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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.

Es ist hier nicht der Ort, schließlich zu untersuche", wieviel Schuld der
"Kulturkampf" und alles was mit ihm zusammenhängt, an der augenblicklichen
Stellung der katholischen Dichter in und zu der Literatur, welcher sie augehören,
getragen hat. Schlägt man gewisse Werke der neuesten ultramontanen Tendenz¬
poesie ans, so möchte man urteilen, daß diese der deutschen Dichtung durch nichts
als die Sprache, und auch die Sprache nur im allgemeinsten Sinne genommen,
angehören. Vom wirklichen Leben der Nation erscheint diese Lebens- und Ge¬
schichtsauffassung, erscheinen die ethischen und ästhetischen Ideale dieser Dichter
durch eine unüberschreitbare, unausfüllbare Kluft getrennt, keine Charakterdar¬
stellung und keine Situation dünkt uus aus dem eigentlichen Kern deutschen
Wesens erwachsen. In nichts fühlen wir uns dieser Literatur und ihren Ele¬
menten verwandt, nicht einmal in der Gegnerschaft wider den brutalen Materia¬
lismus und die flache und freche Frivolität des Tages! Denn es ist unmöglich,
sich einig mit einer Auffassung zu erklären, der es aus leicht durchschaubarcn
Motiven gefällt, mit dem Materialismus jede kräftige Freude am Besten der
Welt, an der Schönheit der Natur und dem Schönen des Lebens, mit der
Frivolität jede selbständige sittliche Empfindung, die nicht aus der Autorität
der Kirche stammt, willkürlich zu identifiziren. Es ist gefährlich, Klagen zu
teilen, aus denen die Kläger ganz andre Folgerungen ziehen, als wir es ver¬
mögen. In den Künsten dieser Sophistik sind leider gerade diejenigen Meister,
welche mehr als die Dichter selbst für die Belcher und Leiter der neuesten
katholischen schönen Literatur gelten müssen.

Die Übersicht der Entwicklung der katholischen Elemente innerhalb unsrer
Literatur hat uns zur Genüge gezeigt, daß es sich in ihnen um zwei Strö¬
mungen handelt. Die eine, obschon sie mit gutem Recht gewisse Besonderheiten
(wenn wir das Bild festhalten: eine eigentümliche Färbung) wahren und be¬
haupten will, setzt keine Feindseligkeit wider das eigentliche Leben der Nation
voraus und erweckt auch bei uns Protestanten kein Gefühl eines unversöhnlichen
Gegensatzes. Die andre, deren Quellen uns überall in die trübsten Tage unsrer
Geschichte zurückführen, deren Stärke genährt wird durch kosmopolitische Zu¬
flüsse, deren gefahrdrohende Bedeutung leider nicht genug erkannt und namentlich
von der literarischen Kritik, die ja überhaupt von der unglaublichsten Ober¬
flächlichkeit beherrscht wird, viel zu wenig berücksichtigt worden ist, herrscht im
Augenblick unbestritten vor. Es wäre vermessen, eine Prophezeiung über den
Zeitpunkt zu wagen, zu welchem im katholischen Deutschland die erste Strömung
einmal wieder die gewaltigere und siegende sein wird. Indes hieß es nahezu
am Vaterlande verzweifeln, wenn man annehmen wollte, daß dieser Zeitpunkt
nie eintreten und der reißende Strom des aus italienischen, spanischen und
französischen Quellen genährten gegenreformatorischen Fanatismus fort und fort
alle poetischen Talente an sich ziehen werde, welche durch ihre Geburt der alten
Kirche angehören und gegen dieselbe nicht gleichgiltig geworden sind. Einst-


Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.

Es ist hier nicht der Ort, schließlich zu untersuche», wieviel Schuld der
„Kulturkampf" und alles was mit ihm zusammenhängt, an der augenblicklichen
Stellung der katholischen Dichter in und zu der Literatur, welcher sie augehören,
getragen hat. Schlägt man gewisse Werke der neuesten ultramontanen Tendenz¬
poesie ans, so möchte man urteilen, daß diese der deutschen Dichtung durch nichts
als die Sprache, und auch die Sprache nur im allgemeinsten Sinne genommen,
angehören. Vom wirklichen Leben der Nation erscheint diese Lebens- und Ge¬
schichtsauffassung, erscheinen die ethischen und ästhetischen Ideale dieser Dichter
durch eine unüberschreitbare, unausfüllbare Kluft getrennt, keine Charakterdar¬
stellung und keine Situation dünkt uus aus dem eigentlichen Kern deutschen
Wesens erwachsen. In nichts fühlen wir uns dieser Literatur und ihren Ele¬
menten verwandt, nicht einmal in der Gegnerschaft wider den brutalen Materia¬
lismus und die flache und freche Frivolität des Tages! Denn es ist unmöglich,
sich einig mit einer Auffassung zu erklären, der es aus leicht durchschaubarcn
Motiven gefällt, mit dem Materialismus jede kräftige Freude am Besten der
Welt, an der Schönheit der Natur und dem Schönen des Lebens, mit der
Frivolität jede selbständige sittliche Empfindung, die nicht aus der Autorität
der Kirche stammt, willkürlich zu identifiziren. Es ist gefährlich, Klagen zu
teilen, aus denen die Kläger ganz andre Folgerungen ziehen, als wir es ver¬
mögen. In den Künsten dieser Sophistik sind leider gerade diejenigen Meister,
welche mehr als die Dichter selbst für die Belcher und Leiter der neuesten
katholischen schönen Literatur gelten müssen.

