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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.

zu schweigen, lassen zwar keinen Leser darüber in Zweifel, daß der Dichter
Katholik ist, allein von der gehässigen und kindischen Verunglimpfung der Anders¬
gläubigen, von dem mit der schalsten Sentimentalität verquickten Fanatismus
der Anfänge des Dichters enthalten sie nichts mehr. Was auch ihre poetisch-
künstlerischen Mängel fein mögen -- und diese bleiben allerdings stark und
empfindlich genug --, in seiner Grundempfindung und Grundanschauung hat
sich Redwitz jenen Glaubensgenossen zugesellt, welche ihren Überlieferungen, ohne
Bruch mit dem nationalen Leben und ohne Todfeindschaft gegen Kant und
Goethe, treu bleiben.

Im allgemeinen aber ward und wird die Entwicklung der katholischen
Talente unsrer Literatur leider mehr durch die spezifisch römische Partei als
durch die Dichtergruppe bestimmt, welche wir eben zu charakterisiren versuchten.
Selbst ein Dichter wie Friedrich Wilhelm Weber, dessen "Dreizehnlinden"
und "Gedichte" jetzt, wo der Dichter im Greisenalter steht, verdiente Anerkennung
finden, ein Westfale, der soviele gewinnende Züge mit Annette Droste gemein
hat, ein ernster, tapfrer, lebensgcprüfter Mann, eine echte Dichternatur, die in
"Dreizehnlinden" das lebendigste Mitgefühl für die alte Drude Swanahild
zutage legt und vor der blutigen Grausamkeit Karls des Großen, obgleich sie
zur größern Ehre Gottes und des Kreuzes begangen wird, erschauert, zeigt an
gewissen Stellen seiner Gedichte und in dem Hereinziehen modernster Schlag¬
wörter und Anschuldigungen in seine Gedichte, daß er ein Gefolgsmann des
Zentrums ist und seine poetischen Weisungen wenigstens nicht allein mehr vom
eignen Herzen empfängt. Ein liebenswürdiges und ursprüngliches Talent wie
Josef Pape, der Dichter der Epen "Der getreue Eckart" und "Schneewittchen
vom Gral," ist durch den hoffnungslosen Versuch, die Poesie des Mittelalters
neu zu beleben und mit ihr eine symbolische Polemik im Stil und Geist der
Kaplansprcsse zu verbinden, um jede frische und reine Wirkung seiner Schöpfungen
gebracht worden. Die Namen Georg von Dyherrn, Edmund Behringer,
Ludwig Brill, Wilhelm Molitor (Dramatiker, Dichter der Dramen "Maria
Mcigdalena," "Des Kaisers Günstling," "Die Freigelassene Neros," "Julian
der Apostat"), Ferdinande von Brackel, Maria Lenzen bezeichnen sämtlich
eine neue unerfreuliche Wendung des katholischen Teils der deutschen Literatur,
legen Zeugnis für das Überwiegen der neubelebten gegenreformatorischen Ten¬
denzen ab, und ihre Schöpfungen lassen nur allzuklar erkennen, daß der Geist,
welcher Annette von Droste-Hülshoff beseelte, sogut wie jeuer, der am Ende des
vorigen Jahrhunderts in den Tagen Dalbergs und Wessenbergs gewaltet, in
der Literatur der Gegenwart verflüchtigt und verschwunden ist. Wirksam sind
im Augenblick allein wieder die Elemente, deren Ursprung, deren Verbindung
mit geistigen Elementen des Auslandes und schlimmen Perioden der Geschichte
wir angedeutet haben.




Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.

zu schweigen, lassen zwar keinen Leser darüber in Zweifel, daß der Dichter
Katholik ist, allein von der gehässigen und kindischen Verunglimpfung der Anders¬
gläubigen, von dem mit der schalsten Sentimentalität verquickten Fanatismus
der Anfänge des Dichters enthalten sie nichts mehr. Was auch ihre poetisch-
künstlerischen Mängel fein mögen — und diese bleiben allerdings stark und
empfindlich genug —, in seiner Grundempfindung und Grundanschauung hat
sich Redwitz jenen Glaubensgenossen zugesellt, welche ihren Überlieferungen, ohne
Bruch mit dem nationalen Leben und ohne Todfeindschaft gegen Kant und
Goethe, treu bleiben.

