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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Englands Feldzug gegen den Mahdi.

er sich nicht schon früher über die außerordentliche Bedeutung
Ägyptens für die nächste Zukunft der europäischen Situation klar
gewesen ist, dem werden die letzten Wochen die Sache beleuchtet
haben. Die ägyptische Frage ist seit dem Fehlschlagen des Planes,
den Gladstone mit der Londoner Konferenz bezweckte, in eine
völlig neue Phase getreten, und die Möglichkeit, daß sie zu einem Bruche
zwischen England und Frankreich führt, ist auf dem Wege, zur Wahrscheinlich¬
keit zu werden. Obwohl die Erklärung des englischen Premiers, der französisch-
englische Vertrag sei ungiltig, von Paris aus keinen Widerspruch erfahren hat,
hält Frankreich seine Ansprüche in betreff Ägyptens stillschweigend fest, und die
finanziellen Angelegenheiten des letztern sind noch weit davon, geordnet zu sein.
Die übrigen Mächte haben anscheinend noch keine Entschlüsse gefaßt, wie sie sich
zu dem fortglimmenden Streite, wenn er entbrennen sollte, verhalten würden,
aber aus verschiednen Anzeichen darf geschlossen werden, daß keine von ihnen
Neigung verspürt, dem jetzigen Londoner Kabinet über den Berg zu helfen, und
wer in aller Welt wollte sich darüber wundern? vo, ut clss ist die Regel bei
Gefälligkeiten unter den Politikern, welche die Interessen der Völker und Staaten
wahrzunehmen haben, und daß die britische Selbstsucht sich in der letzten Zeit
bei irgend jemand eine besondre Liebe erworben hätte, die darüber hinwegsehen
könnte, wird schwerlich jemand behaupten wollen. Allenthalben giebt sich eine
antienglische Stimmung kund.

Solche Betrachtungen liegen jetzt indes nicht so nahe wie eine andre,
welche die Ereignisse im Sudan täglich mehr aufdrängen. England hat die
Macht des Mahdi monatelang wachsen lassen. Erst jetzt hat es begriffen, daß
er eine ernste Gefahr ist, gegen die schleunig etwas geschehen muß, wenn eine


Grenzboten III. 1884. 50


Englands Feldzug gegen den Mahdi.

er sich nicht schon früher über die außerordentliche Bedeutung
Ägyptens für die nächste Zukunft der europäischen Situation klar
gewesen ist, dem werden die letzten Wochen die Sache beleuchtet
haben. Die ägyptische Frage ist seit dem Fehlschlagen des Planes,
den Gladstone mit der Londoner Konferenz bezweckte, in eine
völlig neue Phase getreten, und die Möglichkeit, daß sie zu einem Bruche
zwischen England und Frankreich führt, ist auf dem Wege, zur Wahrscheinlich¬
keit zu werden. Obwohl die Erklärung des englischen Premiers, der französisch-
englische Vertrag sei ungiltig, von Paris aus keinen Widerspruch erfahren hat,
hält Frankreich seine Ansprüche in betreff Ägyptens stillschweigend fest, und die
finanziellen Angelegenheiten des letztern sind noch weit davon, geordnet zu sein.
Die übrigen Mächte haben anscheinend noch keine Entschlüsse gefaßt, wie sie sich
zu dem fortglimmenden Streite, wenn er entbrennen sollte, verhalten würden,
aber aus verschiednen Anzeichen darf geschlossen werden, daß keine von ihnen
Neigung verspürt, dem jetzigen Londoner Kabinet über den Berg zu helfen, und
wer in aller Welt wollte sich darüber wundern? vo, ut clss ist die Regel bei
Gefälligkeiten unter den Politikern, welche die Interessen der Völker und Staaten
wahrzunehmen haben, und daß die britische Selbstsucht sich in der letzten Zeit
bei irgend jemand eine besondre Liebe erworben hätte, die darüber hinwegsehen
könnte, wird schwerlich jemand behaupten wollen. Allenthalben giebt sich eine
antienglische Stimmung kund.

Solche Betrachtungen liegen jetzt indes nicht so nahe wie eine andre,
welche die Ereignisse im Sudan täglich mehr aufdrängen. England hat die
Macht des Mahdi monatelang wachsen lassen. Erst jetzt hat es begriffen, daß
er eine ernste Gefahr ist, gegen die schleunig etwas geschehen muß, wenn eine


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[0401] [Abbildung] Englands Feldzug gegen den Mahdi. er sich nicht schon früher über die außerordentliche Bedeutung Ägyptens für die nächste Zukunft der europäischen Situation klar gewesen ist, dem werden die letzten Wochen die Sache beleuchtet haben. Die ägyptische Frage ist seit dem Fehlschlagen des Planes, den Gladstone mit der Londoner Konferenz bezweckte, in eine völlig neue Phase getreten, und die Möglichkeit, daß sie zu einem Bruche zwischen England und Frankreich führt, ist auf dem Wege, zur Wahrscheinlich¬ keit zu werden. Obwohl die Erklärung des englischen Premiers, der französisch- englische Vertrag sei ungiltig, von Paris aus keinen Widerspruch erfahren hat, hält Frankreich seine Ansprüche in betreff Ägyptens stillschweigend fest, und die finanziellen Angelegenheiten des letztern sind noch weit davon, geordnet zu sein. Die übrigen Mächte haben anscheinend noch keine Entschlüsse gefaßt, wie sie sich zu dem fortglimmenden Streite, wenn er entbrennen sollte, verhalten würden, aber aus verschiednen Anzeichen darf geschlossen werden, daß keine von ihnen Neigung verspürt, dem jetzigen Londoner Kabinet über den Berg zu helfen, und wer in aller Welt wollte sich darüber wundern? vo, ut clss ist die Regel bei Gefälligkeiten unter den Politikern, welche die Interessen der Völker und Staaten wahrzunehmen haben, und daß die britische Selbstsucht sich in der letzten Zeit bei irgend jemand eine besondre Liebe erworben hätte, die darüber hinwegsehen könnte, wird schwerlich jemand behaupten wollen. Allenthalben giebt sich eine antienglische Stimmung kund. Solche Betrachtungen liegen jetzt indes nicht so nahe wie eine andre, welche die Ereignisse im Sudan täglich mehr aufdrängen. England hat die Macht des Mahdi monatelang wachsen lassen. Erst jetzt hat es begriffen, daß er eine ernste Gefahr ist, gegen die schleunig etwas geschehen muß, wenn eine Grenzboten III. 1884. 50

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/401>, abgerufen am 22.06.2024.