Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Gngel auf Lrden.

Valgrande sah den Sprecher mißtrauisch an. Die Verwandtschaft zwischen
Cerci und Paul war nicht darnach angethan, ihm große Sympathie für den
Doktor zu erwecken. Er verbeugte, zum Zeichen, daß der Doktor fortfahren
möchte, nachlässig und hochmütig das Haupt.

Cerci ärgerte sich über den zur Schau getragenen Hochmut des Grafen
und fuhr in einem etwas derberen Tone fort, als er gegen jemand, den er
wirklich für einen Gentleman gehalten Hütte, angenommen haben würde. Sie
kennen den Flecken Colloretto?

Der Graf fuhr in die Höhe. Ich? Wie kommen Sie zu einer solchen
Frage?

Es soll keine Frage sein, sondern eine Behauptung. Sie kennen den Ort.

Nun gut. Was weiter?

Nun gut. Es wohnt dort ein armes junges Weib, welches nahe am
Tode liegt.

Valgrande zuckte die Schultern, als wollte er sagen: Was geht das mich an?

Haben Sie nur Geduld, Herr Graf, die Geschichte wird Sie einigermaßen
interessiren. Es handelt sich um eine arme Verführte und Verlassene, welche
Gefahr läuft, mit ihrem Sohne zu sterben -- denn es ist ein Sohn da, Herr
Graf --, vor Hunger und Elend zu sterben.

Der Graf überwand seine Verlegenheit im Augenblick und sagte mit dem
verächtlichen Tone eines blasirten Menschen: Und warum erzählen Sie mir diese
Geschichte?

Ich erzähle sie Ihnen, antwortete Cerci trotz des in ihm aufsteigenden
Zornes gelassen, weil der Verführer dieser unglücklichen Gegia kein andrer ist
als Sie selbst, Herr Graf.

Valgrande wurde bis über die Ohren rot. Was soll das heißen? rief er.
Welche Rolle spielen denn Sie hierbei? Mit welchem Rechte, mein Herr Doktor,
glauben Sie, sich in meine Angelegenheit einmischen und mich ausfragen zu
dürfen?

Ich will Sie garnicht ausfragen. Der Zufall hat mich mit einem Vor¬
falle aus Ihrer Jugend bekannt gemacht, und wenn ich Sie wegen desselben
zur Rede stelle, so thue ich es mit dem Rechte, welches sich jeder Ehrenmann
cmmcißen darf, wenn es darauf ankommt, einem armen Weibe Genugthuung zu
verschaffen.

Genugthuung? Was für eine Genugthuung? Sollte sie die Unverschämt¬
heit haben, mich zu denunziren?

Sie ist soweit entfernt davon, Sie zu denunziren, daß sie auch nicht einmal
Ihren Namen ausgesprochen hat.

Kurz, sie ist es, die Sie hierher gesandt hat.

Nein, mein Herr.

Was will sie also, was verlangt sie?

Sie nichts. Ich aber komme, um Sie an Ihre Pflicht zu erinnern.

Ich brauche mich von niemand an meine Pflicht erinnern zu lassen.

Das scheint nicht so, denn in diesem Falle haben Sie sie vollständig vergessen.

Nehmen Sie sich in Acht, Herr Doktor, ich bin geneigt, mir vieles von
Ihnen gefallen zu lassen, aber auch meine Geduld hat ihre Grenzen. Ich sage
Ihnen, ich habe an dieser Frau alles gethan, was ich den Umständen nach thun
konnte.

Ja, Sie haben sie verführt, um sie dann ins Elend zu stürzen.


Die Gngel auf Lrden.

Valgrande sah den Sprecher mißtrauisch an. Die Verwandtschaft zwischen
Cerci und Paul war nicht darnach angethan, ihm große Sympathie für den
Doktor zu erwecken. Er verbeugte, zum Zeichen, daß der Doktor fortfahren
möchte, nachlässig und hochmütig das Haupt.

Cerci ärgerte sich über den zur Schau getragenen Hochmut des Grafen
und fuhr in einem etwas derberen Tone fort, als er gegen jemand, den er
wirklich für einen Gentleman gehalten Hütte, angenommen haben würde. Sie
kennen den Flecken Colloretto?

Der Graf fuhr in die Höhe. Ich? Wie kommen Sie zu einer solchen
Frage?

Es soll keine Frage sein, sondern eine Behauptung. Sie kennen den Ort.

Nun gut. Was weiter?

Nun gut. Es wohnt dort ein armes junges Weib, welches nahe am
Tode liegt.

Valgrande zuckte die Schultern, als wollte er sagen: Was geht das mich an?

Haben Sie nur Geduld, Herr Graf, die Geschichte wird Sie einigermaßen
interessiren. Es handelt sich um eine arme Verführte und Verlassene, welche
Gefahr läuft, mit ihrem Sohne zu sterben — denn es ist ein Sohn da, Herr
Graf —, vor Hunger und Elend zu sterben.

