Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
David d'Angers.

Da er in London keine ihm zusagenden Aufträge erhalten konnte, begab
er sich nach Paris, wo er gerade zeitig genug eintraf, um die künstlerische
Erbschaft seines kurz zuvor gestorbenen Lehrers Roland anzutreten. Dieser
war mit der Ausführung einer Statue des "großen Conde" für die vom
Konkordienplatz über die Seine führende Brücke betraut worden, hatte aber nur
eine Skizze hinterlassen, welche den Feldherrn in ruhiger Positur zeigte. David
sollte die Arbeit zu Ende bringen. Er verwarf aber die Skizze seines Lehrers
und wagte einen kühnen Schritt, indem er den Helden in lebhafter, ja stürmischer
Bewegung darstellte, in dem Augenblicke, wie er den Feldherrnstab in das be¬
lagerte Freiburg hineinwerfen will und sich uoch einmal umwendet, um seine
Soldaten zum Sturme zu rufen. Das Werk, welches als Modell im Salon von
1817 erschien, machte ein ungewöhnliches Aufsehen. Was die Barke des Dante
von Delacroix für die Malerei gewesen, war diese Statue Condes für die Plastik:
das Manifest einer neuen Schule, welche sich in entschiednen Gegensatz zu der
Tradition stellte und die Nachahmung durch die Freiheit ersetzte. Wenn diese
Neuerung nicht eine so gewaltige Aufregung hervorrief, wie wenige Jahre später
das Auftreten der Romantiker, so liegt das daran, daß die Bildhauerkunst nicht
wie die Malerei Jahrzehnte lang unter dem Joche eines tyrannischen Geistes ge¬
schmachtet hatte. Die Opposition, welche sich gegen David hätte erheben können,
zählte in ihren Reihen nur Männer, deren Kraft entweder erschöpft war oder
die niemals eine große Kraft besessen hatten. Neben der Kühnheit der Be¬
wegung, welche die Schöpfung Davids vor allen zahmen Nachahmungen der
Antike auszeichnete, überrascht besonders die glückliche Behandlung des modernen
Kostüms. Bis dahin hatte es niemand gewagt, Personen aus der neueren
Geschichte anders als im römischen Panzer oder in der Toga darzustellen. Jetzt
hatte David den Beweis geliefert, daß auch die moderne Tracht der plastischen
Behandlung nicht widerstrebt. Uns erscheint freilich die Statue, welche sich
gegenwärtig im Schloßhofe zu Versailles befindet, noch nicht zu völliger reali¬
stischer Freiheit entwickelt. Man merkt doch gerade in der Behandlung der
Tracht und der Haare die Zaghaftigkeit des ersten Versuchs, und es bedürfte
noch geraumer Zeit, bis David die Ausdrucksmittel des Realismus vollkommen
beherrschen lernte. Die ersten, von jeglicher Befangenheit freien Schöpfungen
dieser Art, die Statuen Jeffersons für Philadelphia und Corneilles für Rouen,
fallen in die Jahre 1833 und 1834. In der Zwischenzeit kehrte David sogar
wieder zu der antiken Auffassung von Porträtstatuen zurück. Außer dem
General Bonchamps ist auch die Statue für das Grabmal des Generals Fos,
des Sprechers der liberalen Partei in der Deputirtenkammer, auf dem Pere
Lachaise ganz antik gedacht, wie sich auch der Aufbau des Denkmals an antike
Formen anschließt. Der General ist ebenfalls halb nackt, nur unterwärts be¬
kleidet wie ein Rhetor des Altertums. Über ihm erhebt sich ein von Säulen
getragenes Dach, und den Sockel schmücken drei Reliefs, welche seine Thätigkeit


David d'Angers.

