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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Das Werk Salzmanns.

zu ziehen, daß sie unter viel günstigeren Umständen arbeiten als die öffentlichen
Schulen. Die Individualisirung des Unterrichtes in der Weise Schnepfen¬
thals ist auch nur in Schnepfenthal möglich, wo für fünfzig bis sechzig Schüler
dreizehn Lehrkräfte zur Verfügung stehen, das ist neun- bis zehnmal soviel als
das öffentliche Gymnasium verwenden kann. In Schnepfenthal zahlt man an
Pension mit den Nebenkosten gegen 190V Mark. Nicht viel Väter können so¬
viel an die Erziehung ihrer Söhne wenden.

Wozu überhaupt der Streit? Die Bestrebungen des öffentlichen und des pri¬
vaten Schulwesens bekämpfen sich nicht, sie ergänzen sich vielmehr. Es kann dem
Staate nicht daran liegen, daß nur einzelne hervorragende Leistungen erzielt
werden: er muß dafür sorgen, daß auch das Gros mit fortkommt .Das hat freilich
zur Folge, daß ein gewisses Mittelgut herangebildet wird, daß die Schablone
herrscht, daß die Schule einen nivellirenden Einfluß ausübt und daß es der be¬
sondern Anlage oder dem besondern Charakter schwer wird, zur Geltung zu kommen.
Aber das geht nun einmal nicht anders. Hier bleibt der Privatschule Raum
genug zur Entfaltung ihrer eigentümlichen Vorzüge. Wenn auch das öffentliche
Schulwesen bestrebt sein muß, fortzuschreiten, fo kann es doch so leicht neue
Wege nicht finden. Es darf nicht experimentiren, es darf sich nicht der Gefahr
aussetzen, Umwege zu machen. Darum würden Neuerungen an den vorhandenen
Regulativen ihre natürlichen Gegner finden. Dagegen gestattet die Freiheit,
welche Privatschulen genießen, ihnen die Möglichkeit, neue Methoden einzuführen
und zu erproben, welche später der Gesamtheit zu gute kommen. In der That
ist dies auch ein in der Geschichte der Pädagogik häufig genug verzeichneter
Verlauf der Dinge. Es ist also aller Grund vorhanden, den Privat-Schul-
anstalten neben den öffentlichen gutes Gedeihen zu gönnen.

Auch für Schnepfenthal wünschen wir ein zweites Jahrhundert segensreichen
Bestehens, umsomehr, als wir sehen, daß Dr. Ausfeld mit einer zeit- und sach¬
gemäßen Umbildung der Schule nicht zögert.

"Aber was bleibt da von Schnepfenthal übrig, wenn alle diese alten Ein¬
richtungen abgeschafft werden?" fo sagte nach Anhörung der Ausfcldscheu Rede
ein alter Schnepfenthaler zu mir. Nehmen wir an, es geschähe selbst das äußerste:
man setzte einen Hut auf und zöge den roten Frack aus, oder man striche den
alten Salzmcmnschen Wahlspruch D. D. U. A. (Denke, dulde und arbeite!), das
beste des Schnepfenthaler Instituts würde doch bleiben. Das ist keine besondre
Methode oder Einrichtung, das ist die Schnepfenthaler Eigenart. Personen be¬
deuten mehr als Methoden. Was diese Anstalt von den Tagen Salzmanns
an vor andern ausgezeichnet hat, ist die liebevoll familiäre Ton, der dort herrscht,
ist die sorgfältige Pflege, die jedem einzelnen Zöglinge zu teil wird, ist die Be¬
teiligung der Frauen an dem Erziehungsgeschäfte. Institute sind und bleiben
ein notwendiges Übel, wenn aber eines annähernd das Haus und die Familie
ersetzen kann, so ist es Schnepfenthal. Daran wird nichts geändert, auch wenn


Das Werk Salzmanns.

zu ziehen, daß sie unter viel günstigeren Umständen arbeiten als die öffentlichen
Schulen. Die Individualisirung des Unterrichtes in der Weise Schnepfen¬
thals ist auch nur in Schnepfenthal möglich, wo für fünfzig bis sechzig Schüler
dreizehn Lehrkräfte zur Verfügung stehen, das ist neun- bis zehnmal soviel als
das öffentliche Gymnasium verwenden kann. In Schnepfenthal zahlt man an
Pension mit den Nebenkosten gegen 190V Mark. Nicht viel Väter können so¬
viel an die Erziehung ihrer Söhne wenden.

Wozu überhaupt der Streit? Die Bestrebungen des öffentlichen und des pri¬
vaten Schulwesens bekämpfen sich nicht, sie ergänzen sich vielmehr. Es kann dem
Staate nicht daran liegen, daß nur einzelne hervorragende Leistungen erzielt
werden: er muß dafür sorgen, daß auch das Gros mit fortkommt .Das hat freilich
zur Folge, daß ein gewisses Mittelgut herangebildet wird, daß die Schablone
herrscht, daß die Schule einen nivellirenden Einfluß ausübt und daß es der be¬
sondern Anlage oder dem besondern Charakter schwer wird, zur Geltung zu kommen.
Aber das geht nun einmal nicht anders. Hier bleibt der Privatschule Raum
genug zur Entfaltung ihrer eigentümlichen Vorzüge. Wenn auch das öffentliche
Schulwesen bestrebt sein muß, fortzuschreiten, fo kann es doch so leicht neue
Wege nicht finden. Es darf nicht experimentiren, es darf sich nicht der Gefahr
aussetzen, Umwege zu machen. Darum würden Neuerungen an den vorhandenen
Regulativen ihre natürlichen Gegner finden. Dagegen gestattet die Freiheit,
welche Privatschulen genießen, ihnen die Möglichkeit, neue Methoden einzuführen
und zu erproben, welche später der Gesamtheit zu gute kommen. In der That
ist dies auch ein in der Geschichte der Pädagogik häufig genug verzeichneter
Verlauf der Dinge. Es ist also aller Grund vorhanden, den Privat-Schul-
anstalten neben den öffentlichen gutes Gedeihen zu gönnen.

