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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Gewerbekammern.

Gewerbeordnung -- die Anträge von von Scydewitz und Genossen -- wurde
der juristische Konsulent vom preußischen Handelsminister aufgefordert, seine
Meinung zu äußern. Im Jahre 1881 wurden von größern Gutachten abgegeben
eins über das Gesetz, betreffend die Jnnungsreform, eins über das Arbeiter¬
unfallversicherungsgesetz (beide an den bremischen Senat), eins über das Pro¬
jekt einer allgemeinen Ausstellung zu Berlin an den Vorstand der "Vereinigten
Berliner Kaufleute und Industriellen." Eifrig hat sie sich auch an den Kon¬
ferenzen deutscher Gewerbekammern beteiligt und ihr juristischer Konsulent hat
für diese Versammlungen Denkschriften und Referate ausgearbeitet. Kurz, die
Kammer ist auf gewerbepolitischem Gebiete vollauf beschäftigt, und an dieser
Stelle auseinanderzusetzen, was sie alles in der Richtung besorgt hat, würde
viel zu weit führen.

Soll zum Schluß ein allgemeines Urteil über Gewerbekammern auf Grund
der bremischen Erfahrungen gefällt werden, so scheint das Wesentliche, daß ein
fester Punkt geschaffen wird, um den die Mitglieder des Gewerbestandes sich
gruppiren. Nichts wirkt schädlicher nicht nur im allgemeinen, sondern besonders
auch in den Fragen der Gcwerbepolitik, als Zerfahrenheit. Gerade bei letzteren
hat erwiesenermaßen die Theorie der Gesetzgebung schon oft nicht ausgereicht,
und in manche angeblich wertvolle gesetzliche Neuerung hat die Praxis Bresche
geschossen. Ist nun ein derartiger Anhaltepunkt gegeben, wo die Praktiker
ihre Kenntnisse niederlegen können und beständiger Austausch deS vorhandnen
Materials mit dem der Schwesteriustitute zu weiterer theoretischer Verwertung
stattfinden kann, so ist offenbar das Zustandekommen wahrhaft nutzbringender
Reformen sehr erleichtert. Die Gewerbetreibenden selbst sind nicht in Ver¬
legenheit, auf welchem Wege sie ihren Vorschlägen Gehör verschaffe" sollen, und
die Negierung andrerseits braucht nur die Kammern zu fragen, wenn sie sich
über die Bedürfnisse des Gewerbestandes und dessen Auffassung von der mög¬
lichen Lösung belehren lassen will. Die bremische Kammer hat noch besonders
durch ihre technische Anstalt und die mit derselben verbundenen reichen Mnster-
und Vorbildersammlungcn ans die Hebung und Pflege des Kunstgewerbes
eingewirkt. Gewiß ist das ein Vorgehen, das allseitig empfohlen werden darf
und, wenn erst mehr bekannt, auch wohl nachgeahmt werden wird. Als ein Vorzug
in der Organisation der bremischen Kammer erscheint ferner, daß nicht das
eigentliche Handwerk allein, sondern ausdrücklich die gesamte Fabrikantenwelt
zur Mitgliedschaft herangezogen ist. Den auf eine grundsätzliche Trennung von
Handwerk und Großindustrie gerichteten Bestrebungen können wir uns
nicht anschließen. Schon an dem äußerlichen Umstände, daß Fabrik und Hand¬
werk sich niemals begrifflich recht werden auseinanderhalten lassen, müssen
sie scheitern. Und je mehr die Kleinkraftmaschine in die Werkstatt des Hand¬
werkers Einzug hält, desto verwickelter wird die Situation. Allerdings drängt
ein Teil der Handwerker selbst zur Begründung von Handwerkerkammcrn, wir


Gewerbekammern.

Gewerbeordnung — die Anträge von von Scydewitz und Genossen — wurde
der juristische Konsulent vom preußischen Handelsminister aufgefordert, seine
Meinung zu äußern. Im Jahre 1881 wurden von größern Gutachten abgegeben
eins über das Gesetz, betreffend die Jnnungsreform, eins über das Arbeiter¬
unfallversicherungsgesetz (beide an den bremischen Senat), eins über das Pro¬
jekt einer allgemeinen Ausstellung zu Berlin an den Vorstand der „Vereinigten
Berliner Kaufleute und Industriellen." Eifrig hat sie sich auch an den Kon¬
ferenzen deutscher Gewerbekammern beteiligt und ihr juristischer Konsulent hat
für diese Versammlungen Denkschriften und Referate ausgearbeitet. Kurz, die
Kammer ist auf gewerbepolitischem Gebiete vollauf beschäftigt, und an dieser
Stelle auseinanderzusetzen, was sie alles in der Richtung besorgt hat, würde
viel zu weit führen.