Der Graf überwand seine Verlegenheit im Augenblick und sagte mit dem
verächtlichen Tone eines blasirten Menschen: Und warum erzählen Sie mir diese
Geschichte?

Ich erzähle sie Ihnen, antwortete Cerci trotz des in ihm aufsteigenden
Zornes gelassen, weil der Verführer dieser unglücklichen Gegia kein andrer ist
als Sie selbst, Herr Graf.

Valgrande wurde bis über die Ohren rot. Was soll das heißen? rief er.
Welche Rolle spielen denn Sie hierbei? Mit welchem Rechte, mein Herr Doktor,
glauben Sie, sich in meine Angelegenheit einmischen und mich ausfragen zu
dürfen?

Ich will Sie garnicht ausfragen. Der Zufall hat mich mit einem Vor¬
falle aus Ihrer Jugend bekannt gemacht, und wenn ich Sie wegen desselben
zur Rede stelle, so thue ich es mit dem Rechte, welches sich jeder Ehrenmann
cmmcißen darf, wenn es darauf ankommt, einem armen Weibe Genugthuung zu
verschaffen.

Genugthuung? Was für eine Genugthuung? Sollte sie die Unverschämt¬
heit haben, mich zu denunziren?

Sie ist soweit entfernt davon, Sie zu denunziren, daß sie auch nicht einmal
Ihren Namen ausgesprochen hat.

Kurz, sie ist es, die Sie hierher gesandt hat.

Nein, mein Herr.

Was will sie also, was verlangt sie?

Sie nichts. Ich aber komme, um Sie an Ihre Pflicht zu erinnern.

Ich brauche mich von niemand an meine Pflicht erinnern zu lassen.

Das scheint nicht so, denn in diesem Falle haben Sie sie vollständig vergessen.

Nehmen Sie sich in Acht, Herr Doktor, ich bin geneigt, mir vieles von
Ihnen gefallen zu lassen, aber auch meine Geduld hat ihre Grenzen. Ich sage
Ihnen, ich habe an dieser Frau alles gethan, was ich den Umständen nach thun
konnte.

