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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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David d'Angers.

Als David 1816 mich seiner Vaterstadt heimkehrte, fand er dieselbe noch
von den Preußen besetzt. Dieser Umstand veranlaßte ihn, nach London zu gehen,
wohin ihn besonders die von Lord Elgin aus Athen überführten Partheuon-
skulpturen zogen. Diese Arbeiten aus der Blütezeit der griechischen Kunst übten
einen ganz andern Eindruck auf ihn als alles, was er bis dahin von griechischen
Skulpturen in Rom gesehen. Solange seine Mittel reichten, studirte er unab¬
lässig an diesen Werken des Phidias und seiner Schule. Am deutlichsten
hat sich die Frucht dieser Studien in dem Grabrelief für den Grafen
von Büret auf dem Pere Lachaise (1823) und in dem Denkmal für den
General Bonchamps in der Kirche von Se. Florent le Vieil (1824) bewährt.
Für das Relief, welches die Gattin des Verstorbenen vor der Herme desselben
auf einem Sessel sitzend und mit einem Cypressenzweige in der Hand darstellt,
hatten die sitzenden Figuren der Göttinnen auf dem Parthenvnfriese und andre
weibliche Gestalten auf attischen Grabstelen das klassische Vorbild geliefert.
Das fein gefciltetc Untergewand und der in breiteren, schwereren Falten darüber
geworfene Mantel und Schleier find durchaus in antikem Geiste behandelt. Das
Übermaß der Draperien ist durch die Absicht des Künstlers zu entschuldigen,
die steifen und nüchternen Formen des Sessels dem Auge des Beschauers möglichst
zu entziehen. General Bonchcuups hatte im Jahre 1793 den Kampf in der
Vendee zu Gunsten des Königtums geleitet und die Republikaner in der Schlacht
bei Torfou aufs Haupt geschlagen. Die in dieser Schlacht gefangenen, unter
denen sich auch Davids Vater befand, wurden in der Kirche von Se. Florent
eingeschlossen und harrten dort bange ihres Schicksals. Bonchamps selbst war
tötlich verwundet worden. Kurz vor seinem Ende gedachte er noch der Ge¬
fangenen und bat um Gnade für sie. Diesen Zug hohen Edelmutes wählte
David zum Motiv für sein Werk, als er von dem Könige den Auftrag erhielt,
zur Erinnerung an die bewährte Königstreue der Vendeer ein Denkmal zu
schaffen. Wie ein antiker Held liegt der verwundete Bonchamvs lang ausgestreckt
auf einem Postament. Mit der linken Hand stützt er den entblößten Oberkörper,
und die Rechte erhebt er, um durch diese Geberde den Ruf zu bekräftigen, der
von seinen sterbenden Lippen kommt: (Z-rAos s,ux xrisonQisrs! Gnade für die
Gefangenen! Der rechte Arm und die untere Hälfte des Körpers nebst den
Beinen sind vom Mantel bedeckt. Das Bewegungsmotiv sowie die heroischen
Formen des nackten Oberkörpers sind eine freie Nachbildung des Kephisfostorso
aus dem Westgiebel des Parthenon, welcher zu den MZin ing-rdlss in London
gehört. Diese gewaltigen Leiber und Glieder, die von einer erhabenen Größe
der Auffassung getragen werden und zugleich von dem feinsten Naturgefühl
erfüllt sind, erschienen David doch bei weitem nachahmenswerter, als die zier¬
lichen glatten Puppen Canovas, bei welchen die Individualität zu gunsten eines
ausdruckslosen Formalismus geopfert war.


David d'Angers.

