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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Das Werk Salzmanns.

welche höchst unwillig waren, eins ihrem altgewohnten Schlendrian aufgestört
zu werden. Auf das öffentliche Schulwesen hat Salzmann damals auch wenig
Eindruck gemacht. Heute beherrschen dieselben Prinzipien, welche damals mit
Mißtrauen und Unwillen abgewiesen wurden, als ganz selbstverständliche Dinge
die pädagogische Methode. Daß das Interesse des Schülers am Gegenstande
des Unterrichts erweckt werde, daß man vom Nahen zum Fernen, von der
Gegenwart zu der Vergangenheit vorschreiten, daß man auf Anschauung und
Anschaulichkeit allen Wert legen müsse, daß man nicht doziren dürfe, sondern
die Selbstthätigkeit des Schülers anzuregen habe, daß man fürs Leben, nicht
für die Schule lerne, daß es sich um die Erziehung, nicht bloß um die Er¬
werbung nützlicher Kenntnisse handle, daß auch der Unterricht nicht in sich
zusammenhanglos sein dürfe, sondern eine innere Konzentration zur gegen¬
seitigen Förderung der einzelnen Fächer haben müsse -- alles das sind For¬
derungen, welche Salzmann aufstellte und welche heutzutage allgemein anerkannt
sind. Wir haben Anschauungsunterricht und einen Überfluß an Anschauungs¬
mitteln, wir haben Heimatskunde und wollen allerdings, daß das Kind die
Heimat eher kennen lerne als China, die vaterländische Geschichte eher und
besser als die der Assyrer und Perser; wir nehmen die wirkliche Welt, nicht
bloß die der Bücher zum Gegenstände, wir halten die Pflege des Körpers durch
Turnen, Turnspiele, Spaziergänge, Baden und gute Ventilation für sehr nötig,
wir sind alle Salzmannianer geworden. Aber daß Salzmann schon vor hundert
Jahren so bestimmt erkannte und aussprach, was der Schule notthut, das ist
sein Ruhm. Zwar war ers nicht allein, es war ja eine ganze pädagogische
Schule, aber es ist das Verdienst Salzmanns, in seinem praktischen Sinne die
Phantastereien der andern vermieden zu haben, ein Verdienst, welches durch den
hundertjährigen Bestand seines Werkes belohnt worden ist.

Nach der oben geschilderten Seite sind also die Gegensätze der Salzmannschen
Methode und der des öffentlichen Schulwesens geschwunden. Das Umgekehrte
hat sich bei der Unterweisung in der Religion ereignet. Als Salzmann -- da¬
mals noch Prediger in Erfurt -- fein Buch: "Über die beste Art, Kindern
Religion beizubringen" herausgegeben hatte, wurde er in theologischen Kreisen
der Ketzerei beschuldigt, doch befand er sich als liberaler Theologe gerade hier
mitten im Strome seiner Zeit. Es ist der aus der Wolfschen Philosophie ent¬
nommene, damals moderne teleologische Beweis, welcher das Fundament seiner
allgemein-deistischen Religion ausmacht. Alles übrige ist ihm historisches oder
symbolisches Ornament. Er kennt nur allgemeine Gottcsverehrungen; die Ent¬
scheidung für die Konfession wird dem spätern Alter vorbehalten. Der damals
mit Siegesbewußtsein beginnende Lauf des Rationalismus hat inzwischen ge¬
endet und ist durch ein wiedercrwachtes positives Christentum verdrängt worden.
Die konfessionellen Gegensätze unter sich, sowie der Gegensatz der religiösen und
Materialistischen Weltanschauung haben sich in einer Weise geschärft, daß die alten


Grenzboten III. 1884. 52
Das Werk Salzmanns.

welche höchst unwillig waren, eins ihrem altgewohnten Schlendrian aufgestört
zu werden. Auf das öffentliche Schulwesen hat Salzmann damals auch wenig
Eindruck gemacht. Heute beherrschen dieselben Prinzipien, welche damals mit
Mißtrauen und Unwillen abgewiesen wurden, als ganz selbstverständliche Dinge
die pädagogische Methode. Daß das Interesse des Schülers am Gegenstande
des Unterrichts erweckt werde, daß man vom Nahen zum Fernen, von der
Gegenwart zu der Vergangenheit vorschreiten, daß man auf Anschauung und
Anschaulichkeit allen Wert legen müsse, daß man nicht doziren dürfe, sondern
die Selbstthätigkeit des Schülers anzuregen habe, daß man fürs Leben, nicht
für die Schule lerne, daß es sich um die Erziehung, nicht bloß um die Er¬
werbung nützlicher Kenntnisse handle, daß auch der Unterricht nicht in sich
zusammenhanglos sein dürfe, sondern eine innere Konzentration zur gegen¬
seitigen Förderung der einzelnen Fächer haben müsse — alles das sind For¬
derungen, welche Salzmann aufstellte und welche heutzutage allgemein anerkannt
sind. Wir haben Anschauungsunterricht und einen Überfluß an Anschauungs¬
mitteln, wir haben Heimatskunde und wollen allerdings, daß das Kind die
Heimat eher kennen lerne als China, die vaterländische Geschichte eher und
besser als die der Assyrer und Perser; wir nehmen die wirkliche Welt, nicht
bloß die der Bücher zum Gegenstände, wir halten die Pflege des Körpers durch
Turnen, Turnspiele, Spaziergänge, Baden und gute Ventilation für sehr nötig,
wir sind alle Salzmannianer geworden. Aber daß Salzmann schon vor hundert
Jahren so bestimmt erkannte und aussprach, was der Schule notthut, das ist
sein Ruhm. Zwar war ers nicht allein, es war ja eine ganze pädagogische
Schule, aber es ist das Verdienst Salzmanns, in seinem praktischen Sinne die
Phantastereien der andern vermieden zu haben, ein Verdienst, welches durch den
hundertjährigen Bestand seines Werkes belohnt worden ist.

