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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Das Werk Salzmanns.

und die damit verknüpfte Überzeugung, daß alles auf die Beförderung der mensch¬
liche,? Glückseligkeit abziele? Und was kann uns mehr im Vertrauen zu Gott
befestigen, als eine durch die Betrachtung der Welt entstandene Überzeugung,
daß der Herr sich aller seiner Werke erbarme? Dies ist auch die Meinung der
Bibel. An die Winke derselben werde ich mich so pünktlich halten, daß ich zu
fernerem Unterrichte in der Religion immer die moralischen Wahrheiten in Ge¬
schichte kleiden werde, und zwar aus pädagogischen Grunde. Die Bibel soll
auch gebraucht werden. Wenn die Zöglinge den guten Vater haben handeln
sehen, sollen sie ihn auch reden hören. Es wird die Lehre Jesu im allgemeinen
behandelt. Die näheren Unterschiede der einzelnen Konfessionen bleiben dem Pre¬
digerunterrichte vorbehalten. Die Selbstthätigkeit der Schüler soll geweckt werden,
es soll des Unterrichts so wenig als möglich, des Gebrauchs der eignen Kräfte
soviel als möglich sein.

Ich habe meinen eignen Garten, den ich selbst bearbeite. Auf seine Bitte
soll auch jeder Zögling seinen Garten haben, den er selbst zu bebauen hat. Die
Größern helfen den Kleinen und sammeln Naturgegenstände. Ich hüte mich,
darüber Vorlesung zu halten. Ich frage vielmehr, ob die Kinder mir nichts
zu sagen wissen. Jeder der Zöglinge bekommt ein Amt. Ich habe z. B. Ko¬
pisten, Rechnungsführer, einen Naturalieninspektor ze., wobei der Knabe die ge¬
wonnenen Kenntnisse verwertet und neue erwirbt. Die gewöhnlichen Belohnungen,
Lob, Beifall und dergleichen, werde ich alle gebrauchen, ich werde öffentliche
Untersuchungen des Verhaltens jedes Zöglings anstellen.

Ich suche früh bei meinen Zöglingen die Begierde zu erregen, sich Eigen¬
tum zu erwerben. Ich gebe nie Geschenke, dagegen verschaffe ich Arbeit und
Gelegenheit zu Verdienst. Jedes Amt ist mit einer Besoldung verknüpft. Mit
den erworbenen Groschen werden Geschäfte gemacht. Dennoch soll kein Eigen¬
nutz anerzogen werden, ebensowenig Ungefälligkeit und Geiz. Die Kinder können
über ihre kleinen Kassen frei verfügen. Auch für die Freuden des Wohlthuns
suche ich stets das Gefühl zu erhalten.

Es sollen Reisen in die Umgebung gemacht werden. Auch diese Reisen
bieten Unterrichtsstoff.

Es werden Meritentafeln geführt. Jede Leistung wird mit einem Billet
honorirt; bei fünfzig Billets wird ein gelber Nagel neben den Namen des be¬
treffenden geschlagen. Wer sich fünfzig Nägel erworben hat, bekommt den Orden
des Fleißes. Dies gilt jedoch nur für das Knabenalter. Es giebt drei Ord¬
nungen, die der Kinder, der Knaben und der Jünglinge. Die letztern beiden tragen
Uniform. Die Zahl der Zöglinge soll eine beschränkte bleiben -- nicht leicht
über zwölf; die Pension beträgt jährlich fünfzig Louis'dor und vier beim Antritte.

Es gewährt Interesse, die Bestrebungen Salzmanns vor hundert Jahren
mit denen der Gegenwart zu vergleichen. Die von ihm erstrebten Neuerungen
erregten ohne Zweifel das Entsetzen der alten Perrückenstöcke und Schultyrannen,


Das Werk Salzmanns.

und die damit verknüpfte Überzeugung, daß alles auf die Beförderung der mensch¬
liche,? Glückseligkeit abziele? Und was kann uns mehr im Vertrauen zu Gott
befestigen, als eine durch die Betrachtung der Welt entstandene Überzeugung,
daß der Herr sich aller seiner Werke erbarme? Dies ist auch die Meinung der
Bibel. An die Winke derselben werde ich mich so pünktlich halten, daß ich zu
fernerem Unterrichte in der Religion immer die moralischen Wahrheiten in Ge¬
schichte kleiden werde, und zwar aus pädagogischen Grunde. Die Bibel soll
auch gebraucht werden. Wenn die Zöglinge den guten Vater haben handeln
sehen, sollen sie ihn auch reden hören. Es wird die Lehre Jesu im allgemeinen
behandelt. Die näheren Unterschiede der einzelnen Konfessionen bleiben dem Pre¬
digerunterrichte vorbehalten. Die Selbstthätigkeit der Schüler soll geweckt werden,
es soll des Unterrichts so wenig als möglich, des Gebrauchs der eignen Kräfte
soviel als möglich sein.

Ich habe meinen eignen Garten, den ich selbst bearbeite. Auf seine Bitte
soll auch jeder Zögling seinen Garten haben, den er selbst zu bebauen hat. Die
Größern helfen den Kleinen und sammeln Naturgegenstände. Ich hüte mich,
darüber Vorlesung zu halten. Ich frage vielmehr, ob die Kinder mir nichts
zu sagen wissen. Jeder der Zöglinge bekommt ein Amt. Ich habe z. B. Ko¬
pisten, Rechnungsführer, einen Naturalieninspektor ze., wobei der Knabe die ge¬
wonnenen Kenntnisse verwertet und neue erwirbt. Die gewöhnlichen Belohnungen,
Lob, Beifall und dergleichen, werde ich alle gebrauchen, ich werde öffentliche
Untersuchungen des Verhaltens jedes Zöglings anstellen.

