechnikums ausgefüllt: das ist die Jugend, „welche
sich durch das Studium auf die künftige Größe vorbereitet."

Aus der großen Zahl der Werke, welche David nach der Vollendung dieses
riesigen Hochreliefs geschaffen, heben wir noch die Statue des Schauspielers
Talma für das IlMtrs ti-g.n^i8, das Grabmal für Börne auf dem Pere Lachaise,
ein Bronzerelief, auf welchem Fmukreich und Deutschland, durch die Freiheit
geeinigt, dargestellt sind, die Marmorfigur des jungen Barra, des heldenmütigen
Trommlers aus den Vendeekriegen, die Denkmäler Jean Barts für Dünkirchen,
Cuviers für Montbeliard, Bernardin de Se. Pierres für Havre und des Königs
Rene von Anjou mit zwölf Bronzestatuetten für Angers hervor. Für die Ka¬
thedrale seiner Vaterstadt schuf er auch eine Marmorstatue der heiligen Cäcilia,
in welcher er die keusche Befangenheit des mittelalterlichen Stils sehr glücklich
traf. Zu gleicher Zeit mit dem Giebelfelde für das Pantheon (1837) vollendete
David eine Statue des Philopoemen für den Tuileriengarten, die aber inzwischen
zur besseren Erhaltung in den Louvre versetzt worden ist. Kein andres Werk
Davids ist so charakteristisch für sein Verhältnis zur Antike wie dieses. Der
Künstler wählte den Moment, wie der griechische Feldherr in der Schlacht bei
Sellasia einen Speer, welcher ihm den Schenkel durchbohrt hatte, mit rascher
Bewegung aus der Wunde zieht. Philopoemen war damals einunddreißig
Jahre alt, also in der vollen Kraft seiner Jugend. David hielt sich aber nicht
an die geschichtliche Wahrheit, sondern stellte den nackten Körper eines Mannes
von fünfzig Jahren unter dem Einfluß eines heftigen Schmerzes dar, weil es
seiner Neigung für das scharf Charakteristische und für das Pathologische mehr
zusagte, an einem alten Körper den Reichtum seiner anatomischen Kenntnisse
und die Virtuosität seiner Technik zu zeigen, als durch die Darstellung männ¬
licher Kraft einen ihm unliebsamen Vergleich mit der Antike herauszufordern.
Ein energischer, aber unschöner Naturalismus beherrscht die ganze Figur. Die
Haut ist durchfurcht und das Fleisch zerklüftet, und nirgends kommt es zu
festen, ruhigen Flächen, welche die Gesetze des edeln Stils verlangen. Von
rein naturalistischem Standpunkte betrachtet durfte freilich das Werk für die
Zeit seiner Entstehung eine große Bedeutung beanspruchen, und es gehört auch
zu einem der Marksteine in der Entwicklung des Naturalismus, welcher heute
in der Plastik immer mehr um sich greift und gegen die Stützen der akademischen
Richtung Sturm läuft.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/427>, abgerufen am 22.06.2024.