Nach der oben geschilderten Seite sind also die Gegensätze der Salzmannschen
Methode und der des öffentlichen Schulwesens geschwunden. Das Umgekehrte
hat sich bei der Unterweisung in der Religion ereignet. Als Salzmann — da¬
mals noch Prediger in Erfurt — fein Buch: „Über die beste Art, Kindern
Religion beizubringen" herausgegeben hatte, wurde er in theologischen Kreisen
der Ketzerei beschuldigt, doch befand er sich als liberaler Theologe gerade hier
mitten im Strome seiner Zeit. Es ist der aus der Wolfschen Philosophie ent¬
nommene, damals moderne teleologische Beweis, welcher das Fundament seiner
allgemein-deistischen Religion ausmacht. Alles übrige ist ihm historisches oder
symbolisches Ornament. Er kennt nur allgemeine Gottcsverehrungen; die Ent¬
scheidung für die Konfession wird dem spätern Alter vorbehalten. Der damals
mit Siegesbewußtsein beginnende Lauf des Rationalismus hat inzwischen ge¬
endet und ist durch ein wiedercrwachtes positives Christentum verdrängt worden.
Die konfessionellen Gegensätze unter sich, sowie der Gegensatz der religiösen und
Materialistischen Weltanschauung haben sich in einer Weise geschärft, daß die alten


Grenzboten III. 1884. 52
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[0417] Das Werk Salzmanns. welche höchst unwillig waren, eins ihrem altgewohnten Schlendrian aufgestört zu werden. Auf das öffentliche Schulwesen hat Salzmann damals auch wenig Eindruck gemacht. Heute beherrschen dieselben Prinzipien, welche damals mit Mißtrauen und Unwillen abgewiesen wurden, als ganz selbstverständliche Dinge die pädagogische Methode. Daß das Interesse des Schülers am Gegenstande des Unterrichts erweckt werde, daß man vom Nahen zum Fernen, von der Gegenwart zu der Vergangenheit vorschreiten, daß man auf Anschauung und Anschaulichkeit allen Wert legen müsse, daß man nicht doziren dürfe, sondern die Selbstthätigkeit des Schülers anzuregen habe, daß man fürs Leben, nicht für die Schule lerne, daß es sich um die Erziehung, nicht bloß um die Er¬ werbung nützlicher Kenntnisse handle, daß auch der Unterricht nicht in sich zusammenhanglos sein dürfe, sondern eine innere Konzentration zur gegen¬ seitigen Förderung der einzelnen Fächer haben müsse — alles das sind For¬ derungen, welche Salzmann aufstellte und welche heutzutage allgemein anerkannt sind. Wir haben Anschauungsunterricht und einen Überfluß an Anschauungs¬ mitteln, wir haben Heimatskunde und wollen allerdings, daß das Kind die Heimat eher kennen lerne als China, die vaterländische Geschichte eher und besser als die der Assyrer und Perser; wir nehmen die wirkliche Welt, nicht bloß die der Bücher zum Gegenstände, wir halten die Pflege des Körpers durch Turnen, Turnspiele, Spaziergänge, Baden und gute Ventilation für sehr nötig, wir sind alle Salzmannianer geworden. Aber daß Salzmann schon vor hundert Jahren so bestimmt erkannte und aussprach, was der Schule notthut, das ist sein Ruhm. Zwar war ers nicht allein, es war ja eine ganze pädagogische Schule, aber es ist das Verdienst Salzmanns, in seinem praktischen Sinne die Phantastereien der andern vermieden zu haben, ein Verdienst, welches durch den hundertjährigen Bestand seines Werkes belohnt worden ist. Nach der oben geschilderten Seite sind also die Gegensätze der Salzmannschen Methode und der des öffentlichen Schulwesens geschwunden. Das Umgekehrte hat sich bei der Unterweisung in der Religion ereignet. Als Salzmann — da¬ mals noch Prediger in Erfurt — fein Buch: „Über die beste Art, Kindern Religion beizubringen" herausgegeben hatte, wurde er in theologischen Kreisen der Ketzerei beschuldigt, doch befand er sich als liberaler Theologe gerade hier mitten im Strome seiner Zeit. Es ist der aus der Wolfschen Philosophie ent¬ nommene, damals moderne teleologische Beweis, welcher das Fundament seiner allgemein-deistischen Religion ausmacht. Alles übrige ist ihm historisches oder symbolisches Ornament. Er kennt nur allgemeine Gottcsverehrungen; die Ent¬ scheidung für die Konfession wird dem spätern Alter vorbehalten. Der damals mit Siegesbewußtsein beginnende Lauf des Rationalismus hat inzwischen ge¬ endet und ist durch ein wiedercrwachtes positives Christentum verdrängt worden. Die konfessionellen Gegensätze unter sich, sowie der Gegensatz der religiösen und Materialistischen Weltanschauung haben sich in einer Weise geschärft, daß die alten Grenzboten III. 1884. 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/417>, abgerufen am 22.06.2024.