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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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David d'Angers.

Mit ausgebreiteten Armen reicht sie den Kriegern und den Männern des Friedens,
welche sich von beiden Seiten ruhmbegierig herandrängen, volle Lorberkränze dar.
Auf den Ecken des Podiums sitzt links die Freiheit mit der phrygischen Mütze,
welche dem Vaterlande neue Kränze zureicht, und rechts die Geschichte, welche
würdige Namen in ihr Buch einträgt. Die aus diesen drei Figuren gebildete
Gruppe ist von ruhiger, echt monumentaler Wirkung, wobei das Theatralische,
welches hier so nahe lag, auffallend glücklich vermieden worden ist. In den
Gruppen der von rechts und links sich nahenden Männer hat jedoch das
malerisch-realistische Element so entschieden die Oberhand, daß die Gesetze des
monumentalen Stils garnicht mehr beobachtet werden. Auf der Seite der
Staatsmänner, Gelehrten und Künstler herrscht merkwürdigerweise noch eine
größere Ordnung als in den Reihen der Krieger, welche durch ihre unförmlichen
Kopfbedeckungen eher grotesk, als imponirend und martialisch wirken. Selbst
die ungewöhnliche Virtuosität Davids war nicht imstande, die Bärenmütze des
Husaren, den Helm des Kürassiers, den Czako des Lanciers und des Artilleristen
und den Zwcispitz des Grenadiers der zweiunddreißigsten Halbbrigade für den
monumentalen Stil brauchbar zu machen. Er mochte diesen Mangel auch ein¬
gesehen haben und ließ daher die Hauptfigur dieser Seite, die einzige, welche
außer dem Tambour von Arcole einen historischen Namen trägt, Napoleon
Bonaparte, unbedeckten Hauptes. Während die Krieger in würdiger Zurück¬
haltung, wenngleich im vollen Bewußtsein ihrer Thaten, verharren, greift der
General der Republik -- nur diesen respektirte David, während er von dem
nachmaligen Kaiser nichts wissen wollte -- eilenden Schrittes und mit heftiger
Geberde nach dem dargebotenen Kranze. Wie hier die Armee der Revolution,
so sind auf der andern Seite -- mit einer Ausnahme -- diejenigen Männer
verherrlicht, deren Geisteskräfte in den Anschauungen der Revolution wurzeln,
Malesherbes, Mirabeau, der Parlamentsredner Manuel, dann Carnot, Berthollet,
Laplace, Monge, David der Maler, Cuvier, Lafayette, Voltaire, Rousseau und
der Arzt Bichat, welcher seinen Traktat über das Leben und den Tod auf dem
Altare des Vaterlands niederlegt. Wie kommt aber Fenelon unter diese
Männer? Diese Frage wurde schon bei der Vollendung des Giebelfeldes
häufig aufgeworfen, ohne eine genügende Antwort zu finden. Und nicht bloß
diese eine Figur, sondern die ganze Gruppe der linken Seite wurde zum Gegen¬
stande einer abfälligen Kritik gemacht. Man tadelte mit Recht die Willkür des
Künstlers und nannte hundert Namen, deren Träger viel eher die Ehre ver¬
dient hätten, unter die großen Männer aufgenommen zu werden, welchen das
Vaterland seinen Dank spendet. In der That ist David bei der Auswahl der
Männer viel zu sehr seinen persönlichen Neigungen gefolgt. Der leidenschaft¬
liche Verehrer der Revolution von 1789 ignorirte alles, was nicht mit dieser
Revolution unmittelbar oder mittelbar zusammenhing. Man tadelte ferner, daß
die rechte Seite, mit Ausnahme Napoleons, lauter unbekannte Persönlichkeiten


David d'Angers.

