Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
David d'Angers.

wichtige Fingerzeige nützlich. Trotz Davids Fürsprache war seine erste Be¬
werbung um den römischen Preis erfolglos. Erst im Jahre 1811 gelang es
ihm, das Ziel zu erreichen. Die Konkurrenzarbeit, ein Relief, welches den Tod
des Epaminondas, umgeben von seinen Freunden, darstellte, trug ganz den
Charakter eines in die Plastik übertragenen Gemäldes von Jacques Louis David.
Nur in einer Gruppe zur Linken sprach sich bereits durch die lebhafte Schilderung
der Äußerungen des Schmerzes die Tendenz aus, auf welche David d'Angers
schon damals lossteuerte und die für seine Kunstrichtung entscheidend werden
sollte. In Paris hatte der junge Künstler mit größerem Eifer die Werke
römischer Skulptur studirt als die Schöpfungen des griechischen Meißels. Der
kräftige Realismus der Römer, ihr Streben nach individuellen" Ausdruck waren
ihm sympathischer als die weichliche Idealität der Griechen. Eines Nachts
überraschte ihn sein Lehrer Roland, wie er nach dem Gypsabguß eines Reliefs
der Trajanssäule zwei besonders ausdrucksvolle Köpfe in Thon modellirte.
Ein andres mal suchte er die Äußerungen des Schmerzes in dem Kopfe eines
Jünglings zu versinnlichen, und so gut gelang ihm seine Absicht, daß er für
diesen Kopf einen Preis erhielt. Er ging mit vollem Bewußtsein auf solche
und andre Darstellungen seelischer und physischer Regungen aus, wie folgende
Stelle aus einem Briefe vom Jahre 1809 beweist: "Ich studire ununterbrochen
das Äußere des Menschen; aber trotz aller Wunder, welche sich meinen Augen
dabei offenbaren, werde ich gewahr, daß das Innere des Menschen noch viel
bewundnmgswürdiger ist; denn all dieses Wunderbare erhebt sich aus dem
Innern. Die Leiden des menschlichen Körpers sind ein herrliches Studium
und eines der wichtigsten für den Künstler." Der Aufenthalt in Italien war
demnach für David d'Angers mehr in negativem Sinne ersprießlich insofern,
als er durch die moderne italienische Skulptur, insbesondre durch Canova, vor
welchem ihn auch der Maler David gewarnt hatte, in seinen Neigungen für
den Realismus bestärkt wurde. Gleichwohl schwankte er, was bei der Fülle
der auf ihn einstürmenden Eindrücke erklärlich ist, in den in Italien ausge¬
führten Arbeiten zwischen der Antike und der unabhängigen Naturnachahmung
hin und her. Überdies hinderten die politischen Verhältnisse seine ruhige Ent¬
wicklung. Sein Vater hatte in der Vendse unter den Fahnen der Republi¬
kaner gekämpft, und der Sohn war, trotz seiner schwächlichen Körperbeschaffenheit,
im Troß der Armee mitgeführt worden. Diese ersten Eindrücke der Jugend
hatten so tiefe Wurzeln in ihm gefaßt, daß er sein Leben lang auf der Seite
der Freiheitskämpfer stand. Als Murat im Frühjahr 181S den Kirchen¬
staat besetzte und die Unabhängigkeit Italiens proklamirte, schloß sich David
d'Angers einer Abteilung von Freischärlern an. Bei diesem Abenteuer hätte
er beinahe sein Leben verloren, und nach seiner Rückkehr nach Rom drohte ihm
wegen seiner Beteiligung an den revolutionären Umtrieben noch die Ausweisung
von der Akademie, welche jedoch der Direktor derselben glücklich abwendete.


David d'Angers.

wichtige Fingerzeige nützlich. Trotz Davids Fürsprache war seine erste Be¬
werbung um den römischen Preis erfolglos. Erst im Jahre 1811 gelang es
ihm, das Ziel zu erreichen. Die Konkurrenzarbeit, ein Relief, welches den Tod
des Epaminondas, umgeben von seinen Freunden, darstellte, trug ganz den
Charakter eines in die Plastik übertragenen Gemäldes von Jacques Louis David.
Nur in einer Gruppe zur Linken sprach sich bereits durch die lebhafte Schilderung
der Äußerungen des Schmerzes die Tendenz aus, auf welche David d'Angers
schon damals lossteuerte und die für seine Kunstrichtung entscheidend werden
sollte. In Paris hatte der junge Künstler mit größerem Eifer die Werke
römischer Skulptur studirt als die Schöpfungen des griechischen Meißels. Der
kräftige Realismus der Römer, ihr Streben nach individuellen» Ausdruck waren
ihm sympathischer als die weichliche Idealität der Griechen. Eines Nachts
überraschte ihn sein Lehrer Roland, wie er nach dem Gypsabguß eines Reliefs
der Trajanssäule zwei besonders ausdrucksvolle Köpfe in Thon modellirte.
