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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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David d'Angers.

ihm ruht ein leichter Hauch von Sentimentalität, welcher den meisten Kunst¬
werken aus den zwanziger, dreißiger und vierziger Jahren eigentümlich ist.
Wenn man diese auffallende Erscheinung, welche sich am deutlichsten in den
Bildnissen zu erkennen giebt, erklären will, ist man geneigt, den Grund derselben
in dem sogenannten Weltschmerze zu suchen, welcher einen großen Teil der
Literatur jener Epoche beherrschte. Da jedoch auch bildende Künstler, welche
der literarischen Bewegung völlig fernstanden, ihren Werken ebenfalls das
Gepräge einer weichherzigen Empfindsamkeit und einer melancholischen Resigna¬
tion gaben, erklärt sich diese Erscheinung vielmehr aus den allgemeinen Zeit¬
verhältnissen. Ein Geschlecht, welches ebenso thatendurstig war als das unsrige,
sah sich entweder unter dem Druck der Reaktion zu trauriger Unthütigkeit ver¬
dammt, oder es zersplitterte seine Kraft in nutzlosen Unternehmungen, in Revo¬
lutionen, deren Errungenschaften durch ihre eiguen Urheber am schnellsten preis¬
gegeben wurden. Das beständige Mißverhältnis zwischen Wollen und Können
rief allmählich in den höhern, auf die Kunst einwirkenden Gesellschaftskreisen
eine Stimmung des ungestillten Sehnens, des Mißvergnügens und der Hoff¬
nungslosigkeit hervor, welche in der Literatur zur Krankheit des "Weltschmerzes"
führte, welche aber ebensogut ihren Einfluß auf die Tracht, die Mode, das
öffentliche Leben, auf deu geselligen Verkehr, auf die Körperhaltung, die Frisur,
kurz, auf alle Äußerungen des menschlichen Kulturlebens übte. Insbesondre
waren die Mitglieder der unterdrückten Nationen, Griechen und Polen, die
typischen Träger dieser allgemeinen Stimmung, und als die Griechen befreit
waren und nach dem erfolgten Befreiungswerke, unfähig, die Zeit arbeitsamen
Friedens zu ertragen, ihre Kräfte in parlamentarischen Diskussionen und bürger¬
lichen Unruhen verzettelten, blieben die Polen allein als der Gegenstand des
allgemeinen europäischen Mitleids übrig. Auf die Zeit der Hellenophilen folgte
die Epoche der Polcnmanie: beide trugen deu gleichen Charakter der Unentschieden-
heit, eines Übermaßes von Reflexion und eines Mangels an realistisch-praktischer
Anschauung der Verhältnisse. Diesen Zeitcharaktcr kann man bis in seine kleinsten
Einzelheiten aus den Porträts herausstudiren. Selbst im Antlitze eines Mannes
wie Heinrich Heine, welcher den Weltschmerz mit allen Waffen des Spottes
und der Ironie bekämpfte, findet man die auf die gemeinsame Zeitkrankheit
deutenden Züge. Auch die Revolution von 1843 erzeugte noch kein neues Ge¬
schlecht. Erst seit dem Beginn der fünfziger Jahre, als sich in Frankreich unter
der Herrschaft Napoleons III. die Gesellschaft, wenn auch keineswegs in gesundem
Sinne, erneuerte und die Eroberungspolitik des Franzosenkaisers in der be¬
rufenen Vormacht Deutschlands zu einer Konzentration aller Kräfte auf praktische
Ziele und auf den Schutz der Heimat führte, vollzog sich allmählich ein Um¬
schwung in der europäischen Gesellschaft, welcher auch auf die Kunst einen ent¬
scheidenden Einfluß übte und die idealistische Strömung unter der realistischen
verschwinden ließ. In Frankreich gelangte demzufolge der Realismus auch


David d'Angers.

