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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Das Werk Salzmanns.

nicht erzogen werden, doch sollen alle Leckereien und ungesunde Speisen vermieden
werden; reichliche und gesunde Kost, wie sie das Land bietet, soll nie fehlen. Auf
Ventilation und gute Luft wird gehalten. Aufenthalt im Freien, besonders im
Walde, eine vorsichtige Abhärtung, reichliche Bewegung sollen die Gesundheit
stärken, wie denn eine Menge von Beispielen zeigt, daß Verzärtelung die Ursache
vieler Krankheiten ist. Es ist eine Hausapotheke eingerichtet. Den inländischen
Mitteln soll, wo irgend möglich, vor den ausländischen der Vorzug gegeben
werden. Wie kann man denn von dem Allweisen glauben, daß er die Mittel,
unsre Verlorne Ausdünstung wiederzuerlangen, geschwächte Nerven zu stärken,
soweit zerstreut habe, daß wir das eine in Schweden, daß andre in Persien,
daß dritte in Peru suchen müssen? Das ganze Geheimnis, die Gesundheit zu
erhalten, besteht darin, den Körper an den Wechsel der Witterung zu gewöhnen
und in dem Gebrauch der einfachsten Heilniittel, die uns zunächst liegen.

Ich habe ein prächtiges Naturalienkabinet, gegen welches das schönste könig¬
liche Kabinet garnichts sagen will. Täglich besuchen wir dasselbe, unterreden
uns über das, was wir gesehen haben, schreiben es in deutscher Sprache auf
und üben das Vermögen, unsre Gedanken andern mitzuteilen. Dann schreiben
wir es auf -- lateinisch und französisch und lernen so beide Sprachen. Später
lernen wir auch, alle diese Dinge abzuzeichnen. Mein Naturalienkabinet ist die
Natur selbst. Diese Beobachtung der Natur, die jedem Kinde von Natur lieb
ist, hat den Vorteil, einen aufmerksamen und praktischen Sinn zu bilden. Es
sollen auch die GeWerke, der Ackerbau und die Industrie beschaut und besucht
werden.

Aber wo bleibt denn da der Unterricht? die Geographie? die Geschichte? die
Mythologie? die schönen Wissenschaften? die Religion? Das soll alles ihnen
gewiß und gut gelehrt werden. Nur alles zu seiner Zeit. Ehe meine Zög¬
linge die Statistik von Spanien lernen, sollen sie sich erst mit der Statistik von
Gotha bekannt machen. Ehe wir die Geschichte der Assyrer und Perser, Griechen
und Römer lernen, wollen wir uns mit der Geschichte eines bcuachbcirteu Ortes
-- z. B. des Klosters Reinhardsbrunn -- bekannt machen. Erst Geographie,
dann Geschichte, die Mythologie noch später. Im Grunde ist die Mythologie
wahrer Unsinn, über den wir alle spotten würden, wenn er nicht durch Künstler
so schön dargestellt wäre. Den Unterricht in den schönen Wissenschaften werde
ich viel früher anfangen. Es soll auf die Schönheit deutscher und fremder
Dichtung, auf die Schönheit der Natur aufmerksam gemacht werden.

Ebensowenig hat man Ursache, zu besorgen, daß durch das Studium der
Natur die Religion versäumt werde. Die Beobachtung der Natur -- ist diese
nicht schon Unterricht in der Religion? Was kann herzlichere Ehrfurcht gegen
Gott erzeugen als die Gewöhnung, alle Wirkungen der Natur als Wirkungen
Gottes zu betrachten? Was vermag uns stärker zur Liebe und Dankbarkeit
zu ermuntern, als die immer mehr wachsende Einsicht in die Kräfte der Natur


Das Werk Salzmanns.

nicht erzogen werden, doch sollen alle Leckereien und ungesunde Speisen vermieden
werden; reichliche und gesunde Kost, wie sie das Land bietet, soll nie fehlen. Auf
Ventilation und gute Luft wird gehalten. Aufenthalt im Freien, besonders im
Walde, eine vorsichtige Abhärtung, reichliche Bewegung sollen die Gesundheit
stärken, wie denn eine Menge von Beispielen zeigt, daß Verzärtelung die Ursache
vieler Krankheiten ist. Es ist eine Hausapotheke eingerichtet. Den inländischen
Mitteln soll, wo irgend möglich, vor den ausländischen der Vorzug gegeben
werden. Wie kann man denn von dem Allweisen glauben, daß er die Mittel,
unsre Verlorne Ausdünstung wiederzuerlangen, geschwächte Nerven zu stärken,
soweit zerstreut habe, daß wir das eine in Schweden, daß andre in Persien,
daß dritte in Peru suchen müssen? Das ganze Geheimnis, die Gesundheit zu
erhalten, besteht darin, den Körper an den Wechsel der Witterung zu gewöhnen
und in dem Gebrauch der einfachsten Heilniittel, die uns zunächst liegen.

Ich habe ein prächtiges Naturalienkabinet, gegen welches das schönste könig¬
liche Kabinet garnichts sagen will. Täglich besuchen wir dasselbe, unterreden
uns über das, was wir gesehen haben, schreiben es in deutscher Sprache auf
und üben das Vermögen, unsre Gedanken andern mitzuteilen. Dann schreiben
wir es auf — lateinisch und französisch und lernen so beide Sprachen. Später
lernen wir auch, alle diese Dinge abzuzeichnen. Mein Naturalienkabinet ist die
Natur selbst. Diese Beobachtung der Natur, die jedem Kinde von Natur lieb
ist, hat den Vorteil, einen aufmerksamen und praktischen Sinn zu bilden. Es
sollen auch die GeWerke, der Ackerbau und die Industrie beschaut und besucht
werden.

Aber wo bleibt denn da der Unterricht? die Geographie? die Geschichte? die
Mythologie? die schönen Wissenschaften? die Religion? Das soll alles ihnen
gewiß und gut gelehrt werden. Nur alles zu seiner Zeit. Ehe meine Zög¬
linge die Statistik von Spanien lernen, sollen sie sich erst mit der Statistik von
Gotha bekannt machen. Ehe wir die Geschichte der Assyrer und Perser, Griechen
und Römer lernen, wollen wir uns mit der Geschichte eines bcuachbcirteu Ortes
— z. B. des Klosters Reinhardsbrunn — bekannt machen. Erst Geographie,
dann Geschichte, die Mythologie noch später. Im Grunde ist die Mythologie
wahrer Unsinn, über den wir alle spotten würden, wenn er nicht durch Künstler
so schön dargestellt wäre. Den Unterricht in den schönen Wissenschaften werde
ich viel früher anfangen. Es soll auf die Schönheit deutscher und fremder
Dichtung, auf die Schönheit der Natur aufmerksam gemacht werden.

Ebensowenig hat man Ursache, zu besorgen, daß durch das Studium der
Natur die Religion versäumt werde. Die Beobachtung der Natur — ist diese
nicht schon Unterricht in der Religion? Was kann herzlichere Ehrfurcht gegen
Gott erzeugen als die Gewöhnung, alle Wirkungen der Natur als Wirkungen
Gottes zu betrachten? Was vermag uns stärker zur Liebe und Dankbarkeit
zu ermuntern, als die immer mehr wachsende Einsicht in die Kräfte der Natur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/415>, abgerufen am 22.06.2024.