Da er in London keine ihm zusagenden Aufträge erhalten konnte, begab
er sich nach Paris, wo er gerade zeitig genug eintraf, um die künstlerische
Erbschaft seines kurz zuvor gestorbenen Lehrers Roland anzutreten. Dieser
war mit der Ausführung einer Statue des „großen Conde" für die vom
Konkordienplatz über die Seine führende Brücke betraut worden, hatte aber nur
eine Skizze hinterlassen, welche den Feldherrn in ruhiger Positur zeigte. David
sollte die Arbeit zu Ende bringen. Er verwarf aber die Skizze seines Lehrers
und wagte einen kühnen Schritt, indem er den Helden in lebhafter, ja stürmischer
Bewegung darstellte, in dem Augenblicke, wie er den Feldherrnstab in das be¬
lagerte Freiburg hineinwerfen will und sich uoch einmal umwendet, um seine
Soldaten zum Sturme zu rufen. Das Werk, welches als Modell im Salon von
1817 erschien, machte ein ungewöhnliches Aufsehen. Was die Barke des Dante
von Delacroix für die Malerei gewesen, war diese Statue Condes für die Plastik:
das Manifest einer neuen Schule, welche sich in entschiednen Gegensatz zu der
Tradition stellte und die Nachahmung durch die Freiheit ersetzte. Wenn diese
Neuerung nicht eine so gewaltige Aufregung hervorrief, wie wenige Jahre später
das Auftreten der Romantiker, so liegt das daran, daß die Bildhauerkunst nicht
wie die Malerei Jahrzehnte lang unter dem Joche eines tyrannischen Geistes ge¬
schmachtet hatte. Die Opposition, welche sich gegen David hätte erheben können,
zählte in ihren Reihen nur Männer, deren Kraft entweder erschöpft war oder
die niemals eine große Kraft besessen hatten. Neben der Kühnheit der Be¬
wegung, welche die Schöpfung Davids vor allen zahmen Nachahmungen der
Antike auszeichnete, überrascht besonders die glückliche Behandlung des modernen
Kostüms. Bis dahin hatte es niemand gewagt, Personen aus der neueren
Geschichte anders als im römischen Panzer oder in der Toga darzustellen. Jetzt
hatte David den Beweis geliefert, daß auch die moderne Tracht der plastischen
Behandlung nicht widerstrebt. Uns erscheint freilich die Statue, welche sich
gegenwärtig im Schloßhofe zu Versailles befindet, noch nicht zu völliger reali¬
stischer Freiheit entwickelt. Man merkt doch gerade in der Behandlung der
Tracht und der Haare die Zaghaftigkeit des ersten Versuchs, und es bedürfte
noch geraumer Zeit, bis David die Ausdrucksmittel des Realismus vollkommen
beherrschen lernte. Die ersten, von jeglicher Befangenheit freien Schöpfungen
dieser Art, die Statuen Jeffersons für Philadelphia und Corneilles für Rouen,
fallen in die Jahre 1833 und 1834. In der Zwischenzeit kehrte David sogar
wieder zu der antiken Auffassung von Porträtstatuen zurück. Außer dem
General Bonchamps ist auch die Statue für das Grabmal des Generals Fos,
des Sprechers der liberalen Partei in der Deputirtenkammer, auf dem Pere
Lachaise ganz antik gedacht, wie sich auch der Aufbau des Denkmals an antike
Formen anschließt. Der General ist ebenfalls halb nackt, nur unterwärts be¬
kleidet wie ein Rhetor des Altertums. Über ihm erhebt sich ein von Säulen
getragenes Dach, und den Sockel schmücken drei Reliefs, welche seine Thätigkeit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0388" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156659"/>
          <fw type="header" place="top"> David d'Angers.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1616" next="#ID_1617"> Da er in London keine ihm zusagenden Aufträge erhalten konnte, begab<lb/>
er sich nach Paris, wo er gerade zeitig genug eintraf, um die künstlerische<lb/>
Erbschaft seines kurz zuvor gestorbenen Lehrers Roland anzutreten. Dieser<lb/>
war mit der Ausführung einer Statue des &#x201E;großen Conde" für die vom<lb/>
Konkordienplatz über die Seine führende Brücke betraut worden, hatte aber nur<lb/>
eine Skizze hinterlassen, welche den Feldherrn in ruhiger Positur zeigte. David<lb/>
sollte die Arbeit zu Ende bringen. Er verwarf aber die Skizze seines Lehrers<lb/>
und wagte einen kühnen Schritt, indem er den Helden in lebhafter, ja stürmischer<lb/>
Bewegung darstellte, in dem Augenblicke, wie er den Feldherrnstab in das be¬<lb/>
lagerte Freiburg hineinwerfen will und sich uoch einmal umwendet, um seine<lb/>
Soldaten zum Sturme zu rufen. Das Werk, welches als Modell im Salon von<lb/>
1817 erschien, machte ein ungewöhnliches Aufsehen. Was die Barke des Dante<lb/>
von Delacroix für die Malerei gewesen, war diese Statue Condes für die Plastik:<lb/>
das Manifest einer neuen Schule, welche sich in entschiednen Gegensatz zu der<lb/>
Tradition stellte und die Nachahmung durch die Freiheit ersetzte. Wenn diese<lb/>
Neuerung nicht eine so gewaltige Aufregung hervorrief, wie wenige Jahre später<lb/>
das Auftreten der Romantiker, so liegt das daran, daß die Bildhauerkunst nicht<lb/>
wie die Malerei Jahrzehnte lang unter dem Joche eines tyrannischen Geistes ge¬<lb/>
schmachtet hatte. Die Opposition, welche sich gegen David hätte erheben können,<lb/>
zählte in ihren Reihen nur Männer, deren Kraft entweder erschöpft war oder<lb/>