Auch für Schnepfenthal wünschen wir ein zweites Jahrhundert segensreichen
Bestehens, umsomehr, als wir sehen, daß Dr. Ausfeld mit einer zeit- und sach¬
gemäßen Umbildung der Schule nicht zögert.

„Aber was bleibt da von Schnepfenthal übrig, wenn alle diese alten Ein¬
richtungen abgeschafft werden?" fo sagte nach Anhörung der Ausfcldscheu Rede
ein alter Schnepfenthaler zu mir. Nehmen wir an, es geschähe selbst das äußerste:
man setzte einen Hut auf und zöge den roten Frack aus, oder man striche den
alten Salzmcmnschen Wahlspruch D. D. U. A. (Denke, dulde und arbeite!), das
beste des Schnepfenthaler Instituts würde doch bleiben. Das ist keine besondre
Methode oder Einrichtung, das ist die Schnepfenthaler Eigenart. Personen be¬
deuten mehr als Methoden. Was diese Anstalt von den Tagen Salzmanns
an vor andern ausgezeichnet hat, ist die liebevoll familiäre Ton, der dort herrscht,
ist die sorgfältige Pflege, die jedem einzelnen Zöglinge zu teil wird, ist die Be¬
teiligung der Frauen an dem Erziehungsgeschäfte. Institute sind und bleiben
ein notwendiges Übel, wenn aber eines annähernd das Haus und die Familie
ersetzen kann, so ist es Schnepfenthal. Daran wird nichts geändert, auch wenn


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[0422] Das Werk Salzmanns. zu ziehen, daß sie unter viel günstigeren Umständen arbeiten als die öffentlichen Schulen. Die Individualisirung des Unterrichtes in der Weise Schnepfen¬ thals ist auch nur in Schnepfenthal möglich, wo für fünfzig bis sechzig Schüler dreizehn Lehrkräfte zur Verfügung stehen, das ist neun- bis zehnmal soviel als das öffentliche Gymnasium verwenden kann. In Schnepfenthal zahlt man an Pension mit den Nebenkosten gegen 190V Mark. Nicht viel Väter können so¬ viel an die Erziehung ihrer Söhne wenden. Wozu überhaupt der Streit? Die Bestrebungen des öffentlichen und des pri¬ vaten Schulwesens bekämpfen sich nicht, sie ergänzen sich vielmehr. Es kann dem Staate nicht daran liegen, daß nur einzelne hervorragende Leistungen erzielt werden: er muß dafür sorgen, daß auch das Gros mit fortkommt .Das hat freilich zur Folge, daß ein gewisses Mittelgut herangebildet wird, daß die Schablone herrscht, daß die Schule einen nivellirenden Einfluß ausübt und daß es der be¬ sondern Anlage oder dem besondern Charakter schwer wird, zur Geltung zu kommen. Aber das geht nun einmal nicht anders. Hier bleibt der Privatschule Raum genug zur Entfaltung ihrer eigentümlichen Vorzüge. Wenn auch das öffentliche Schulwesen bestrebt sein muß, fortzuschreiten, fo kann es doch so leicht neue Wege nicht finden. Es darf nicht experimentiren, es darf sich nicht der Gefahr aussetzen, Umwege zu machen. Darum würden Neuerungen an den vorhandenen Regulativen ihre natürlichen Gegner finden. Dagegen gestattet die Freiheit, welche Privatschulen genießen, ihnen die Möglichkeit, neue Methoden einzuführen und zu erproben, welche später der Gesamtheit zu gute kommen. In der That ist dies auch ein in der Geschichte der Pädagogik häufig genug verzeichneter Verlauf der Dinge. Es ist also aller Grund vorhanden, den Privat-Schul- anstalten neben den öffentlichen gutes Gedeihen zu gönnen. Auch für Schnepfenthal wünschen wir ein zweites Jahrhundert segensreichen Bestehens, umsomehr, als wir sehen, daß Dr. Ausfeld mit einer zeit- und sach¬ gemäßen Umbildung der Schule nicht zögert. „Aber was bleibt da von Schnepfenthal übrig, wenn alle diese alten Ein¬ richtungen abgeschafft werden?" fo sagte nach Anhörung der Ausfcldscheu Rede ein alter Schnepfenthaler zu mir. Nehmen wir an, es geschähe selbst das äußerste: man setzte einen Hut auf und zöge den roten Frack aus, oder man striche den alten Salzmcmnschen Wahlspruch D. D. U. A. (Denke, dulde und arbeite!), das beste des Schnepfenthaler Instituts würde doch bleiben. Das ist keine besondre Methode oder Einrichtung, das ist die Schnepfenthaler Eigenart. Personen be¬ deuten mehr als Methoden. Was diese Anstalt von den Tagen Salzmanns an vor andern ausgezeichnet hat, ist die liebevoll familiäre Ton, der dort herrscht, ist die sorgfältige Pflege, die jedem einzelnen Zöglinge zu teil wird, ist die Be¬ teiligung der Frauen an dem Erziehungsgeschäfte. Institute sind und bleiben ein notwendiges Übel, wenn aber eines annähernd das Haus und die Familie ersetzen kann, so ist es Schnepfenthal. Daran wird nichts geändert, auch wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/422>, abgerufen am 22.06.2024.