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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die Gngel auf Grden.
Roman von Viktor Bersezio. Aus dem Italienischen.
(Fortsetzung.)
13.

oktor Cerci war am frühen Morgen nach Colloretto gegangen,
um sich zu erkundigen, wie sich die arme Gegia befinde und
welche Wirkung die tags zuvor erlittene Aufregung verursacht
habe.
Die unglückliche Tochter der alten Magdalene hatte eine
schlimme Nacht zugebracht und ein heftiges Fieber überstanden.
Cerci verordnete einen beruhigenden Trank und empfahl ihr mit trostreichen
Worten Gemütsruhe an.

Aber die Aermste unterbrach ihn: Ruhe! Ruhe! Wie wäre mir das
möglich? Dieser Bösewicht hat mich um meine Jugend, um mein ganzes Lebens-
glück gebracht. Er hat mich zu einer schlechten Tochter gemacht, und seine
Schuld ist es nicht, wenn ich nicht eine ebenso schlechte Mutter wurde! Ver¬
zeihen hätte ich ihm nie können, beim heiligen Gott! Aber ich hätte ihn viel¬
leicht vergessen können, wenn er nie wieder vor mir erschienen wäre! Ich ver¬
langte nichts weiter, als ihn nie wiederzusehen, nie wieder etwas von ihm zu
hören. Warum verfolgt er mich bis hierher? Ist es mein böses Geschick oder
seins, welches ihn sendet? Wie kann er die Frechheit haben, hier im vollen
Jubel zu leben, als ob nichts geschehen wäre?

Der Doktor bot alles auf, um das arme, verwundete Herz zu beruhigen,
aber vergebens.

Nein, nein! rief sie, indem sie sich immer mehr erregte. Ich habe ihn ge¬
flohen, ich habe ihn verachtet. Wenn es auf mich angekommen wäre, so würden
wir uns nie wieder im Leben begegnet sein. Aber da er es ist, der die Frech¬
heit hat, mich mit seiner Gegenwart zu beschimpfen -- nun gut, so will ich
mich in seine Nähe drängen, will ihm wenigstens sagen, wie ich ihn verabscheue
und verachte. Es ist unnütz, daß Sie mich davon abzubringen suchen. Ich
werde meinen Sohn auf den Arm nehmen und mitten unter den eleganten Damen,


Grenzboten III. 1834. 49


Die Gngel auf Grden.
Roman von Viktor Bersezio. Aus dem Italienischen.
(Fortsetzung.)
13.

oktor Cerci war am frühen Morgen nach Colloretto gegangen,
um sich zu erkundigen, wie sich die arme Gegia befinde und
welche Wirkung die tags zuvor erlittene Aufregung verursacht
habe.
Die unglückliche Tochter der alten Magdalene hatte eine
schlimme Nacht zugebracht und ein heftiges Fieber überstanden.
Cerci verordnete einen beruhigenden Trank und empfahl ihr mit trostreichen
Worten Gemütsruhe an.

Aber die Aermste unterbrach ihn: Ruhe! Ruhe! Wie wäre mir das
möglich? Dieser Bösewicht hat mich um meine Jugend, um mein ganzes Lebens-
glück gebracht. Er hat mich zu einer schlechten Tochter gemacht, und seine
Schuld ist es nicht, wenn ich nicht eine ebenso schlechte Mutter wurde! Ver¬
zeihen hätte ich ihm nie können, beim heiligen Gott! Aber ich hätte ihn viel¬
leicht vergessen können, wenn er nie wieder vor mir erschienen wäre! Ich ver¬
langte nichts weiter, als ihn nie wiederzusehen, nie wieder etwas von ihm zu
hören. Warum verfolgt er mich bis hierher? Ist es mein böses Geschick oder
seins, welches ihn sendet? Wie kann er die Frechheit haben, hier im vollen
Jubel zu leben, als ob nichts geschehen wäre?

Der Doktor bot alles auf, um das arme, verwundete Herz zu beruhigen,
aber vergebens.

Nein, nein! rief sie, indem sie sich immer mehr erregte. Ich habe ihn ge¬
flohen, ich habe ihn verachtet. Wenn es auf mich angekommen wäre, so würden
wir uns nie wieder im Leben begegnet sein. Aber da er es ist, der die Frech¬
heit hat, mich mit seiner Gegenwart zu beschimpfen — nun gut, so will ich
mich in seine Nähe drängen, will ihm wenigstens sagen, wie ich ihn verabscheue
und verachte. Es ist unnütz, daß Sie mich davon abzubringen suchen. Ich
werde meinen Sohn auf den Arm nehmen und mitten unter den eleganten Damen,


Grenzboten III. 1834. 49
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[0393] [Abbildung] Die Gngel auf Grden. Roman von Viktor Bersezio. Aus dem Italienischen. (Fortsetzung.) 13. oktor Cerci war am frühen Morgen nach Colloretto gegangen, um sich zu erkundigen, wie sich die arme Gegia befinde und welche Wirkung die tags zuvor erlittene Aufregung verursacht habe. Die unglückliche Tochter der alten Magdalene hatte eine schlimme Nacht zugebracht und ein heftiges Fieber überstanden. Cerci verordnete einen beruhigenden Trank und empfahl ihr mit trostreichen Worten Gemütsruhe an. Aber die Aermste unterbrach ihn: Ruhe! Ruhe! Wie wäre mir das möglich? Dieser Bösewicht hat mich um meine Jugend, um mein ganzes Lebens- glück gebracht. Er hat mich zu einer schlechten Tochter gemacht, und seine Schuld ist es nicht, wenn ich nicht eine ebenso schlechte Mutter wurde! Ver¬ zeihen hätte ich ihm nie können, beim heiligen Gott! Aber ich hätte ihn viel¬ leicht vergessen können, wenn er nie wieder vor mir erschienen wäre! Ich ver¬ langte nichts weiter, als ihn nie wiederzusehen, nie wieder etwas von ihm zu hören. Warum verfolgt er mich bis hierher? Ist es mein böses Geschick oder seins, welches ihn sendet? Wie kann er die Frechheit haben, hier im vollen Jubel zu leben, als ob nichts geschehen wäre? Der Doktor bot alles auf, um das arme, verwundete Herz zu beruhigen, aber vergebens. Nein, nein! rief sie, indem sie sich immer mehr erregte. Ich habe ihn ge¬ flohen, ich habe ihn verachtet. Wenn es auf mich angekommen wäre, so würden wir uns nie wieder im Leben begegnet sein. Aber da er es ist, der die Frech¬ heit hat, mich mit seiner Gegenwart zu beschimpfen — nun gut, so will ich mich in seine Nähe drängen, will ihm wenigstens sagen, wie ich ihn verabscheue und verachte. Es ist unnütz, daß Sie mich davon abzubringen suchen. Ich werde meinen Sohn auf den Arm nehmen und mitten unter den eleganten Damen, Grenzboten III. 1834. 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/393>, abgerufen am 21.06.2024.