ihm ruht ein leichter Hauch von Sentimentalität, welcher den meisten Kunst¬
werken aus den zwanziger, dreißiger und vierziger Jahren eigentümlich ist.
Wenn man diese auffallende Erscheinung, welche sich am deutlichsten in den
Bildnissen zu erkennen giebt, erklären will, ist man geneigt, den Grund derselben
in dem sogenannten Weltschmerze zu suchen, welcher einen großen Teil der
Literatur jener Epoche beherrschte. Da jedoch auch bildende Künstler, welche
der literarischen Bewegung völlig fernstanden, ihren Werken ebenfalls das
Gepräge einer weichherzigen Empfindsamkeit und einer melancholischen Resigna¬
tion gaben, erklärt sich diese Erscheinung vielmehr aus den allgemeinen Zeit¬
verhältnissen. Ein Geschlecht, welches ebenso thatendurstig war als das unsrige,
sah sich entweder unter dem Druck der Reaktion zu trauriger Unthütigkeit ver¬
dammt, oder es zersplitterte seine Kraft in nutzlosen Unternehmungen, in Revo¬
lutionen, deren Errungenschaften durch ihre eiguen Urheber am schnellsten preis¬
gegeben wurden. Das beständige Mißverhältnis zwischen Wollen und Können
rief allmählich in den höhern, auf die Kunst einwirkenden Gesellschaftskreisen
eine Stimmung des ungestillten Sehnens, des Mißvergnügens und der Hoff¬
nungslosigkeit hervor, welche in der Literatur zur Krankheit des „Weltschmerzes"
führte, welche aber ebensogut ihren Einfluß auf die Tracht, die Mode, das
öffentliche Leben, auf deu geselligen Verkehr, auf die Körperhaltung, die Frisur,
kurz, auf alle Äußerungen des menschlichen Kulturlebens übte. Insbesondre
waren die Mitglieder der unterdrückten Nationen, Griechen und Polen, die
typischen Träger dieser allgemeinen Stimmung, und als die Griechen befreit
waren und nach dem erfolgten Befreiungswerke, unfähig, die Zeit arbeitsamen
Friedens zu ertragen, ihre Kräfte in parlamentarischen Diskussionen und bürger¬
lichen Unruhen verzettelten, blieben die Polen allein als der Gegenstand des
allgemeinen europäischen Mitleids übrig. Auf die Zeit der Hellenophilen folgte
die Epoche der Polcnmanie: beide trugen deu gleichen Charakter der Unentschieden-
heit, eines Übermaßes von Reflexion und eines Mangels an realistisch-praktischer
Anschauung der Verhältnisse. Diesen Zeitcharaktcr kann man bis in seine kleinsten
Einzelheiten aus den Porträts herausstudiren. Selbst im Antlitze eines Mannes
wie Heinrich Heine, welcher den Weltschmerz mit allen Waffen des Spottes
und der Ironie bekämpfte, findet man die auf die gemeinsame Zeitkrankheit
deutenden Züge. Auch die Revolution von 1843 erzeugte noch kein neues Ge¬
schlecht. Erst seit dem Beginn der fünfziger Jahre, als sich in Frankreich unter
der Herrschaft Napoleons III. die Gesellschaft, wenn auch keineswegs in gesundem
Sinne, erneuerte und die Eroberungspolitik des Franzosenkaisers in der be¬
rufenen Vormacht Deutschlands zu einer Konzentration aller Kräfte auf praktische
Ziele und auf den Schutz der Heimat führte, vollzog sich allmählich ein Um¬
schwung in der europäischen Gesellschaft, welcher auch auf die Kunst einen ent¬
scheidenden Einfluß übte und die idealistische Strömung unter der realistischen
verschwinden ließ. In Frankreich gelangte demzufolge der Realismus auch


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[0424] David d'Angers. ihm ruht ein leichter Hauch von Sentimentalität, welcher den meisten Kunst¬ werken aus den zwanziger, dreißiger und vierziger Jahren eigentümlich ist. Wenn man diese auffallende Erscheinung, welche sich am deutlichsten in den Bildnissen zu erkennen giebt, erklären will, ist man geneigt, den Grund derselben in dem sogenannten Weltschmerze zu suchen, welcher einen großen Teil der Literatur jener Epoche beherrschte. Da jedoch auch bildende Künstler, welche der literarischen Bewegung völlig fernstanden, ihren Werken ebenfalls das Gepräge einer weichherzigen Empfindsamkeit und einer melancholischen Resigna¬ tion gaben, erklärt sich diese Erscheinung vielmehr aus den allgemeinen Zeit¬ verhältnissen. Ein Geschlecht, welches ebenso thatendurstig war als das unsrige, sah sich entweder unter dem Druck der Reaktion zu trauriger Unthütigkeit ver¬ dammt, oder es zersplitterte seine Kraft in nutzlosen Unternehmungen, in Revo¬ lutionen, deren Errungenschaften durch ihre eiguen Urheber am schnellsten preis¬ gegeben wurden. Das beständige Mißverhältnis zwischen Wollen und Können rief allmählich in den höhern, auf die Kunst einwirkenden Gesellschaftskreisen eine Stimmung des ungestillten Sehnens, des Mißvergnügens und der Hoff¬ nungslosigkeit hervor, welche in der Literatur zur Krankheit des „Weltschmerzes" führte, welche aber ebensogut ihren Einfluß auf die Tracht, die Mode, das öffentliche Leben, auf deu geselligen Verkehr, auf die Körperhaltung, die Frisur, kurz, auf alle Äußerungen des menschlichen Kulturlebens übte. Insbesondre waren die Mitglieder der unterdrückten Nationen, Griechen und Polen, die typischen Träger dieser allgemeinen Stimmung, und als die Griechen befreit waren und nach dem erfolgten Befreiungswerke, unfähig, die Zeit arbeitsamen Friedens zu ertragen, ihre Kräfte in parlamentarischen Diskussionen und bürger¬ lichen Unruhen verzettelten, blieben die Polen allein als der Gegenstand des allgemeinen europäischen Mitleids übrig. Auf die Zeit der Hellenophilen folgte die Epoche der Polcnmanie: beide trugen deu gleichen Charakter der Unentschieden- heit, eines Übermaßes von Reflexion und eines Mangels an realistisch-praktischer Anschauung der Verhältnisse. Diesen Zeitcharaktcr kann man bis in seine kleinsten Einzelheiten aus den Porträts herausstudiren. Selbst im Antlitze eines Mannes wie Heinrich Heine, welcher den Weltschmerz mit allen Waffen des Spottes und der Ironie bekämpfte, findet man die auf die gemeinsame Zeitkrankheit deutenden Züge. Auch die Revolution von 1843 erzeugte noch kein neues Ge¬ schlecht. Erst seit dem Beginn der fünfziger Jahre, als sich in Frankreich unter der Herrschaft Napoleons III. die Gesellschaft, wenn auch keineswegs in gesundem Sinne, erneuerte und die Eroberungspolitik des Franzosenkaisers in der be¬ rufenen Vormacht Deutschlands zu einer Konzentration aller Kräfte auf praktische Ziele und auf den Schutz der Heimat führte, vollzog sich allmählich ein Um¬ schwung in der europäischen Gesellschaft, welcher auch auf die Kunst einen ent¬ scheidenden Einfluß übte und die idealistische Strömung unter der realistischen verschwinden ließ. In Frankreich gelangte demzufolge der Realismus auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/424>, abgerufen am 22.06.2024.