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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.

lebt jener Hauch in ihrer Seele fort, welcher die katholische deutsche Welt am
Ausgang des achtzehnten und Eingang des neunzehnten Jahrhunderts durch¬
drungen, die Sehnsucht nach Einklang mit dem Gesamtleben und der höchsten
geistigen Bildung erweckt hatte. Obschon sie in Gehalt und Form der dentschen
Literatur durchaus Eigentümliches, subjektiv Selbständiges zubrachte, obschon ein
Teil dieser Eigentümlichkeit seine Wurzeln in der Konfession der Dichterin hatte,
zählten die Glaubensschlachten und die Bekehrungen durch Dragoner nicht zu
den Ideale" der Dichterin, und in diesem einen Satz erschöpft sich der gewaltige
Unterschied, der zwischen ihr und den Streit- und Hetzdichtern späterer Jahr¬
zehnte obwaltet.

Natürlich konnte eine so bedeutende Erscheinung wie Annette Droste-Hülshoff
nicht ohne die tiefste Einwirkung auf die katholischen Dichter Deutschlands
bleiben. Am nächsten in der Gesinnung und Empfindung (nicht in der Macht
des Talents) stand ihr der jugendliche Landsmann und Freund, welcher später
Herausgeber ihrer Werke und ihr Biograph ward: Levin Schücking. Dieselben
Ereignisse und Kämpfe, welche nach 1848 und namentlich nach der Gründung
des deutschen Reiches eine Anzahl als Katholiken geborner West- und süddeutscher
Dichter in das Lager hinüberdrängten, in welchem bis dahin die Konvertiten
und die Ultramontanen vom reinsten Wasser allein geschart standen, führten
ihn weiter nach links, auf die protestantische Seite, als er selbst in den vierziger
Jahren für möglich gehalten haben würde. Soweit seine Romane aus dem
Gebiete der vorübergehenden Unterhaltungsliteratur in dasjenige der eigentlichen
Dichtung hinübcrragten, hat er gleichfalls mit Wärme und innerm Anteil das
Leben des katholische" Westdeutschland zur Darstellung gebracht und uns die
tausend Fäden liebevoll aufgezeigt und zum Teil enthüllt, welche, trotz der
Glaubenstrennnng, dies Leben mit dem großen Gesamtleben der Nation ver¬
binden.

Von ähnlicher Sehnsucht, die geistige Einheit zu fördern, sie nicht zu zer¬
reißen, zeigte sich in seinen spätern und neuesten Werken der fränkische Dichter
Oskar von Redwitz beseelt. Kein Dichter hatte nach den Ereignissen von
1848 so hastig den Ruf nach Rückkehr ins Mittelalter erhoben, sich und sein
anmutiges lyrisches und schilderndes Talent so besinnungslos mit den schlechtesten
Reizmitteln des Fanatismus gestachelt und, obschon geborener Katholik, in der
streitlustigen Weise der Konvertiten den poetischen Lobredner einer neuen Gegen¬
reformation gemacht, als der Dichter der "Amarnnth" und der "Sieglinde."
Ein guter Teil der unerquicklichsten Produkte der neokatholischen Lyrik und
Epik ist auf seine Anregung zurückzuführen. Indes genügte bei Oskar von
Redwitz der Beginn einer gewissen Reife, um ihn Schritt für Schritt einer un¬
befangeneren, edleren Lebensdarstellung entgegenzuführen. Die Tragödie "Thomas
Morus," die Schauspiele "Philippine Welser" und "Der Zunftmeister von
Nürnberg," der Roman "Lorenz Stark," von den neuesten Dichtungen Redwitzens


Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.

lebt jener Hauch in ihrer Seele fort, welcher die katholische deutsche Welt am
Ausgang des achtzehnten und Eingang des neunzehnten Jahrhunderts durch¬
drungen, die Sehnsucht nach Einklang mit dem Gesamtleben und der höchsten
geistigen Bildung erweckt hatte. Obschon sie in Gehalt und Form der dentschen
Literatur durchaus Eigentümliches, subjektiv Selbständiges zubrachte, obschon ein
Teil dieser Eigentümlichkeit seine Wurzeln in der Konfession der Dichterin hatte,
zählten die Glaubensschlachten und die Bekehrungen durch Dragoner nicht zu
den Ideale» der Dichterin, und in diesem einen Satz erschöpft sich der gewaltige
Unterschied, der zwischen ihr und den Streit- und Hetzdichtern späterer Jahr¬
zehnte obwaltet.