Mit ausgebreiteten Armen reicht sie den Kriegern und den Männern des Friedens,
welche sich von beiden Seiten ruhmbegierig herandrängen, volle Lorberkränze dar.
Auf den Ecken des Podiums sitzt links die Freiheit mit der phrygischen Mütze,
welche dem Vaterlande neue Kränze zureicht, und rechts die Geschichte, welche
würdige Namen in ihr Buch einträgt. Die aus diesen drei Figuren gebildete
Gruppe ist von ruhiger, echt monumentaler Wirkung, wobei das Theatralische,
welches hier so nahe lag, auffallend glücklich vermieden worden ist. In den
Gruppen der von rechts und links sich nahenden Männer hat jedoch das
malerisch-realistische Element so entschieden die Oberhand, daß die Gesetze des
monumentalen Stils garnicht mehr beobachtet werden. Auf der Seite der
Staatsmänner, Gelehrten und Künstler herrscht merkwürdigerweise noch eine
größere Ordnung als in den Reihen der Krieger, welche durch ihre unförmlichen
Kopfbedeckungen eher grotesk, als imponirend und martialisch wirken. Selbst
die ungewöhnliche Virtuosität Davids war nicht imstande, die Bärenmütze des
Husaren, den Helm des Kürassiers, den Czako des Lanciers und des Artilleristen
und den Zwcispitz des Grenadiers der zweiunddreißigsten Halbbrigade für den
monumentalen Stil brauchbar zu machen. Er mochte diesen Mangel auch ein¬
gesehen haben und ließ daher die Hauptfigur dieser Seite, die einzige, welche
außer dem Tambour von Arcole einen historischen Namen trägt, Napoleon
Bonaparte, unbedeckten Hauptes. Während die Krieger in würdiger Zurück¬
haltung, wenngleich im vollen Bewußtsein ihrer Thaten, verharren, greift der
General der Republik — nur diesen respektirte David, während er von dem
nachmaligen Kaiser nichts wissen wollte — eilenden Schrittes und mit heftiger
Geberde nach dem dargebotenen Kranze. Wie hier die Armee der Revolution,
so sind auf der andern Seite — mit einer Ausnahme — diejenigen Männer
verherrlicht, deren Geisteskräfte in den Anschauungen der Revolution wurzeln,
Malesherbes, Mirabeau, der Parlamentsredner Manuel, dann Carnot, Berthollet,
Laplace, Monge, David der Maler, Cuvier, Lafayette, Voltaire, Rousseau und
der Arzt Bichat, welcher seinen Traktat über das Leben und den Tod auf dem
Altare des Vaterlands niederlegt. Wie kommt aber Fenelon unter diese
Männer? Diese Frage wurde schon bei der Vollendung des Giebelfeldes
häufig aufgeworfen, ohne eine genügende Antwort zu finden. Und nicht bloß
diese eine Figur, sondern die ganze Gruppe der linken Seite wurde zum Gegen¬
stande einer abfälligen Kritik gemacht. Man tadelte mit Recht die Willkür des
Künstlers und nannte hundert Namen, deren Träger viel eher die Ehre ver¬
dient hätten, unter die großen Männer aufgenommen zu werden, welchen das
Vaterland seinen Dank spendet. In der That ist David bei der Auswahl der
Männer viel zu sehr seinen persönlichen Neigungen gefolgt. Der leidenschaft¬
liche Verehrer der Revolution von 1789 ignorirte alles, was nicht mit dieser
Revolution unmittelbar oder mittelbar zusammenhing. Man tadelte ferner, daß
die rechte Seite, mit Ausnahme Napoleons, lauter unbekannte Persönlichkeiten


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[0426] David d'Angers. Mit ausgebreiteten Armen reicht sie den Kriegern und den Männern des Friedens, welche sich von beiden Seiten ruhmbegierig herandrängen, volle Lorberkränze dar. Auf den Ecken des Podiums sitzt links die Freiheit mit der phrygischen Mütze, welche dem Vaterlande neue Kränze zureicht, und rechts die Geschichte, welche würdige Namen in ihr Buch einträgt. Die aus diesen drei Figuren gebildete Gruppe ist von ruhiger, echt monumentaler Wirkung, wobei das Theatralische, welches hier so nahe lag, auffallend glücklich vermieden worden ist. In den Gruppen der von rechts und links sich nahenden Männer hat jedoch das malerisch-realistische Element so entschieden die Oberhand, daß die Gesetze des monumentalen Stils garnicht mehr beobachtet werden. Auf der Seite der Staatsmänner, Gelehrten und Künstler herrscht merkwürdigerweise noch eine größere Ordnung als in den Reihen der Krieger, welche durch ihre unförmlichen Kopfbedeckungen eher grotesk, als imponirend und martialisch wirken. Selbst die ungewöhnliche Virtuosität Davids war nicht imstande, die Bärenmütze des Husaren, den Helm des Kürassiers, den Czako des Lanciers und des Artilleristen und den Zwcispitz des Grenadiers der zweiunddreißigsten Halbbrigade für den monumentalen Stil brauchbar zu machen. Er mochte diesen Mangel auch ein¬ gesehen haben und ließ daher die Hauptfigur dieser Seite, die einzige, welche außer dem Tambour von Arcole einen historischen Namen trägt, Napoleon Bonaparte, unbedeckten Hauptes. Während die Krieger in würdiger Zurück¬ haltung, wenngleich im vollen Bewußtsein ihrer Thaten, verharren, greift der General der Republik — nur diesen respektirte David, während er von dem nachmaligen Kaiser nichts wissen wollte — eilenden Schrittes und mit heftiger Geberde nach dem dargebotenen Kranze. Wie hier die Armee der Revolution, so sind auf der andern Seite — mit einer Ausnahme — diejenigen Männer verherrlicht, deren Geisteskräfte in den Anschauungen der Revolution wurzeln, Malesherbes, Mirabeau, der Parlamentsredner Manuel, dann Carnot, Berthollet, Laplace, Monge, David der Maler, Cuvier, Lafayette, Voltaire, Rousseau und der Arzt Bichat, welcher seinen Traktat über das Leben und den Tod auf dem Altare des Vaterlands niederlegt. Wie kommt aber Fenelon unter diese Männer? Diese Frage wurde schon bei der Vollendung des Giebelfeldes häufig aufgeworfen, ohne eine genügende Antwort zu finden. Und nicht bloß diese eine Figur, sondern die ganze Gruppe der linken Seite wurde zum Gegen¬ stande einer abfälligen Kritik gemacht. Man tadelte mit Recht die Willkür des Künstlers und nannte hundert Namen, deren Träger viel eher die Ehre ver¬ dient hätten, unter die großen Männer aufgenommen zu werden, welchen das Vaterland seinen Dank spendet. In der That ist David bei der Auswahl der Männer viel zu sehr seinen persönlichen Neigungen gefolgt. Der leidenschaft¬ liche Verehrer der Revolution von 1789 ignorirte alles, was nicht mit dieser Revolution unmittelbar oder mittelbar zusammenhing. Man tadelte ferner, daß die rechte Seite, mit Ausnahme Napoleons, lauter unbekannte Persönlichkeiten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/426>, abgerufen am 22.06.2024.