Im allgemeinen aber ward und wird die Entwicklung der katholischen
Talente unsrer Literatur leider mehr durch die spezifisch römische Partei als
durch die Dichtergruppe bestimmt, welche wir eben zu charakterisiren versuchten.
Selbst ein Dichter wie Friedrich Wilhelm Weber, dessen „Dreizehnlinden"
und „Gedichte" jetzt, wo der Dichter im Greisenalter steht, verdiente Anerkennung
finden, ein Westfale, der soviele gewinnende Züge mit Annette Droste gemein
hat, ein ernster, tapfrer, lebensgcprüfter Mann, eine echte Dichternatur, die in
„Dreizehnlinden" das lebendigste Mitgefühl für die alte Drude Swanahild
zutage legt und vor der blutigen Grausamkeit Karls des Großen, obgleich sie
zur größern Ehre Gottes und des Kreuzes begangen wird, erschauert, zeigt an
gewissen Stellen seiner Gedichte und in dem Hereinziehen modernster Schlag¬
wörter und Anschuldigungen in seine Gedichte, daß er ein Gefolgsmann des
Zentrums ist und seine poetischen Weisungen wenigstens nicht allein mehr vom
eignen Herzen empfängt. Ein liebenswürdiges und ursprüngliches Talent wie
Josef Pape, der Dichter der Epen „Der getreue Eckart" und „Schneewittchen
vom Gral," ist durch den hoffnungslosen Versuch, die Poesie des Mittelalters
neu zu beleben und mit ihr eine symbolische Polemik im Stil und Geist der
Kaplansprcsse zu verbinden, um jede frische und reine Wirkung seiner Schöpfungen
gebracht worden. Die Namen Georg von Dyherrn, Edmund Behringer,
Ludwig Brill, Wilhelm Molitor (Dramatiker, Dichter der Dramen „Maria
Mcigdalena," „Des Kaisers Günstling," „Die Freigelassene Neros," „Julian
der Apostat"), Ferdinande von Brackel, Maria Lenzen bezeichnen sämtlich
eine neue unerfreuliche Wendung des katholischen Teils der deutschen Literatur,
legen Zeugnis für das Überwiegen der neubelebten gegenreformatorischen Ten¬
denzen ab, und ihre Schöpfungen lassen nur allzuklar erkennen, daß der Geist,
welcher Annette von Droste-Hülshoff beseelte, sogut wie jeuer, der am Ende des
vorigen Jahrhunderts in den Tagen Dalbergs und Wessenbergs gewaltet, in
der Literatur der Gegenwart verflüchtigt und verschwunden ist. Wirksam sind
im Augenblick allein wieder die Elemente, deren Ursprung, deren Verbindung
mit geistigen Elementen des Auslandes und schlimmen Perioden der Geschichte
wir angedeutet haben.




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[0383] Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur. zu schweigen, lassen zwar keinen Leser darüber in Zweifel, daß der Dichter Katholik ist, allein von der gehässigen und kindischen Verunglimpfung der Anders¬ gläubigen, von dem mit der schalsten Sentimentalität verquickten Fanatismus der Anfänge des Dichters enthalten sie nichts mehr. Was auch ihre poetisch- künstlerischen Mängel fein mögen — und diese bleiben allerdings stark und empfindlich genug —, in seiner Grundempfindung und Grundanschauung hat sich Redwitz jenen Glaubensgenossen zugesellt, welche ihren Überlieferungen, ohne Bruch mit dem nationalen Leben und ohne Todfeindschaft gegen Kant und Goethe, treu bleiben. Im allgemeinen aber ward und wird die Entwicklung der katholischen Talente unsrer Literatur leider mehr durch die spezifisch römische Partei als durch die Dichtergruppe bestimmt, welche wir eben zu charakterisiren versuchten. Selbst ein Dichter wie Friedrich Wilhelm Weber, dessen „Dreizehnlinden" und „Gedichte" jetzt, wo der Dichter im Greisenalter steht, verdiente Anerkennung finden, ein Westfale, der soviele gewinnende Züge mit Annette Droste gemein hat, ein ernster, tapfrer, lebensgcprüfter Mann, eine echte Dichternatur, die in „Dreizehnlinden" das lebendigste Mitgefühl für die alte Drude Swanahild zutage legt und vor der blutigen Grausamkeit Karls des Großen, obgleich sie zur größern Ehre Gottes und des Kreuzes begangen wird, erschauert, zeigt an gewissen Stellen seiner Gedichte und in dem Hereinziehen modernster Schlag¬ wörter und Anschuldigungen in seine Gedichte, daß er ein Gefolgsmann des Zentrums ist und seine poetischen Weisungen wenigstens nicht allein mehr vom eignen Herzen empfängt. Ein liebenswürdiges und ursprüngliches Talent wie Josef Pape, der Dichter der Epen „Der getreue Eckart" und „Schneewittchen vom Gral," ist durch den hoffnungslosen Versuch, die Poesie des Mittelalters neu zu beleben und mit ihr eine symbolische Polemik im Stil und Geist der Kaplansprcsse zu verbinden, um jede frische und reine Wirkung seiner Schöpfungen gebracht worden. Die Namen Georg von Dyherrn, Edmund Behringer, Ludwig Brill, Wilhelm Molitor (Dramatiker, Dichter der Dramen „Maria Mcigdalena," „Des Kaisers Günstling," „Die Freigelassene Neros," „Julian der Apostat"), Ferdinande von Brackel, Maria Lenzen bezeichnen sämtlich eine neue unerfreuliche Wendung des katholischen Teils der deutschen Literatur, legen Zeugnis für das Überwiegen der neubelebten gegenreformatorischen Ten¬ denzen ab, und ihre Schöpfungen lassen nur allzuklar erkennen, daß der Geist, welcher Annette von Droste-Hülshoff beseelte, sogut wie jeuer, der am Ende des vorigen Jahrhunderts in den Tagen Dalbergs und Wessenbergs gewaltet, in der Literatur der Gegenwart verflüchtigt und verschwunden ist. Wirksam sind im Augenblick allein wieder die Elemente, deren Ursprung, deren Verbindung mit geistigen Elementen des Auslandes und schlimmen Perioden der Geschichte wir angedeutet haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/383>, abgerufen am 21.06.2024.