Soll zum Schluß ein allgemeines Urteil über Gewerbekammern auf Grund
der bremischen Erfahrungen gefällt werden, so scheint das Wesentliche, daß ein
fester Punkt geschaffen wird, um den die Mitglieder des Gewerbestandes sich
gruppiren. Nichts wirkt schädlicher nicht nur im allgemeinen, sondern besonders
auch in den Fragen der Gcwerbepolitik, als Zerfahrenheit. Gerade bei letzteren
hat erwiesenermaßen die Theorie der Gesetzgebung schon oft nicht ausgereicht,
und in manche angeblich wertvolle gesetzliche Neuerung hat die Praxis Bresche
geschossen. Ist nun ein derartiger Anhaltepunkt gegeben, wo die Praktiker
ihre Kenntnisse niederlegen können und beständiger Austausch deS vorhandnen
Materials mit dem der Schwesteriustitute zu weiterer theoretischer Verwertung
stattfinden kann, so ist offenbar das Zustandekommen wahrhaft nutzbringender
Reformen sehr erleichtert. Die Gewerbetreibenden selbst sind nicht in Ver¬
legenheit, auf welchem Wege sie ihren Vorschlägen Gehör verschaffe» sollen, und
die Negierung andrerseits braucht nur die Kammern zu fragen, wenn sie sich
über die Bedürfnisse des Gewerbestandes und dessen Auffassung von der mög¬
lichen Lösung belehren lassen will. Die bremische Kammer hat noch besonders
durch ihre technische Anstalt und die mit derselben verbundenen reichen Mnster-
und Vorbildersammlungcn ans die Hebung und Pflege des Kunstgewerbes
eingewirkt. Gewiß ist das ein Vorgehen, das allseitig empfohlen werden darf
und, wenn erst mehr bekannt, auch wohl nachgeahmt werden wird. Als ein Vorzug
in der Organisation der bremischen Kammer erscheint ferner, daß nicht das
eigentliche Handwerk allein, sondern ausdrücklich die gesamte Fabrikantenwelt
zur Mitgliedschaft herangezogen ist. Den auf eine grundsätzliche Trennung von
Handwerk und Großindustrie gerichteten Bestrebungen können wir uns
nicht anschließen. Schon an dem äußerlichen Umstände, daß Fabrik und Hand¬
werk sich niemals begrifflich recht werden auseinanderhalten lassen, müssen
sie scheitern. Und je mehr die Kleinkraftmaschine in die Werkstatt des Hand¬
werkers Einzug hält, desto verwickelter wird die Situation. Allerdings drängt
ein Teil der Handwerker selbst zur Begründung von Handwerkerkammcrn, wir


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[0413] Gewerbekammern. Gewerbeordnung — die Anträge von von Scydewitz und Genossen — wurde der juristische Konsulent vom preußischen Handelsminister aufgefordert, seine Meinung zu äußern. Im Jahre 1881 wurden von größern Gutachten abgegeben eins über das Gesetz, betreffend die Jnnungsreform, eins über das Arbeiter¬ unfallversicherungsgesetz (beide an den bremischen Senat), eins über das Pro¬ jekt einer allgemeinen Ausstellung zu Berlin an den Vorstand der „Vereinigten Berliner Kaufleute und Industriellen." Eifrig hat sie sich auch an den Kon¬ ferenzen deutscher Gewerbekammern beteiligt und ihr juristischer Konsulent hat für diese Versammlungen Denkschriften und Referate ausgearbeitet. Kurz, die Kammer ist auf gewerbepolitischem Gebiete vollauf beschäftigt, und an dieser Stelle auseinanderzusetzen, was sie alles in der Richtung besorgt hat, würde viel zu weit führen. Soll zum Schluß ein allgemeines Urteil über Gewerbekammern auf Grund der bremischen Erfahrungen gefällt werden, so scheint das Wesentliche, daß ein fester Punkt geschaffen wird, um den die Mitglieder des Gewerbestandes sich gruppiren. Nichts wirkt schädlicher nicht nur im allgemeinen, sondern besonders auch in den Fragen der Gcwerbepolitik, als Zerfahrenheit. Gerade bei letzteren hat erwiesenermaßen die Theorie der Gesetzgebung schon oft nicht ausgereicht, und in manche angeblich wertvolle gesetzliche Neuerung hat die Praxis Bresche geschossen. Ist nun ein derartiger Anhaltepunkt gegeben, wo die Praktiker ihre Kenntnisse niederlegen können und beständiger Austausch deS vorhandnen Materials mit dem der Schwesteriustitute zu weiterer theoretischer Verwertung stattfinden kann, so ist offenbar das Zustandekommen wahrhaft nutzbringender Reformen sehr erleichtert. Die Gewerbetreibenden selbst sind nicht in Ver¬ legenheit, auf welchem Wege sie ihren Vorschlägen Gehör verschaffe» sollen, und die Negierung andrerseits braucht nur die Kammern zu fragen, wenn sie sich über die Bedürfnisse des Gewerbestandes und dessen Auffassung von der mög¬ lichen Lösung belehren lassen will. Die bremische Kammer hat noch besonders durch ihre technische Anstalt und die mit derselben verbundenen reichen Mnster- und Vorbildersammlungcn ans die Hebung und Pflege des Kunstgewerbes eingewirkt. Gewiß ist das ein Vorgehen, das allseitig empfohlen werden darf und, wenn erst mehr bekannt, auch wohl nachgeahmt werden wird. Als ein Vorzug in der Organisation der bremischen Kammer erscheint ferner, daß nicht das eigentliche Handwerk allein, sondern ausdrücklich die gesamte Fabrikantenwelt zur Mitgliedschaft herangezogen ist. Den auf eine grundsätzliche Trennung von Handwerk und Großindustrie gerichteten Bestrebungen können wir uns nicht anschließen. Schon an dem äußerlichen Umstände, daß Fabrik und Hand¬ werk sich niemals begrifflich recht werden auseinanderhalten lassen, müssen sie scheitern. Und je mehr die Kleinkraftmaschine in die Werkstatt des Hand¬ werkers Einzug hält, desto verwickelter wird die Situation. Allerdings drängt ein Teil der Handwerker selbst zur Begründung von Handwerkerkammcrn, wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/413>, abgerufen am 22.06.2024.