Die Übersicht der Entwicklung der katholischen Elemente innerhalb unsrer
Literatur hat uns zur Genüge gezeigt, daß es sich in ihnen um zwei Strö¬
mungen handelt. Die eine, obschon sie mit gutem Recht gewisse Besonderheiten
(wenn wir das Bild festhalten: eine eigentümliche Färbung) wahren und be¬
haupten will, setzt keine Feindseligkeit wider das eigentliche Leben der Nation
voraus und erweckt auch bei uns Protestanten kein Gefühl eines unversöhnlichen
Gegensatzes. Die andre, deren Quellen uns überall in die trübsten Tage unsrer
Geschichte zurückführen, deren Stärke genährt wird durch kosmopolitische Zu¬
flüsse, deren gefahrdrohende Bedeutung leider nicht genug erkannt und namentlich
von der literarischen Kritik, die ja überhaupt von der unglaublichsten Ober¬
flächlichkeit beherrscht wird, viel zu wenig berücksichtigt worden ist, herrscht im
Augenblick unbestritten vor. Es wäre vermessen, eine Prophezeiung über den
Zeitpunkt zu wagen, zu welchem im katholischen Deutschland die erste Strömung
einmal wieder die gewaltigere und siegende sein wird. Indes hieß es nahezu
am Vaterlande verzweifeln, wenn man annehmen wollte, daß dieser Zeitpunkt
nie eintreten und der reißende Strom des aus italienischen, spanischen und
französischen Quellen genährten gegenreformatorischen Fanatismus fort und fort
alle poetischen Talente an sich ziehen werde, welche durch ihre Geburt der alten
Kirche angehören und gegen dieselbe nicht gleichgiltig geworden sind. Einst-


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[0384] Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur. Es ist hier nicht der Ort, schließlich zu untersuche», wieviel Schuld der „Kulturkampf" und alles was mit ihm zusammenhängt, an der augenblicklichen Stellung der katholischen Dichter in und zu der Literatur, welcher sie augehören, getragen hat. Schlägt man gewisse Werke der neuesten ultramontanen Tendenz¬ poesie ans, so möchte man urteilen, daß diese der deutschen Dichtung durch nichts als die Sprache, und auch die Sprache nur im allgemeinsten Sinne genommen, angehören. Vom wirklichen Leben der Nation erscheint diese Lebens- und Ge¬ schichtsauffassung, erscheinen die ethischen und ästhetischen Ideale dieser Dichter durch eine unüberschreitbare, unausfüllbare Kluft getrennt, keine Charakterdar¬ stellung und keine Situation dünkt uus aus dem eigentlichen Kern deutschen Wesens erwachsen. In nichts fühlen wir uns dieser Literatur und ihren Ele¬ menten verwandt, nicht einmal in der Gegnerschaft wider den brutalen Materia¬ lismus und die flache und freche Frivolität des Tages! Denn es ist unmöglich, sich einig mit einer Auffassung zu erklären, der es aus leicht durchschaubarcn Motiven gefällt, mit dem Materialismus jede kräftige Freude am Besten der Welt, an der Schönheit der Natur und dem Schönen des Lebens, mit der Frivolität jede selbständige sittliche Empfindung, die nicht aus der Autorität der Kirche stammt, willkürlich zu identifiziren. Es ist gefährlich, Klagen zu teilen, aus denen die Kläger ganz andre Folgerungen ziehen, als wir es ver¬ mögen. In den Künsten dieser Sophistik sind leider gerade diejenigen Meister, welche mehr als die Dichter selbst für die Belcher und Leiter der neuesten katholischen schönen Literatur gelten müssen. Die Übersicht der Entwicklung der katholischen Elemente innerhalb unsrer Literatur hat uns zur Genüge gezeigt, daß es sich in ihnen um zwei Strö¬ mungen handelt. Die eine, obschon sie mit gutem Recht gewisse Besonderheiten (wenn wir das Bild festhalten: eine eigentümliche Färbung) wahren und be¬ haupten will, setzt keine Feindseligkeit wider das eigentliche Leben der Nation voraus und erweckt auch bei uns Protestanten kein Gefühl eines unversöhnlichen Gegensatzes. Die andre, deren Quellen uns überall in die trübsten Tage unsrer Geschichte zurückführen, deren Stärke genährt wird durch kosmopolitische Zu¬ flüsse, deren gefahrdrohende Bedeutung leider nicht genug erkannt und namentlich von der literarischen Kritik, die ja überhaupt von der unglaublichsten Ober¬ flächlichkeit beherrscht wird, viel zu wenig berücksichtigt worden ist, herrscht im Augenblick unbestritten vor. Es wäre vermessen, eine Prophezeiung über den Zeitpunkt zu wagen, zu welchem im katholischen Deutschland die erste Strömung einmal wieder die gewaltigere und siegende sein wird. Indes hieß es nahezu am Vaterlande verzweifeln, wenn man annehmen wollte, daß dieser Zeitpunkt nie eintreten und der reißende Strom des aus italienischen, spanischen und französischen Quellen genährten gegenreformatorischen Fanatismus fort und fort alle poetischen Talente an sich ziehen werde, welche durch ihre Geburt der alten Kirche angehören und gegen dieselbe nicht gleichgiltig geworden sind. Einst-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/384>, abgerufen am 21.06.2024.