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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Das Wer? Salzmanns.

dieser Rede die nachfolgenden Hauptgedanken an, die nach dem, was eben voraus-
geschickt wurde, ihrer Bedeutung nach leicht gewürdigt werden können.

"Wird Schnepfenthal bestehen? Ja, denn Privatanstalten sind berechtigt.
Und diese Anstalt wird bestehen, wenn sie mit gleicher Sorgfalt und Pietät
geleitet wird wie in dem vergangenen Jahrhundert. Die Anstalt hat den Charakter
eines Familienkreises, der auch äußerlich bewahrt wird. Salzmann pflegte eine
moralische Erziehung, eine einfache Frömmigkeit; Dogmatik und Polemik gehören
nicht in die Schule. Beide christliche Konfessionell haben Raum in ihr. Dennoch
ist es keine Simultcmschule. Ich erkläre, daß wir ans protestantischen Stand-
Punkte stehen. Seit einigen Jahren haben wir Ferien eingeführt. Wir erkennen
an, was auf dem Gebiete der Schule von andern geleistet wird, wir eignen uns
an, was an guter Methodik von andern gefunden worden ist. Sogar in der
Organisation müssen wir uns nach andern Schulen richten, da wir für andre
Schulen vorbereiten. Das bei uns gebräuchliche Klasseusystem ^deutlicher würde
es wohl heißen: Fachsystem. D. Verf.) wird beibehalten werden. Es darf nicht
zu sehr individualisirt werden, man darf aber auch nicht nach der Schablone
arbeiten. Nicht jedes Fach ist für jeden Schüler passend. Ein moderirtes
Klasseusystem ist immer noch das kleinere von zwei Übeln. Die Anstalt hat nicht
das Recht, Berechtigungszeugnisse auszustellen und sucht es auch nicht im Interesse
der freien Bewegung. Wenn dies freilich ein Hindernis des Besuches werden
sollte, wenn die Erlangung der Berechtigung zum einjährigen Dienste gefordert
werden sollte, dann würden freilich weitere Änderungen in der Organisation vor¬
genommen werden müssen."

Man muß dem Anstaltsdirektor dankbar sein für die Offenheit, mit welcher
er seine Ansichten und Pläne dargelegt hat. Es ist nicht leicht, in ein so altes
Gefüge wie das von Schnepfenthal neue Bestandteile einzufügen, den veränderten
Zeitverhältnissen Rechnung zu tragen und doch das Wertvolle der Tradition
und der Eigenart nicht preiszugeben.

Daß Privatschulen auch gegenwärtig berechtigt sind und eine Mission haben,
das ist auch meine Meinung. Vor etlichen Jahren veröffentlichte Dr. Herbst,
der bekannte Literarhistoriker und vormalige Direktor von Schulpfortci, einen
Artikel, in welchem er die Existenzberechtigung von Privatschulen leugnete und,
während er Blicke des Wohlwollens auf sein Pforta warf, ein unfreundliches
Urteil über Schnepfenthal abgab, das er eine veraltete und verkommene Anstalt
nannte. Er hätte das nicht thun sollen. Wenn man Schulpforta als Erziehungs¬
anstalt einer Kritik unterziehen wollte, so käme ein keineswegs schmeichelhaftes
Urteil zu tage. Herbst urteilte als preußischer Schulmann, dem man es nicht
verdenken kann, wenn er für das preußische Schulwesen eintritt, dessen Verdienste
unbestreitbar sind. Aber er macht sich einer argen Einseitigkeit schuldig, wenn
er alle andern Bestrebungen geringschätzt und für überflüssig erklärt. Andrerseits
thun Privatschulen gut, bei Beurteilung ihrer eignen Leistungen in Rechnung


Das Wer? Salzmanns.

dieser Rede die nachfolgenden Hauptgedanken an, die nach dem, was eben voraus-
geschickt wurde, ihrer Bedeutung nach leicht gewürdigt werden können.

„Wird Schnepfenthal bestehen? Ja, denn Privatanstalten sind berechtigt.
Und diese Anstalt wird bestehen, wenn sie mit gleicher Sorgfalt und Pietät
geleitet wird wie in dem vergangenen Jahrhundert. Die Anstalt hat den Charakter
eines Familienkreises, der auch äußerlich bewahrt wird. Salzmann pflegte eine
moralische Erziehung, eine einfache Frömmigkeit; Dogmatik und Polemik gehören
nicht in die Schule. Beide christliche Konfessionell haben Raum in ihr. Dennoch
ist es keine Simultcmschule. Ich erkläre, daß wir ans protestantischen Stand-
Punkte stehen. Seit einigen Jahren haben wir Ferien eingeführt. Wir erkennen
an, was auf dem Gebiete der Schule von andern geleistet wird, wir eignen uns
an, was an guter Methodik von andern gefunden worden ist. Sogar in der
Organisation müssen wir uns nach andern Schulen richten, da wir für andre
Schulen vorbereiten. Das bei uns gebräuchliche Klasseusystem ^deutlicher würde
es wohl heißen: Fachsystem. D. Verf.) wird beibehalten werden. Es darf nicht
zu sehr individualisirt werden, man darf aber auch nicht nach der Schablone
arbeiten. Nicht jedes Fach ist für jeden Schüler passend. Ein moderirtes
Klasseusystem ist immer noch das kleinere von zwei Übeln. Die Anstalt hat nicht
das Recht, Berechtigungszeugnisse auszustellen und sucht es auch nicht im Interesse
der freien Bewegung. Wenn dies freilich ein Hindernis des Besuches werden
sollte, wenn die Erlangung der Berechtigung zum einjährigen Dienste gefordert
werden sollte, dann würden freilich weitere Änderungen in der Organisation vor¬
genommen werden müssen."

