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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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David d'Angers.

alte Methoden abgeschafft werden und alte Lieder, deren poetischer Wert mehr
als zweifelhaft ist, nicht mehr gesungen werden sollten.

Bei Gelegenheit des mehrerwähnten Jubiläums bezeichnete der Herzog
Ernst von Coburg die Anstalt als eine solche, die Liebe gesät und Liebe ge¬
erntet habe. Das ist die Seele des Salzmannschen Werkes.




David d'Angers.
(Schluß.)

er ideale Schwung der Natur d'Angers, der ihn stets auf die
Seite der Unterdrückten und Bedrängten führte, ließ ihn auch
frühzeitig ein lebhaftes Interesse an dem Unabhängigkeitskampfe
der Griechen gewinnen. Mit großer Spannung folgte er den
Wechselfällen des Kampfes um Missolunghi: Moark Botzaris
war sein Heros, und als er dessen Heldentod im Lager der Türken erfuhr, be-
schloß er, ihm ein Denkmal zu errichten, welches seine "tiefe Bewunderung für
den großen Mann würdig zum Ausdruck bringe." Lange Zeit trug er sich
mit diesem Plane, ohne jedoch das Nichtige zu finden, da er eine zu pathetische
Allegorie nicht wollte. Da besuchte er eines Tages einen Kirchhof und be¬
merkte ein kleines Mädchen, welches ans einer Grabplatte kniete und mit dem
Finger die Inschrift derselben zu entziffern suchte. Jetzt hatte er seine Kom¬
position gefunden.

"Ich habe ein junges Mädchen gewählt, so schrieb er, weil ein reines
Herz fast immer für Ideale empfänglich ist. . . . Meine junge Griechin befindet
sich in jenem Alter des Überganges, in welchem sich die Natur zu einem festen
und bestimmten Organismus entwickeln will. Ist sie nicht das Abbild Griechen¬
lands?" Völlig unbekleidet ruht das Mädchen auf dem Grabsteine. Der schmäch¬
tige Oberkörper ist halb aufgerichtet und aus die Arme gestützt, und unter den
Beinen liegt das abgestreifte Gewand. Mit der linken Hand schiebt es den
Lorberzwcig hinweg, welcher die Inschrift verdeckt hat, und deutet mit dem
Zeigefinger der rechten Hand auf die Buchstaben der Inschrift, deren Sinn es
zu entziffern sucht. Der jugendliche Körper ist mit außerordentlicher Sorgfalt
nach der Natur durchgebildet, ohne daß die Modellrealität allzu stark in den
Vordergrund tritt. Der Gesichtsausdruck ist von naivem Liebreiz, und die Um¬
risse des Körpers sind von angenehmem Rhythmus der Linien. Gleichwohl ist
dieses Werk keine freie, von Ort und Zeit unabhängige Schöpfung. Auch auf


David d'Angers.

alte Methoden abgeschafft werden und alte Lieder, deren poetischer Wert mehr
als zweifelhaft ist, nicht mehr gesungen werden sollten.

Bei Gelegenheit des mehrerwähnten Jubiläums bezeichnete der Herzog
Ernst von Coburg die Anstalt als eine solche, die Liebe gesät und Liebe ge¬
erntet habe. Das ist die Seele des Salzmannschen Werkes.




David d'Angers.
(Schluß.)

er ideale Schwung der Natur d'Angers, der ihn stets auf die
Seite der Unterdrückten und Bedrängten führte, ließ ihn auch
frühzeitig ein lebhaftes Interesse an dem Unabhängigkeitskampfe
der Griechen gewinnen. Mit großer Spannung folgte er den
Wechselfällen des Kampfes um Missolunghi: Moark Botzaris
war sein Heros, und als er dessen Heldentod im Lager der Türken erfuhr, be-
schloß er, ihm ein Denkmal zu errichten, welches seine „tiefe Bewunderung für
den großen Mann würdig zum Ausdruck bringe." Lange Zeit trug er sich
mit diesem Plane, ohne jedoch das Nichtige zu finden, da er eine zu pathetische
Allegorie nicht wollte. Da besuchte er eines Tages einen Kirchhof und be¬
merkte ein kleines Mädchen, welches ans einer Grabplatte kniete und mit dem
Finger die Inschrift derselben zu entziffern suchte. Jetzt hatte er seine Kom¬
position gefunden.