Ich suche früh bei meinen Zöglingen die Begierde zu erregen, sich Eigen¬
tum zu erwerben. Ich gebe nie Geschenke, dagegen verschaffe ich Arbeit und
Gelegenheit zu Verdienst. Jedes Amt ist mit einer Besoldung verknüpft. Mit
den erworbenen Groschen werden Geschäfte gemacht. Dennoch soll kein Eigen¬
nutz anerzogen werden, ebensowenig Ungefälligkeit und Geiz. Die Kinder können
über ihre kleinen Kassen frei verfügen. Auch für die Freuden des Wohlthuns
suche ich stets das Gefühl zu erhalten.

Es sollen Reisen in die Umgebung gemacht werden. Auch diese Reisen
bieten Unterrichtsstoff.

Es werden Meritentafeln geführt. Jede Leistung wird mit einem Billet
honorirt; bei fünfzig Billets wird ein gelber Nagel neben den Namen des be¬
treffenden geschlagen. Wer sich fünfzig Nägel erworben hat, bekommt den Orden
des Fleißes. Dies gilt jedoch nur für das Knabenalter. Es giebt drei Ord¬
nungen, die der Kinder, der Knaben und der Jünglinge. Die letztern beiden tragen
Uniform. Die Zahl der Zöglinge soll eine beschränkte bleiben — nicht leicht
über zwölf; die Pension beträgt jährlich fünfzig Louis'dor und vier beim Antritte.

Es gewährt Interesse, die Bestrebungen Salzmanns vor hundert Jahren
mit denen der Gegenwart zu vergleichen. Die von ihm erstrebten Neuerungen
erregten ohne Zweifel das Entsetzen der alten Perrückenstöcke und Schultyrannen,


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[0416] Das Werk Salzmanns. und die damit verknüpfte Überzeugung, daß alles auf die Beförderung der mensch¬ liche,? Glückseligkeit abziele? Und was kann uns mehr im Vertrauen zu Gott befestigen, als eine durch die Betrachtung der Welt entstandene Überzeugung, daß der Herr sich aller seiner Werke erbarme? Dies ist auch die Meinung der Bibel. An die Winke derselben werde ich mich so pünktlich halten, daß ich zu fernerem Unterrichte in der Religion immer die moralischen Wahrheiten in Ge¬ schichte kleiden werde, und zwar aus pädagogischen Grunde. Die Bibel soll auch gebraucht werden. Wenn die Zöglinge den guten Vater haben handeln sehen, sollen sie ihn auch reden hören. Es wird die Lehre Jesu im allgemeinen behandelt. Die näheren Unterschiede der einzelnen Konfessionen bleiben dem Pre¬ digerunterrichte vorbehalten. Die Selbstthätigkeit der Schüler soll geweckt werden, es soll des Unterrichts so wenig als möglich, des Gebrauchs der eignen Kräfte soviel als möglich sein. Ich habe meinen eignen Garten, den ich selbst bearbeite. Auf seine Bitte soll auch jeder Zögling seinen Garten haben, den er selbst zu bebauen hat. Die Größern helfen den Kleinen und sammeln Naturgegenstände. Ich hüte mich, darüber Vorlesung zu halten. Ich frage vielmehr, ob die Kinder mir nichts zu sagen wissen. Jeder der Zöglinge bekommt ein Amt. Ich habe z. B. Ko¬ pisten, Rechnungsführer, einen Naturalieninspektor ze., wobei der Knabe die ge¬ wonnenen Kenntnisse verwertet und neue erwirbt. Die gewöhnlichen Belohnungen, Lob, Beifall und dergleichen, werde ich alle gebrauchen, ich werde öffentliche Untersuchungen des Verhaltens jedes Zöglings anstellen. Ich suche früh bei meinen Zöglingen die Begierde zu erregen, sich Eigen¬ tum zu erwerben. Ich gebe nie Geschenke, dagegen verschaffe ich Arbeit und Gelegenheit zu Verdienst. Jedes Amt ist mit einer Besoldung verknüpft. Mit den erworbenen Groschen werden Geschäfte gemacht. Dennoch soll kein Eigen¬ nutz anerzogen werden, ebensowenig Ungefälligkeit und Geiz. Die Kinder können über ihre kleinen Kassen frei verfügen. Auch für die Freuden des Wohlthuns suche ich stets das Gefühl zu erhalten. Es sollen Reisen in die Umgebung gemacht werden. Auch diese Reisen bieten Unterrichtsstoff. Es werden Meritentafeln geführt. Jede Leistung wird mit einem Billet honorirt; bei fünfzig Billets wird ein gelber Nagel neben den Namen des be¬ treffenden geschlagen. Wer sich fünfzig Nägel erworben hat, bekommt den Orden des Fleißes. Dies gilt jedoch nur für das Knabenalter. Es giebt drei Ord¬ nungen, die der Kinder, der Knaben und der Jünglinge. Die letztern beiden tragen Uniform. Die Zahl der Zöglinge soll eine beschränkte bleiben — nicht leicht über zwölf; die Pension beträgt jährlich fünfzig Louis'dor und vier beim Antritte. Es gewährt Interesse, die Bestrebungen Salzmanns vor hundert Jahren mit denen der Gegenwart zu vergleichen. Die von ihm erstrebten Neuerungen erregten ohne Zweifel das Entsetzen der alten Perrückenstöcke und Schultyrannen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/416>, abgerufen am 22.06.2024.