Ein andres mal suchte er die Äußerungen des Schmerzes in dem Kopfe eines
Jünglings zu versinnlichen, und so gut gelang ihm seine Absicht, daß er für
diesen Kopf einen Preis erhielt. Er ging mit vollem Bewußtsein auf solche
und andre Darstellungen seelischer und physischer Regungen aus, wie folgende
Stelle aus einem Briefe vom Jahre 1809 beweist: „Ich studire ununterbrochen
das Äußere des Menschen; aber trotz aller Wunder, welche sich meinen Augen
dabei offenbaren, werde ich gewahr, daß das Innere des Menschen noch viel
bewundnmgswürdiger ist; denn all dieses Wunderbare erhebt sich aus dem
Innern. Die Leiden des menschlichen Körpers sind ein herrliches Studium
und eines der wichtigsten für den Künstler." Der Aufenthalt in Italien war
demnach für David d'Angers mehr in negativem Sinne ersprießlich insofern,
als er durch die moderne italienische Skulptur, insbesondre durch Canova, vor
welchem ihn auch der Maler David gewarnt hatte, in seinen Neigungen für
den Realismus bestärkt wurde. Gleichwohl schwankte er, was bei der Fülle
der auf ihn einstürmenden Eindrücke erklärlich ist, in den in Italien ausge¬
führten Arbeiten zwischen der Antike und der unabhängigen Naturnachahmung
hin und her. Überdies hinderten die politischen Verhältnisse seine ruhige Ent¬
wicklung. Sein Vater hatte in der Vendse unter den Fahnen der Republi¬
kaner gekämpft, und der Sohn war, trotz seiner schwächlichen Körperbeschaffenheit,
im Troß der Armee mitgeführt worden. Diese ersten Eindrücke der Jugend
hatten so tiefe Wurzeln in ihm gefaßt, daß er sein Leben lang auf der Seite
der Freiheitskämpfer stand. Als Murat im Frühjahr 181S den Kirchen¬
staat besetzte und die Unabhängigkeit Italiens proklamirte, schloß sich David
d'Angers einer Abteilung von Freischärlern an. Bei diesem Abenteuer hätte
er beinahe sein Leben verloren, und nach seiner Rückkehr nach Rom drohte ihm
wegen seiner Beteiligung an den revolutionären Umtrieben noch die Ausweisung
von der Akademie, welche jedoch der Direktor derselben glücklich abwendete.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0386" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156657"/>
          <fw type="header" place="top"> David d'Angers.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1614" prev="#ID_1613"> wichtige Fingerzeige nützlich. Trotz Davids Fürsprache war seine erste Be¬<lb/>
werbung um den römischen Preis erfolglos. Erst im Jahre 1811 gelang es<lb/>
ihm, das Ziel zu erreichen. Die Konkurrenzarbeit, ein Relief, welches den Tod<lb/>
des Epaminondas, umgeben von seinen Freunden, darstellte, trug ganz den<lb/>
Charakter eines in die Plastik übertragenen Gemäldes von Jacques Louis David.<lb/>
Nur in einer Gruppe zur Linken sprach sich bereits durch die lebhafte Schilderung<lb/>
der Äußerungen des Schmerzes die Tendenz aus, auf welche David d'Angers<lb/>
schon damals lossteuerte und die für seine Kunstrichtung entscheidend werden<lb/>
sollte. In Paris hatte der junge Künstler mit größerem Eifer die Werke<lb/>
römischer Skulptur studirt als die Schöpfungen des griechischen Meißels. Der<lb/>
kräftige Realismus der Römer, ihr Streben nach individuellen» Ausdruck waren<lb/>
ihm sympathischer als die weichliche Idealität der Griechen. Eines Nachts<lb/>
überraschte ihn sein Lehrer Roland, wie er nach dem Gypsabguß eines Reliefs<lb/>
der Trajanssäule zwei besonders ausdrucksvolle Köpfe in Thon modellirte.<lb/>
Ein andres mal suchte er die Äußerungen des Schmerzes in dem Kopfe eines<lb/>
Jünglings zu versinnlichen, und so gut gelang ihm seine Absicht, daß er für<lb/>
diesen Kopf einen Preis erhielt. Er ging mit vollem Bewußtsein auf solche<lb/>
und andre Darstellungen seelischer und physischer Regungen aus, wie folgende<lb/>
Stelle aus einem Briefe vom Jahre 1809 beweist: &#x201E;Ich studire ununterbrochen<lb/>
das Äußere des Menschen; aber trotz aller Wunder, welche sich meinen Augen<lb/>
dabei offenbaren, werde ich gewahr, daß das Innere des Menschen noch viel<lb/>
bewundnmgswürdiger ist; denn all dieses Wunderbare erhebt sich aus dem<lb/>
Innern. Die Leiden des menschlichen Körpers sind ein herrliches Studium<lb/>
und eines der wichtigsten für den Künstler." Der Aufenthalt in Italien war<lb/>
demnach für David d'Angers mehr in negativem Sinne ersprießlich insofern,<lb/>
als er durch die moderne italienische Skulptur, insbesondre durch Canova, vor<lb/>
welchem ihn auch der Maler David gewarnt hatte, in seinen Neigungen für<lb/>
