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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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David d'Angers.

früher zur Herrschaft als in Deutschland, wo wir noch bis in die Mitte der
sechziger Jahre einer sentimentalen, charakterlosen Auffassung des Porträts be¬
gegnen. An Ausnahmen hat es hier wie dort nicht gefehlt, und wie in Deutsch¬
land Franz Krüger und Adolf Menzel schon frühzeitig das Charakteristische
der Einzelerscheinung über das Typische stellten, so hat es auch in Frankreich
Künstler gegeben, welche nicht immer der allgemeinen Zeitstimmung ihren Tribut
zollten.

Zu ihnen gehörte auch David d'Angers, welcher in der Statue Jeffersons,
des Verfassers der Unabhängigkeitserkläruug der nordamerikanischen Union, und
in der schon erwähnten Grabfigur des Marschalls Gouvion Se. Cyr Werke
geschaffen hat, welche von dem Geiste eines freien Realismus erfüllt sind. Auch
das Standbild Corneilles auf der Rhoncbrücke in Lyon würde in diese Reihe
gehören, wenn David die Einfachheit der monumentalen Erscheinung nicht durch
das Streben nach malerischen und theatralischen Effekten wieder aufgehoben
hätte. Die Art, wie der Tragiker den rechten Fuß vorsetzt, ist nicht genügend
dnrch den Moment der Inspiration motivirt, welchen der Künstler zum Gegen¬
stande seiner Darstellung gewählt hat, und das Wirrsaal der Falten des Man¬
tels, der ebensogut hätte fehlen können, läßt es nirgends zu einer ruhigen Linie
kommen. Gleichwohl ist auch diese Statue ein charakteristisches Beispiel für die
Meisterschaft, mit welcher David das moderne Kostüm zu behandeln wußte.
In der übermäßigen Betonung der Stirn erkennt man wieder den überzengungs-
vollen Phrenologen, der hier noch nicht soweit gegangen ist wie bei den Statuen
Guttenbergs für Straßburg, des Leibarztes Napoleons I. Larrey im Hofe vor
der Kirche Val de Grilce in Paris und des Agronomen Matthieu de Dombasle
für Nancy, bei welchem sich der Künstler wieder bis zur Abnormität des
Wasserkopfes verstiegen hat.

Als die Kirche Sie. Genevieve nach der Thronbesteigung Louis Philipps
wieder zum Nationalheiligtnm der Revolution gemacht und der Beschluß gefaßt
wurde, in dem plastischen Schmucke des Giebelfeldes über der Vorhalle diese
Bestimmung zum Ausdruck zu bringen, erschien es geboten, diese Aufgabe David
zu übertragen, welcher seine Befähigung für dieselbe mehr als jeder andre Bild¬
hauer Frankreichs durch die plastische Verherrlichung so vieler großen Männer
der Nation nachgewiesen hatte. Die noch aus der Zeit der ersten Revolution
herrührende, später entfernte und seit 1830 wieder aufgefrischte Inschrift: ^.ux
Frg-nah uominss ig, xs-trio revounaissants (Den großen Männern das dankbare
Vaterland) gab dem Künstler das Thema an, welches er in seinem Hochrelief
zu behandeln hatte: eine Verherrlichung aller nationalen Tugenden unter der
Ägide des Vaterlandes. Dieses selbst, eine hohe Frauengestalt in griechischem
Gewände, dessen Faltenwurf einfacher, großartiger und stilvoller angeordnet ist,
als es sonst der lebhafte Naturalismus Davids zuließ, steht auf einem Podium
in der Mitte der sechs Meter hohen und über dreißig Meter langen Komposition.


Grenzboten III. 1884. 53
David d'Angers.

früher zur Herrschaft als in Deutschland, wo wir noch bis in die Mitte der
sechziger Jahre einer sentimentalen, charakterlosen Auffassung des Porträts be¬
gegnen. An Ausnahmen hat es hier wie dort nicht gefehlt, und wie in Deutsch¬
land Franz Krüger und Adolf Menzel schon frühzeitig das Charakteristische
der Einzelerscheinung über das Typische stellten, so hat es auch in Frankreich
Künstler gegeben, welche nicht immer der allgemeinen Zeitstimmung ihren Tribut
zollten.

Zu ihnen gehörte auch David d'Angers, welcher in der Statue Jeffersons,
des Verfassers der Unabhängigkeitserkläruug der nordamerikanischen Union, und
in der schon erwähnten Grabfigur des Marschalls Gouvion Se. Cyr Werke
geschaffen hat, welche von dem Geiste eines freien Realismus erfüllt sind. Auch
das Standbild Corneilles auf der Rhoncbrücke in Lyon würde in diese Reihe
gehören, wenn David die Einfachheit der monumentalen Erscheinung nicht durch
das Streben nach malerischen und theatralischen Effekten wieder aufgehoben
hätte. Die Art, wie der Tragiker den rechten Fuß vorsetzt, ist nicht genügend
dnrch den Moment der Inspiration motivirt, welchen der Künstler zum Gegen¬
stande seiner Darstellung gewählt hat, und das Wirrsaal der Falten des Man¬
tels, der ebensogut hätte fehlen können, läßt es nirgends zu einer ruhigen Linie
kommen. Gleichwohl ist auch diese Statue ein charakteristisches Beispiel für die
Meisterschaft, mit welcher David das moderne Kostüm zu behandeln wußte.
In der übermäßigen Betonung der Stirn erkennt man wieder den überzengungs-
vollen Phrenologen, der hier noch nicht soweit gegangen ist wie bei den Statuen
Guttenbergs für Straßburg, des Leibarztes Napoleons I. Larrey im Hofe vor
der Kirche Val de Grilce in Paris und des Agronomen Matthieu de Dombasle
für Nancy, bei welchem sich der Künstler wieder bis zur Abnormität des
Wasserkopfes verstiegen hat.