die niemals eine große Kraft besessen hatten. Neben der Kühnheit der Be¬<lb/>
wegung, welche die Schöpfung Davids vor allen zahmen Nachahmungen der<lb/>
Antike auszeichnete, überrascht besonders die glückliche Behandlung des modernen<lb/>
Kostüms. Bis dahin hatte es niemand gewagt, Personen aus der neueren<lb/>
Geschichte anders als im römischen Panzer oder in der Toga darzustellen. Jetzt<lb/>
hatte David den Beweis geliefert, daß auch die moderne Tracht der plastischen<lb/>
Behandlung nicht widerstrebt. Uns erscheint freilich die Statue, welche sich<lb/>
gegenwärtig im Schloßhofe zu Versailles befindet, noch nicht zu völliger reali¬<lb/>
stischer Freiheit entwickelt. Man merkt doch gerade in der Behandlung der<lb/>
Tracht und der Haare die Zaghaftigkeit des ersten Versuchs, und es bedürfte<lb/>
noch geraumer Zeit, bis David die Ausdrucksmittel des Realismus vollkommen<lb/>
beherrschen lernte. Die ersten, von jeglicher Befangenheit freien Schöpfungen<lb/>
dieser Art, die Statuen Jeffersons für Philadelphia und Corneilles für Rouen,<lb/>
fallen in die Jahre 1833 und 1834. In der Zwischenzeit kehrte David sogar<lb/>
wieder zu der antiken Auffassung von Porträtstatuen zurück. Außer dem<lb/>
General Bonchamps ist auch die Statue für das Grabmal des Generals Fos,<lb/>
des Sprechers der liberalen Partei in der Deputirtenkammer, auf dem Pere<lb/>
Lachaise ganz antik gedacht, wie sich auch der Aufbau des Denkmals an antike<lb/>
Formen anschließt. Der General ist ebenfalls halb nackt, nur unterwärts be¬<lb/>
kleidet wie ein Rhetor des Altertums. Über ihm erhebt sich ein von Säulen<lb/>
getragenes Dach, und den Sockel schmücken drei Reliefs, welche seine Thätigkeit</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0388] David d'Angers. Da er in London keine ihm zusagenden Aufträge erhalten konnte, begab er sich nach Paris, wo er gerade zeitig genug eintraf, um die künstlerische Erbschaft seines kurz zuvor gestorbenen Lehrers Roland anzutreten. Dieser war mit der Ausführung einer Statue des „großen Conde" für die vom Konkordienplatz über die Seine führende Brücke betraut worden, hatte aber nur eine Skizze hinterlassen, welche den Feldherrn in ruhiger Positur zeigte. David sollte die Arbeit zu Ende bringen. Er verwarf aber die Skizze seines Lehrers und wagte einen kühnen Schritt, indem er den Helden in lebhafter, ja stürmischer Bewegung darstellte, in dem Augenblicke, wie er den Feldherrnstab in das be¬ lagerte Freiburg hineinwerfen will und sich uoch einmal umwendet, um seine Soldaten zum Sturme zu rufen. Das Werk, welches als Modell im Salon von 1817 erschien, machte ein ungewöhnliches Aufsehen. Was die Barke des Dante von Delacroix für die Malerei gewesen, war diese Statue Condes für die Plastik: das Manifest einer neuen Schule, welche sich in entschiednen Gegensatz zu der Tradition stellte und die Nachahmung durch die Freiheit ersetzte. Wenn diese Neuerung nicht eine so gewaltige Aufregung hervorrief, wie wenige Jahre später das Auftreten der Romantiker, so liegt das daran, daß die Bildhauerkunst nicht wie die Malerei Jahrzehnte lang unter dem Joche eines tyrannischen Geistes ge¬ schmachtet hatte. Die Opposition, welche sich gegen David hätte erheben können, zählte in ihren Reihen nur Männer, deren Kraft entweder erschöpft war oder die niemals eine große Kraft besessen hatten. Neben der Kühnheit der Be¬ wegung, welche die Schöpfung Davids vor allen zahmen Nachahmungen der Antike auszeichnete, überrascht besonders die glückliche Behandlung des modernen Kostüms. Bis dahin hatte es niemand gewagt, Personen aus der neueren Geschichte anders als im römischen Panzer oder in der Toga darzustellen. Jetzt hatte David den Beweis geliefert, daß auch die moderne Tracht der plastischen Behandlung nicht widerstrebt. Uns erscheint freilich die Statue, welche sich gegenwärtig im Schloßhofe zu Versailles befindet, noch nicht zu völliger reali¬ stischer Freiheit entwickelt. Man merkt doch gerade in der Behandlung der Tracht und der Haare die Zaghaftigkeit des ersten Versuchs, und es bedürfte noch geraumer Zeit, bis David die Ausdrucksmittel des Realismus vollkommen beherrschen lernte. Die ersten, von jeglicher Befangenheit freien Schöpfungen dieser Art, die Statuen Jeffersons für Philadelphia und Corneilles für Rouen, fallen in die Jahre 1833 und 1834. In der Zwischenzeit kehrte David sogar wieder zu der antiken Auffassung von Porträtstatuen zurück. Außer dem General Bonchamps ist auch die Statue für das Grabmal des Generals Fos, des Sprechers der liberalen Partei in der Deputirtenkammer, auf dem Pere Lachaise ganz antik gedacht, wie sich auch der Aufbau des Denkmals an antike Formen anschließt. Der General ist ebenfalls halb nackt, nur unterwärts be¬ kleidet wie ein Rhetor des Altertums. Über ihm erhebt sich ein von Säulen getragenes Dach, und den Sockel schmücken drei Reliefs, welche seine Thätigkeit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/388
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/388>, abgerufen am 21.06.2024.