Ja, Sie haben sie verführt, um sie dann ins Elend zu stürzen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0395" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156666"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Gngel auf Lrden.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1646"> Valgrande sah den Sprecher mißtrauisch an. Die Verwandtschaft zwischen<lb/>
Cerci und Paul war nicht darnach angethan, ihm große Sympathie für den<lb/>
Doktor zu erwecken. Er verbeugte, zum Zeichen, daß der Doktor fortfahren<lb/>
möchte, nachlässig und hochmütig das Haupt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1647"> Cerci ärgerte sich über den zur Schau getragenen Hochmut des Grafen<lb/>
und fuhr in einem etwas derberen Tone fort, als er gegen jemand, den er<lb/>
wirklich für einen Gentleman gehalten Hütte, angenommen haben würde. Sie<lb/>
kennen den Flecken Colloretto?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1648"> Der Graf fuhr in die Höhe. Ich? Wie kommen Sie zu einer solchen<lb/>
Frage?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1649"> Es soll keine Frage sein, sondern eine Behauptung. Sie kennen den Ort.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1650"> Nun gut.  Was weiter?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1651"> Nun gut. Es wohnt dort ein armes junges Weib, welches nahe am<lb/>
Tode liegt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1652"> Valgrande zuckte die Schultern, als wollte er sagen: Was geht das mich an?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1653"> Haben Sie nur Geduld, Herr Graf, die Geschichte wird Sie einigermaßen<lb/>
interessiren. Es handelt sich um eine arme Verführte und Verlassene, welche<lb/>
Gefahr läuft, mit ihrem Sohne zu sterben &#x2014; denn es ist ein Sohn da, Herr<lb/>
Graf &#x2014;, vor Hunger und Elend zu sterben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1654"> Der Graf überwand seine Verlegenheit im Augenblick und sagte mit dem<lb/>
verächtlichen Tone eines blasirten Menschen: Und warum erzählen Sie mir diese<lb/>
Geschichte?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1655"> Ich erzähle sie Ihnen, antwortete Cerci trotz des in ihm aufsteigenden<lb/>
Zornes gelassen, weil der Verführer dieser unglücklichen Gegia kein andrer ist<lb/>
als Sie selbst, Herr Graf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1656"> Valgrande wurde bis über die Ohren rot. Was soll das heißen? rief er.<lb/>
Welche Rolle spielen denn Sie hierbei? Mit welchem Rechte, mein Herr Doktor,<lb/>
glauben Sie, sich in meine Angelegenheit einmischen und mich ausfragen zu<lb/>
dürfen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1657"> Ich will Sie garnicht ausfragen. Der Zufall hat mich mit einem Vor¬<lb/>
falle aus Ihrer Jugend bekannt gemacht, und wenn ich Sie wegen desselben<lb/>
zur Rede stelle, so thue ich es mit dem Rechte, welches sich jeder Ehrenmann<lb/>
cmmcißen darf, wenn es darauf ankommt, einem armen Weibe Genugthuung zu<lb/>
verschaffen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1658"> Genugthuung? Was für eine Genugthuung? Sollte sie die Unverschämt¬<lb/>
heit haben, mich zu denunziren?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1659"> Sie ist soweit entfernt davon, Sie zu denunziren, daß sie auch nicht einmal<lb/>
Ihren Namen ausgesprochen hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1660"> Kurz, sie ist es, die Sie hierher gesandt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1661"> Nein, mein Herr.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1662"> Was will sie also, was verlangt sie?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1663"> Sie nichts.  Ich aber komme, um Sie an Ihre Pflicht zu erinnern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1664"> Ich brauche mich von niemand an meine Pflicht erinnern zu lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1665"> Das scheint nicht so, denn in diesem Falle haben Sie sie vollständig vergessen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1666"> Nehmen Sie sich in Acht, Herr Doktor, ich bin geneigt, mir vieles von<lb/>
Ihnen gefallen zu lassen, aber auch meine Geduld hat ihre Grenzen. Ich sage<lb/>
Ihnen, ich habe an dieser Frau alles gethan, was ich den Umständen nach thun<lb/>
konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1667"> Ja, Sie haben sie verführt, um sie dann ins Elend zu stürzen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0395] Die Gngel auf Lrden. Valgrande sah den Sprecher mißtrauisch an. Die Verwandtschaft zwischen Cerci und Paul war nicht darnach angethan, ihm große Sympathie für den Doktor zu erwecken. Er verbeugte, zum Zeichen, daß der Doktor fortfahren möchte, nachlässig und hochmütig das Haupt. Cerci ärgerte sich über den zur Schau getragenen Hochmut des Grafen und fuhr in einem etwas derberen Tone fort, als er gegen jemand, den er wirklich für einen Gentleman gehalten Hütte, angenommen haben würde. Sie kennen den Flecken Colloretto? Der Graf fuhr in die Höhe. Ich? Wie kommen Sie zu einer solchen Frage? Es soll keine Frage sein, sondern eine Behauptung. Sie kennen den Ort. Nun gut. Was weiter? Nun gut. Es wohnt dort ein armes junges Weib, welches nahe am Tode liegt. Valgrande zuckte die Schultern, als wollte er sagen: Was geht das mich an? Haben Sie nur Geduld, Herr Graf, die Geschichte wird Sie einigermaßen interessiren. Es handelt sich um eine arme Verführte und Verlassene, welche Gefahr läuft, mit ihrem Sohne zu sterben — denn es ist ein Sohn da, Herr Graf —, vor Hunger und Elend zu sterben. Der Graf überwand seine Verlegenheit im Augenblick und sagte mit dem verächtlichen Tone eines blasirten Menschen: Und warum erzählen Sie mir diese Geschichte? Ich erzähle sie Ihnen, antwortete Cerci trotz des in ihm aufsteigenden Zornes gelassen, weil der Verführer dieser unglücklichen Gegia kein andrer ist als Sie selbst, Herr Graf. Valgrande wurde bis über die Ohren rot. Was soll das heißen? rief er. Welche Rolle spielen denn Sie hierbei? Mit welchem Rechte, mein Herr Doktor, glauben Sie, sich in meine Angelegenheit einmischen und mich ausfragen zu dürfen? Ich will Sie garnicht ausfragen. Der Zufall hat mich mit einem Vor¬ falle aus Ihrer Jugend bekannt gemacht, und wenn ich Sie wegen desselben zur Rede stelle, so thue ich es mit dem Rechte, welches sich jeder Ehrenmann cmmcißen darf, wenn es darauf ankommt, einem armen Weibe Genugthuung zu verschaffen. Genugthuung? Was für eine Genugthuung? Sollte sie die Unverschämt¬ heit haben, mich zu denunziren? Sie ist soweit entfernt davon, Sie zu denunziren, daß sie auch nicht einmal Ihren Namen ausgesprochen hat. Kurz, sie ist es, die Sie hierher gesandt hat. Nein, mein Herr. Was will sie also, was verlangt sie? Sie nichts. Ich aber komme, um Sie an Ihre Pflicht zu erinnern. Ich brauche mich von niemand an meine Pflicht erinnern zu lassen. Das scheint nicht so, denn in diesem Falle haben Sie sie vollständig vergessen. Nehmen Sie sich in Acht, Herr Doktor, ich bin geneigt, mir vieles von Ihnen gefallen zu lassen, aber auch meine Geduld hat ihre Grenzen. Ich sage Ihnen, ich habe an dieser Frau alles gethan, was ich den Umständen nach thun konnte. Ja, Sie haben sie verführt, um sie dann ins Elend zu stürzen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/395
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/395>, abgerufen am 21.06.2024.