Man muß dem Anstaltsdirektor dankbar sein für die Offenheit, mit welcher
er seine Ansichten und Pläne dargelegt hat. Es ist nicht leicht, in ein so altes
Gefüge wie das von Schnepfenthal neue Bestandteile einzufügen, den veränderten
Zeitverhältnissen Rechnung zu tragen und doch das Wertvolle der Tradition
und der Eigenart nicht preiszugeben.

Daß Privatschulen auch gegenwärtig berechtigt sind und eine Mission haben,
das ist auch meine Meinung. Vor etlichen Jahren veröffentlichte Dr. Herbst,
der bekannte Literarhistoriker und vormalige Direktor von Schulpfortci, einen
Artikel, in welchem er die Existenzberechtigung von Privatschulen leugnete und,
während er Blicke des Wohlwollens auf sein Pforta warf, ein unfreundliches
Urteil über Schnepfenthal abgab, das er eine veraltete und verkommene Anstalt
nannte. Er hätte das nicht thun sollen. Wenn man Schulpforta als Erziehungs¬
anstalt einer Kritik unterziehen wollte, so käme ein keineswegs schmeichelhaftes
Urteil zu tage. Herbst urteilte als preußischer Schulmann, dem man es nicht
verdenken kann, wenn er für das preußische Schulwesen eintritt, dessen Verdienste
unbestreitbar sind. Aber er macht sich einer argen Einseitigkeit schuldig, wenn
er alle andern Bestrebungen geringschätzt und für überflüssig erklärt. Andrerseits
thun Privatschulen gut, bei Beurteilung ihrer eignen Leistungen in Rechnung


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[0421] Das Wer? Salzmanns. dieser Rede die nachfolgenden Hauptgedanken an, die nach dem, was eben voraus- geschickt wurde, ihrer Bedeutung nach leicht gewürdigt werden können. „Wird Schnepfenthal bestehen? Ja, denn Privatanstalten sind berechtigt. Und diese Anstalt wird bestehen, wenn sie mit gleicher Sorgfalt und Pietät geleitet wird wie in dem vergangenen Jahrhundert. Die Anstalt hat den Charakter eines Familienkreises, der auch äußerlich bewahrt wird. Salzmann pflegte eine moralische Erziehung, eine einfache Frömmigkeit; Dogmatik und Polemik gehören nicht in die Schule. Beide christliche Konfessionell haben Raum in ihr. Dennoch ist es keine Simultcmschule. Ich erkläre, daß wir ans protestantischen Stand- Punkte stehen. Seit einigen Jahren haben wir Ferien eingeführt. Wir erkennen an, was auf dem Gebiete der Schule von andern geleistet wird, wir eignen uns an, was an guter Methodik von andern gefunden worden ist. Sogar in der Organisation müssen wir uns nach andern Schulen richten, da wir für andre Schulen vorbereiten. Das bei uns gebräuchliche Klasseusystem ^deutlicher würde es wohl heißen: Fachsystem. D. Verf.) wird beibehalten werden. Es darf nicht zu sehr individualisirt werden, man darf aber auch nicht nach der Schablone arbeiten. Nicht jedes Fach ist für jeden Schüler passend. Ein moderirtes Klasseusystem ist immer noch das kleinere von zwei Übeln. Die Anstalt hat nicht das Recht, Berechtigungszeugnisse auszustellen und sucht es auch nicht im Interesse der freien Bewegung. Wenn dies freilich ein Hindernis des Besuches werden sollte, wenn die Erlangung der Berechtigung zum einjährigen Dienste gefordert werden sollte, dann würden freilich weitere Änderungen in der Organisation vor¬ genommen werden müssen." Man muß dem Anstaltsdirektor dankbar sein für die Offenheit, mit welcher er seine Ansichten und Pläne dargelegt hat. Es ist nicht leicht, in ein so altes Gefüge wie das von Schnepfenthal neue Bestandteile einzufügen, den veränderten Zeitverhältnissen Rechnung zu tragen und doch das Wertvolle der Tradition und der Eigenart nicht preiszugeben. Daß Privatschulen auch gegenwärtig berechtigt sind und eine Mission haben, das ist auch meine Meinung. Vor etlichen Jahren veröffentlichte Dr. Herbst, der bekannte Literarhistoriker und vormalige Direktor von Schulpfortci, einen Artikel, in welchem er die Existenzberechtigung von Privatschulen leugnete und, während er Blicke des Wohlwollens auf sein Pforta warf, ein unfreundliches Urteil über Schnepfenthal abgab, das er eine veraltete und verkommene Anstalt nannte. Er hätte das nicht thun sollen. Wenn man Schulpforta als Erziehungs¬ anstalt einer Kritik unterziehen wollte, so käme ein keineswegs schmeichelhaftes Urteil zu tage. Herbst urteilte als preußischer Schulmann, dem man es nicht verdenken kann, wenn er für das preußische Schulwesen eintritt, dessen Verdienste unbestreitbar sind. Aber er macht sich einer argen Einseitigkeit schuldig, wenn er alle andern Bestrebungen geringschätzt und für überflüssig erklärt. Andrerseits thun Privatschulen gut, bei Beurteilung ihrer eignen Leistungen in Rechnung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/421>, abgerufen am 22.06.2024.