„Ich habe ein junges Mädchen gewählt, so schrieb er, weil ein reines
Herz fast immer für Ideale empfänglich ist. . . . Meine junge Griechin befindet
sich in jenem Alter des Überganges, in welchem sich die Natur zu einem festen
und bestimmten Organismus entwickeln will. Ist sie nicht das Abbild Griechen¬
lands?" Völlig unbekleidet ruht das Mädchen auf dem Grabsteine. Der schmäch¬
tige Oberkörper ist halb aufgerichtet und aus die Arme gestützt, und unter den
Beinen liegt das abgestreifte Gewand. Mit der linken Hand schiebt es den
Lorberzwcig hinweg, welcher die Inschrift verdeckt hat, und deutet mit dem
Zeigefinger der rechten Hand auf die Buchstaben der Inschrift, deren Sinn es
zu entziffern sucht. Der jugendliche Körper ist mit außerordentlicher Sorgfalt
nach der Natur durchgebildet, ohne daß die Modellrealität allzu stark in den
Vordergrund tritt. Der Gesichtsausdruck ist von naivem Liebreiz, und die Um¬
risse des Körpers sind von angenehmem Rhythmus der Linien. Gleichwohl ist
dieses Werk keine freie, von Ort und Zeit unabhängige Schöpfung. Auch auf


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[0423] David d'Angers. alte Methoden abgeschafft werden und alte Lieder, deren poetischer Wert mehr als zweifelhaft ist, nicht mehr gesungen werden sollten. Bei Gelegenheit des mehrerwähnten Jubiläums bezeichnete der Herzog Ernst von Coburg die Anstalt als eine solche, die Liebe gesät und Liebe ge¬ erntet habe. Das ist die Seele des Salzmannschen Werkes. David d'Angers. (Schluß.) er ideale Schwung der Natur d'Angers, der ihn stets auf die Seite der Unterdrückten und Bedrängten führte, ließ ihn auch frühzeitig ein lebhaftes Interesse an dem Unabhängigkeitskampfe der Griechen gewinnen. Mit großer Spannung folgte er den Wechselfällen des Kampfes um Missolunghi: Moark Botzaris war sein Heros, und als er dessen Heldentod im Lager der Türken erfuhr, be- schloß er, ihm ein Denkmal zu errichten, welches seine „tiefe Bewunderung für den großen Mann würdig zum Ausdruck bringe." Lange Zeit trug er sich mit diesem Plane, ohne jedoch das Nichtige zu finden, da er eine zu pathetische Allegorie nicht wollte. Da besuchte er eines Tages einen Kirchhof und be¬ merkte ein kleines Mädchen, welches ans einer Grabplatte kniete und mit dem Finger die Inschrift derselben zu entziffern suchte. Jetzt hatte er seine Kom¬ position gefunden. „Ich habe ein junges Mädchen gewählt, so schrieb er, weil ein reines Herz fast immer für Ideale empfänglich ist. . . . Meine junge Griechin befindet sich in jenem Alter des Überganges, in welchem sich die Natur zu einem festen und bestimmten Organismus entwickeln will. Ist sie nicht das Abbild Griechen¬ lands?" Völlig unbekleidet ruht das Mädchen auf dem Grabsteine. Der schmäch¬ tige Oberkörper ist halb aufgerichtet und aus die Arme gestützt, und unter den Beinen liegt das abgestreifte Gewand. Mit der linken Hand schiebt es den Lorberzwcig hinweg, welcher die Inschrift verdeckt hat, und deutet mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf die Buchstaben der Inschrift, deren Sinn es zu entziffern sucht. Der jugendliche Körper ist mit außerordentlicher Sorgfalt nach der Natur durchgebildet, ohne daß die Modellrealität allzu stark in den Vordergrund tritt. Der Gesichtsausdruck ist von naivem Liebreiz, und die Um¬ risse des Körpers sind von angenehmem Rhythmus der Linien. Gleichwohl ist dieses Werk keine freie, von Ort und Zeit unabhängige Schöpfung. Auch auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/423>, abgerufen am 22.06.2024.