den Realismus bestärkt wurde. Gleichwohl schwankte er, was bei der Fülle<lb/>
der auf ihn einstürmenden Eindrücke erklärlich ist, in den in Italien ausge¬<lb/>
führten Arbeiten zwischen der Antike und der unabhängigen Naturnachahmung<lb/>
hin und her. Überdies hinderten die politischen Verhältnisse seine ruhige Ent¬<lb/>
wicklung. Sein Vater hatte in der Vendse unter den Fahnen der Republi¬<lb/>
kaner gekämpft, und der Sohn war, trotz seiner schwächlichen Körperbeschaffenheit,<lb/>
im Troß der Armee mitgeführt worden. Diese ersten Eindrücke der Jugend<lb/>
hatten so tiefe Wurzeln in ihm gefaßt, daß er sein Leben lang auf der Seite<lb/>
der Freiheitskämpfer stand. Als Murat im Frühjahr 181S den Kirchen¬<lb/>
staat besetzte und die Unabhängigkeit Italiens proklamirte, schloß sich David<lb/>
d'Angers einer Abteilung von Freischärlern an. Bei diesem Abenteuer hätte<lb/>
er beinahe sein Leben verloren, und nach seiner Rückkehr nach Rom drohte ihm<lb/>
wegen seiner Beteiligung an den revolutionären Umtrieben noch die Ausweisung<lb/>
von der Akademie, welche jedoch der Direktor derselben glücklich abwendete.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0386] David d'Angers. wichtige Fingerzeige nützlich. Trotz Davids Fürsprache war seine erste Be¬ werbung um den römischen Preis erfolglos. Erst im Jahre 1811 gelang es ihm, das Ziel zu erreichen. Die Konkurrenzarbeit, ein Relief, welches den Tod des Epaminondas, umgeben von seinen Freunden, darstellte, trug ganz den Charakter eines in die Plastik übertragenen Gemäldes von Jacques Louis David. Nur in einer Gruppe zur Linken sprach sich bereits durch die lebhafte Schilderung der Äußerungen des Schmerzes die Tendenz aus, auf welche David d'Angers schon damals lossteuerte und die für seine Kunstrichtung entscheidend werden sollte. In Paris hatte der junge Künstler mit größerem Eifer die Werke römischer Skulptur studirt als die Schöpfungen des griechischen Meißels. Der kräftige Realismus der Römer, ihr Streben nach individuellen» Ausdruck waren ihm sympathischer als die weichliche Idealität der Griechen. Eines Nachts überraschte ihn sein Lehrer Roland, wie er nach dem Gypsabguß eines Reliefs der Trajanssäule zwei besonders ausdrucksvolle Köpfe in Thon modellirte. Ein andres mal suchte er die Äußerungen des Schmerzes in dem Kopfe eines Jünglings zu versinnlichen, und so gut gelang ihm seine Absicht, daß er für diesen Kopf einen Preis erhielt. Er ging mit vollem Bewußtsein auf solche und andre Darstellungen seelischer und physischer Regungen aus, wie folgende Stelle aus einem Briefe vom Jahre 1809 beweist: „Ich studire ununterbrochen das Äußere des Menschen; aber trotz aller Wunder, welche sich meinen Augen dabei offenbaren, werde ich gewahr, daß das Innere des Menschen noch viel bewundnmgswürdiger ist; denn all dieses Wunderbare erhebt sich aus dem Innern. Die Leiden des menschlichen Körpers sind ein herrliches Studium und eines der wichtigsten für den Künstler." Der Aufenthalt in Italien war demnach für David d'Angers mehr in negativem Sinne ersprießlich insofern, als er durch die moderne italienische Skulptur, insbesondre durch Canova, vor welchem ihn auch der Maler David gewarnt hatte, in seinen Neigungen für den Realismus bestärkt wurde. Gleichwohl schwankte er, was bei der Fülle der auf ihn einstürmenden Eindrücke erklärlich ist, in den in Italien ausge¬ führten Arbeiten zwischen der Antike und der unabhängigen Naturnachahmung hin und her. Überdies hinderten die politischen Verhältnisse seine ruhige Ent¬ wicklung. Sein Vater hatte in der Vendse unter den Fahnen der Republi¬ kaner gekämpft, und der Sohn war, trotz seiner schwächlichen Körperbeschaffenheit, im Troß der Armee mitgeführt worden. Diese ersten Eindrücke der Jugend hatten so tiefe Wurzeln in ihm gefaßt, daß er sein Leben lang auf der Seite der Freiheitskämpfer stand. Als Murat im Frühjahr 181S den Kirchen¬ staat besetzte und die Unabhängigkeit Italiens proklamirte, schloß sich David d'Angers einer Abteilung von Freischärlern an. Bei diesem Abenteuer hätte er beinahe sein Leben verloren, und nach seiner Rückkehr nach Rom drohte ihm wegen seiner Beteiligung an den revolutionären Umtrieben noch die Ausweisung von der Akademie, welche jedoch der Direktor derselben glücklich abwendete.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/386
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/386>, abgerufen am 21.06.2024.