Als die Kirche Sie. Genevieve nach der Thronbesteigung Louis Philipps
wieder zum Nationalheiligtnm der Revolution gemacht und der Beschluß gefaßt
wurde, in dem plastischen Schmucke des Giebelfeldes über der Vorhalle diese
Bestimmung zum Ausdruck zu bringen, erschien es geboten, diese Aufgabe David
zu übertragen, welcher seine Befähigung für dieselbe mehr als jeder andre Bild¬
hauer Frankreichs durch die plastische Verherrlichung so vieler großen Männer
der Nation nachgewiesen hatte. Die noch aus der Zeit der ersten Revolution
herrührende, später entfernte und seit 1830 wieder aufgefrischte Inschrift: ^.ux
Frg-nah uominss ig, xs-trio revounaissants (Den großen Männern das dankbare
Vaterland) gab dem Künstler das Thema an, welches er in seinem Hochrelief
zu behandeln hatte: eine Verherrlichung aller nationalen Tugenden unter der
Ägide des Vaterlandes. Dieses selbst, eine hohe Frauengestalt in griechischem
Gewände, dessen Faltenwurf einfacher, großartiger und stilvoller angeordnet ist,
als es sonst der lebhafte Naturalismus Davids zuließ, steht auf einem Podium
in der Mitte der sechs Meter hohen und über dreißig Meter langen Komposition.


Grenzboten III. 1884. 53
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[0425] David d'Angers. früher zur Herrschaft als in Deutschland, wo wir noch bis in die Mitte der sechziger Jahre einer sentimentalen, charakterlosen Auffassung des Porträts be¬ gegnen. An Ausnahmen hat es hier wie dort nicht gefehlt, und wie in Deutsch¬ land Franz Krüger und Adolf Menzel schon frühzeitig das Charakteristische der Einzelerscheinung über das Typische stellten, so hat es auch in Frankreich Künstler gegeben, welche nicht immer der allgemeinen Zeitstimmung ihren Tribut zollten. Zu ihnen gehörte auch David d'Angers, welcher in der Statue Jeffersons, des Verfassers der Unabhängigkeitserkläruug der nordamerikanischen Union, und in der schon erwähnten Grabfigur des Marschalls Gouvion Se. Cyr Werke geschaffen hat, welche von dem Geiste eines freien Realismus erfüllt sind. Auch das Standbild Corneilles auf der Rhoncbrücke in Lyon würde in diese Reihe gehören, wenn David die Einfachheit der monumentalen Erscheinung nicht durch das Streben nach malerischen und theatralischen Effekten wieder aufgehoben hätte. Die Art, wie der Tragiker den rechten Fuß vorsetzt, ist nicht genügend dnrch den Moment der Inspiration motivirt, welchen der Künstler zum Gegen¬ stande seiner Darstellung gewählt hat, und das Wirrsaal der Falten des Man¬ tels, der ebensogut hätte fehlen können, läßt es nirgends zu einer ruhigen Linie kommen. Gleichwohl ist auch diese Statue ein charakteristisches Beispiel für die Meisterschaft, mit welcher David das moderne Kostüm zu behandeln wußte. In der übermäßigen Betonung der Stirn erkennt man wieder den überzengungs- vollen Phrenologen, der hier noch nicht soweit gegangen ist wie bei den Statuen Guttenbergs für Straßburg, des Leibarztes Napoleons I. Larrey im Hofe vor der Kirche Val de Grilce in Paris und des Agronomen Matthieu de Dombasle für Nancy, bei welchem sich der Künstler wieder bis zur Abnormität des Wasserkopfes verstiegen hat. Als die Kirche Sie. Genevieve nach der Thronbesteigung Louis Philipps wieder zum Nationalheiligtnm der Revolution gemacht und der Beschluß gefaßt wurde, in dem plastischen Schmucke des Giebelfeldes über der Vorhalle diese Bestimmung zum Ausdruck zu bringen, erschien es geboten, diese Aufgabe David zu übertragen, welcher seine Befähigung für dieselbe mehr als jeder andre Bild¬ hauer Frankreichs durch die plastische Verherrlichung so vieler großen Männer der Nation nachgewiesen hatte. Die noch aus der Zeit der ersten Revolution herrührende, später entfernte und seit 1830 wieder aufgefrischte Inschrift: ^.ux Frg-nah uominss ig, xs-trio revounaissants (Den großen Männern das dankbare Vaterland) gab dem Künstler das Thema an, welches er in seinem Hochrelief zu behandeln hatte: eine Verherrlichung aller nationalen Tugenden unter der Ägide des Vaterlandes. Dieses selbst, eine hohe Frauengestalt in griechischem Gewände, dessen Faltenwurf einfacher, großartiger und stilvoller angeordnet ist, als es sonst der lebhafte Naturalismus Davids zuließ, steht auf einem Podium in der Mitte der sechs Meter hohen und über dreißig Meter langen Komposition. Grenzboten III. 1884. 53

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/425>, abgerufen am 22.06.2024.