Als David 1816 mich seiner Vaterstadt heimkehrte, fand er dieselbe noch
von den Preußen besetzt. Dieser Umstand veranlaßte ihn, nach London zu gehen,
wohin ihn besonders die von Lord Elgin aus Athen überführten Partheuon-
skulpturen zogen. Diese Arbeiten aus der Blütezeit der griechischen Kunst übten
einen ganz andern Eindruck auf ihn als alles, was er bis dahin von griechischen
Skulpturen in Rom gesehen. Solange seine Mittel reichten, studirte er unab¬
lässig an diesen Werken des Phidias und seiner Schule. Am deutlichsten
hat sich die Frucht dieser Studien in dem Grabrelief für den Grafen
von Büret auf dem Pere Lachaise (1823) und in dem Denkmal für den
General Bonchamps in der Kirche von Se. Florent le Vieil (1824) bewährt.
Für das Relief, welches die Gattin des Verstorbenen vor der Herme desselben
auf einem Sessel sitzend und mit einem Cypressenzweige in der Hand darstellt,
hatten die sitzenden Figuren der Göttinnen auf dem Parthenvnfriese und andre
weibliche Gestalten auf attischen Grabstelen das klassische Vorbild geliefert.
Das fein gefciltetc Untergewand und der in breiteren, schwereren Falten darüber
geworfene Mantel und Schleier find durchaus in antikem Geiste behandelt. Das
Übermaß der Draperien ist durch die Absicht des Künstlers zu entschuldigen,
die steifen und nüchternen Formen des Sessels dem Auge des Beschauers möglichst
zu entziehen. General Bonchcuups hatte im Jahre 1793 den Kampf in der
Vendee zu Gunsten des Königtums geleitet und die Republikaner in der Schlacht
bei Torfou aufs Haupt geschlagen. Die in dieser Schlacht gefangenen, unter
denen sich auch Davids Vater befand, wurden in der Kirche von Se. Florent
eingeschlossen und harrten dort bange ihres Schicksals. Bonchamps selbst war
tötlich verwundet worden. Kurz vor seinem Ende gedachte er noch der Ge¬
fangenen und bat um Gnade für sie. Diesen Zug hohen Edelmutes wählte
David zum Motiv für sein Werk, als er von dem Könige den Auftrag erhielt,
zur Erinnerung an die bewährte Königstreue der Vendeer ein Denkmal zu
schaffen. Wie ein antiker Held liegt der verwundete Bonchamvs lang ausgestreckt
auf einem Postament. Mit der linken Hand stützt er den entblößten Oberkörper,
und die Rechte erhebt er, um durch diese Geberde den Ruf zu bekräftigen, der
von seinen sterbenden Lippen kommt: (Z-rAos s,ux xrisonQisrs! Gnade für die
Gefangenen! Der rechte Arm und die untere Hälfte des Körpers nebst den
Beinen sind vom Mantel bedeckt. Das Bewegungsmotiv sowie die heroischen
Formen des nackten Oberkörpers sind eine freie Nachbildung des Kephisfostorso
aus dem Westgiebel des Parthenon, welcher zu den MZin ing-rdlss in London
gehört. Diese gewaltigen Leiber und Glieder, die von einer erhabenen Größe
der Auffassung getragen werden und zugleich von dem feinsten Naturgefühl
erfüllt sind, erschienen David doch bei weitem nachahmenswerter, als die zier¬
lichen glatten Puppen Canovas, bei welchen die Individualität zu gunsten eines
ausdruckslosen Formalismus geopfert war.


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[0387] David d'Angers. Als David 1816 mich seiner Vaterstadt heimkehrte, fand er dieselbe noch von den Preußen besetzt. Dieser Umstand veranlaßte ihn, nach London zu gehen, wohin ihn besonders die von Lord Elgin aus Athen überführten Partheuon- skulpturen zogen. Diese Arbeiten aus der Blütezeit der griechischen Kunst übten einen ganz andern Eindruck auf ihn als alles, was er bis dahin von griechischen Skulpturen in Rom gesehen. Solange seine Mittel reichten, studirte er unab¬ lässig an diesen Werken des Phidias und seiner Schule. Am deutlichsten hat sich die Frucht dieser Studien in dem Grabrelief für den Grafen von Büret auf dem Pere Lachaise (1823) und in dem Denkmal für den General Bonchamps in der Kirche von Se. Florent le Vieil (1824) bewährt. Für das Relief, welches die Gattin des Verstorbenen vor der Herme desselben auf einem Sessel sitzend und mit einem Cypressenzweige in der Hand darstellt, hatten die sitzenden Figuren der Göttinnen auf dem Parthenvnfriese und andre weibliche Gestalten auf attischen Grabstelen das klassische Vorbild geliefert. Das fein gefciltetc Untergewand und der in breiteren, schwereren Falten darüber geworfene Mantel und Schleier find durchaus in antikem Geiste behandelt. Das Übermaß der Draperien ist durch die Absicht des Künstlers zu entschuldigen, die steifen und nüchternen Formen des Sessels dem Auge des Beschauers möglichst zu entziehen. General Bonchcuups hatte im Jahre 1793 den Kampf in der Vendee zu Gunsten des Königtums geleitet und die Republikaner in der Schlacht bei Torfou aufs Haupt geschlagen. Die in dieser Schlacht gefangenen, unter denen sich auch Davids Vater befand, wurden in der Kirche von Se. Florent eingeschlossen und harrten dort bange ihres Schicksals. Bonchamps selbst war tötlich verwundet worden. Kurz vor seinem Ende gedachte er noch der Ge¬ fangenen und bat um Gnade für sie. Diesen Zug hohen Edelmutes wählte David zum Motiv für sein Werk, als er von dem Könige den Auftrag erhielt, zur Erinnerung an die bewährte Königstreue der Vendeer ein Denkmal zu schaffen. Wie ein antiker Held liegt der verwundete Bonchamvs lang ausgestreckt auf einem Postament. Mit der linken Hand stützt er den entblößten Oberkörper, und die Rechte erhebt er, um durch diese Geberde den Ruf zu bekräftigen, der von seinen sterbenden Lippen kommt: (Z-rAos s,ux xrisonQisrs! Gnade für die Gefangenen! Der rechte Arm und die untere Hälfte des Körpers nebst den Beinen sind vom Mantel bedeckt. Das Bewegungsmotiv sowie die heroischen Formen des nackten Oberkörpers sind eine freie Nachbildung des Kephisfostorso aus dem Westgiebel des Parthenon, welcher zu den MZin ing-rdlss in London gehört. Diese gewaltigen Leiber und Glieder, die von einer erhabenen Größe der Auffassung getragen werden und zugleich von dem feinsten Naturgefühl erfüllt sind, erschienen David doch bei weitem nachahmenswerter, als die zier¬ lichen glatten Puppen Canovas, bei welchen die Individualität zu gunsten eines ausdruckslosen Formalismus geopfert war.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/387>, abgerufen am 21.06.2024.