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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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David d'Angers.

Pupille und die Augenbrauen laden nach vorn aus wie der Wulst des dorischen
Kapitals; und auf diesem Haupte eines Achtzigjährigen, welches man, von der
Seite betrachtet, für kahl halten möchte, ist noch ein reichlicher Wuchs von
Haaren vorhanden, die aber starr und struppig sind wie ein germanischer Wald."
Charles Blanc macht auch darauf aufmerksam, mit welchem Geschick David das
Arrangement des Haares, bei den Männern sowohl als auch ganz besonders
bei den Frauen, zur Verstärkung der Charakteristik benutzt hat. "In Ver¬
wirrung gebracht, drucken sie bei der Büste Amperes die beständige Zerstreutheit
des Gelehrten aus; über der Stirne emporgekämmt und nach rückwärts ge¬
worfen, schildern sie die Begeisterung eines Schiller und das unruhige, aufge¬
regte Wesen eines Samt Just. . . Der Dichter Bernardin de Samt-Pierre
trägt die Haare lang herabfallend, der Corsar Canciris kurz und dicht."
David war überhaupt der erste französische Bildhauer, welcher die konventionelle
Behandlung des Haupthaares aufgab und sich auch auf diesem der plastischen
Kunst schwer zugänglichen Gebiete der Nachahmung möglichst eng an die Natur
anschloß. Wie er das moderne Kostüm für die Plastik eroberte, so hat er
anch in der naturalistischen Charakteristik der Haare den Bildhauern der fol¬
genden Generationen einen neuen Weg eröffnet, auf welchem diese bis zur
höchsten Virtuosität und bis zum erstaunlichsten Raffinement fortgeschritten sind.

Neben Goethe finden sich in der Porträtsammlung Davids von be¬
rühmten Deutschen noch Schiller, Alexander und Wilhelm von Humboldt,
Schelling, Chamisso, Börne, Ritter, die Architekten Schinkel und L. von Klenze,
die Bildhauer Rauch, Rietschel, Dannecker und Tieck, dann Carus, Hahnemann,
Liebig und Blumenbach. England und Amerika sind durch Walter Scott,
Franklin, Cooper, Flaxman, Ladh Morgan und Mrs. Beecher-Stowe ver¬
treten, und von den hervorragenden Politikern, Rednern, Dichtern und Künstlern
des zeitgenössischen Frankreichs fehlt kaum ein bemerkenswerter Name.

(Schluß folgt.)




David d'Angers.

Pupille und die Augenbrauen laden nach vorn aus wie der Wulst des dorischen
Kapitals; und auf diesem Haupte eines Achtzigjährigen, welches man, von der
Seite betrachtet, für kahl halten möchte, ist noch ein reichlicher Wuchs von
Haaren vorhanden, die aber starr und struppig sind wie ein germanischer Wald."
Charles Blanc macht auch darauf aufmerksam, mit welchem Geschick David das
Arrangement des Haares, bei den Männern sowohl als auch ganz besonders
bei den Frauen, zur Verstärkung der Charakteristik benutzt hat. „In Ver¬
wirrung gebracht, drucken sie bei der Büste Amperes die beständige Zerstreutheit
des Gelehrten aus; über der Stirne emporgekämmt und nach rückwärts ge¬
worfen, schildern sie die Begeisterung eines Schiller und das unruhige, aufge¬
regte Wesen eines Samt Just. . . Der Dichter Bernardin de Samt-Pierre
trägt die Haare lang herabfallend, der Corsar Canciris kurz und dicht."
David war überhaupt der erste französische Bildhauer, welcher die konventionelle
Behandlung des Haupthaares aufgab und sich auch auf diesem der plastischen
Kunst schwer zugänglichen Gebiete der Nachahmung möglichst eng an die Natur
anschloß. Wie er das moderne Kostüm für die Plastik eroberte, so hat er
anch in der naturalistischen Charakteristik der Haare den Bildhauern der fol¬
genden Generationen einen neuen Weg eröffnet, auf welchem diese bis zur
höchsten Virtuosität und bis zum erstaunlichsten Raffinement fortgeschritten sind.

Neben Goethe finden sich in der Porträtsammlung Davids von be¬
rühmten Deutschen noch Schiller, Alexander und Wilhelm von Humboldt,
Schelling, Chamisso, Börne, Ritter, die Architekten Schinkel und L. von Klenze,
die Bildhauer Rauch, Rietschel, Dannecker und Tieck, dann Carus, Hahnemann,
Liebig und Blumenbach. England und Amerika sind durch Walter Scott,
Franklin, Cooper, Flaxman, Ladh Morgan und Mrs. Beecher-Stowe ver¬
treten, und von den hervorragenden Politikern, Rednern, Dichtern und Künstlern
des zeitgenössischen Frankreichs fehlt kaum ein bemerkenswerter Name.

(Schluß folgt.)




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[0392] David d'Angers. Pupille und die Augenbrauen laden nach vorn aus wie der Wulst des dorischen Kapitals; und auf diesem Haupte eines Achtzigjährigen, welches man, von der Seite betrachtet, für kahl halten möchte, ist noch ein reichlicher Wuchs von Haaren vorhanden, die aber starr und struppig sind wie ein germanischer Wald." Charles Blanc macht auch darauf aufmerksam, mit welchem Geschick David das Arrangement des Haares, bei den Männern sowohl als auch ganz besonders bei den Frauen, zur Verstärkung der Charakteristik benutzt hat. „In Ver¬ wirrung gebracht, drucken sie bei der Büste Amperes die beständige Zerstreutheit des Gelehrten aus; über der Stirne emporgekämmt und nach rückwärts ge¬ worfen, schildern sie die Begeisterung eines Schiller und das unruhige, aufge¬ regte Wesen eines Samt Just. . . Der Dichter Bernardin de Samt-Pierre trägt die Haare lang herabfallend, der Corsar Canciris kurz und dicht." David war überhaupt der erste französische Bildhauer, welcher die konventionelle Behandlung des Haupthaares aufgab und sich auch auf diesem der plastischen Kunst schwer zugänglichen Gebiete der Nachahmung möglichst eng an die Natur anschloß. Wie er das moderne Kostüm für die Plastik eroberte, so hat er anch in der naturalistischen Charakteristik der Haare den Bildhauern der fol¬ genden Generationen einen neuen Weg eröffnet, auf welchem diese bis zur höchsten Virtuosität und bis zum erstaunlichsten Raffinement fortgeschritten sind. Neben Goethe finden sich in der Porträtsammlung Davids von be¬ rühmten Deutschen noch Schiller, Alexander und Wilhelm von Humboldt, Schelling, Chamisso, Börne, Ritter, die Architekten Schinkel und L. von Klenze, die Bildhauer Rauch, Rietschel, Dannecker und Tieck, dann Carus, Hahnemann, Liebig und Blumenbach. England und Amerika sind durch Walter Scott, Franklin, Cooper, Flaxman, Ladh Morgan und Mrs. Beecher-Stowe ver¬ treten, und von den hervorragenden Politikern, Rednern, Dichtern und Künstlern des zeitgenössischen Frankreichs fehlt kaum ein bemerkenswerter Name. (Schluß folgt.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/392>, abgerufen am 21.06.2024.