Natürlich konnte eine so bedeutende Erscheinung wie Annette Droste-Hülshoff
nicht ohne die tiefste Einwirkung auf die katholischen Dichter Deutschlands
bleiben. Am nächsten in der Gesinnung und Empfindung (nicht in der Macht
des Talents) stand ihr der jugendliche Landsmann und Freund, welcher später
Herausgeber ihrer Werke und ihr Biograph ward: Levin Schücking. Dieselben
Ereignisse und Kämpfe, welche nach 1848 und namentlich nach der Gründung
des deutschen Reiches eine Anzahl als Katholiken geborner West- und süddeutscher
Dichter in das Lager hinüberdrängten, in welchem bis dahin die Konvertiten
und die Ultramontanen vom reinsten Wasser allein geschart standen, führten
ihn weiter nach links, auf die protestantische Seite, als er selbst in den vierziger
Jahren für möglich gehalten haben würde. Soweit seine Romane aus dem
Gebiete der vorübergehenden Unterhaltungsliteratur in dasjenige der eigentlichen
Dichtung hinübcrragten, hat er gleichfalls mit Wärme und innerm Anteil das
Leben des katholische» Westdeutschland zur Darstellung gebracht und uns die
tausend Fäden liebevoll aufgezeigt und zum Teil enthüllt, welche, trotz der
Glaubenstrennnng, dies Leben mit dem großen Gesamtleben der Nation ver¬
binden.

Von ähnlicher Sehnsucht, die geistige Einheit zu fördern, sie nicht zu zer¬
reißen, zeigte sich in seinen spätern und neuesten Werken der fränkische Dichter
Oskar von Redwitz beseelt. Kein Dichter hatte nach den Ereignissen von
1848 so hastig den Ruf nach Rückkehr ins Mittelalter erhoben, sich und sein
anmutiges lyrisches und schilderndes Talent so besinnungslos mit den schlechtesten
Reizmitteln des Fanatismus gestachelt und, obschon geborener Katholik, in der
streitlustigen Weise der Konvertiten den poetischen Lobredner einer neuen Gegen¬
reformation gemacht, als der Dichter der „Amarnnth" und der „Sieglinde."
Ein guter Teil der unerquicklichsten Produkte der neokatholischen Lyrik und
Epik ist auf seine Anregung zurückzuführen. Indes genügte bei Oskar von
Redwitz der Beginn einer gewissen Reife, um ihn Schritt für Schritt einer un¬
befangeneren, edleren Lebensdarstellung entgegenzuführen. Die Tragödie „Thomas
Morus," die Schauspiele „Philippine Welser" und „Der Zunftmeister von
Nürnberg," der Roman „Lorenz Stark," von den neuesten Dichtungen Redwitzens


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[0382] Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur. lebt jener Hauch in ihrer Seele fort, welcher die katholische deutsche Welt am Ausgang des achtzehnten und Eingang des neunzehnten Jahrhunderts durch¬ drungen, die Sehnsucht nach Einklang mit dem Gesamtleben und der höchsten geistigen Bildung erweckt hatte. Obschon sie in Gehalt und Form der dentschen Literatur durchaus Eigentümliches, subjektiv Selbständiges zubrachte, obschon ein Teil dieser Eigentümlichkeit seine Wurzeln in der Konfession der Dichterin hatte, zählten die Glaubensschlachten und die Bekehrungen durch Dragoner nicht zu den Ideale» der Dichterin, und in diesem einen Satz erschöpft sich der gewaltige Unterschied, der zwischen ihr und den Streit- und Hetzdichtern späterer Jahr¬ zehnte obwaltet. Natürlich konnte eine so bedeutende Erscheinung wie Annette Droste-Hülshoff nicht ohne die tiefste Einwirkung auf die katholischen Dichter Deutschlands bleiben. Am nächsten in der Gesinnung und Empfindung (nicht in der Macht des Talents) stand ihr der jugendliche Landsmann und Freund, welcher später Herausgeber ihrer Werke und ihr Biograph ward: Levin Schücking. Dieselben Ereignisse und Kämpfe, welche nach 1848 und namentlich nach der Gründung des deutschen Reiches eine Anzahl als Katholiken geborner West- und süddeutscher Dichter in das Lager hinüberdrängten, in welchem bis dahin die Konvertiten und die Ultramontanen vom reinsten Wasser allein geschart standen, führten ihn weiter nach links, auf die protestantische Seite, als er selbst in den vierziger Jahren für möglich gehalten haben würde. Soweit seine Romane aus dem Gebiete der vorübergehenden Unterhaltungsliteratur in dasjenige der eigentlichen Dichtung hinübcrragten, hat er gleichfalls mit Wärme und innerm Anteil das Leben des katholische» Westdeutschland zur Darstellung gebracht und uns die tausend Fäden liebevoll aufgezeigt und zum Teil enthüllt, welche, trotz der Glaubenstrennnng, dies Leben mit dem großen Gesamtleben der Nation ver¬ binden. Von ähnlicher Sehnsucht, die geistige Einheit zu fördern, sie nicht zu zer¬ reißen, zeigte sich in seinen spätern und neuesten Werken der fränkische Dichter Oskar von Redwitz beseelt. Kein Dichter hatte nach den Ereignissen von 1848 so hastig den Ruf nach Rückkehr ins Mittelalter erhoben, sich und sein anmutiges lyrisches und schilderndes Talent so besinnungslos mit den schlechtesten Reizmitteln des Fanatismus gestachelt und, obschon geborener Katholik, in der streitlustigen Weise der Konvertiten den poetischen Lobredner einer neuen Gegen¬ reformation gemacht, als der Dichter der „Amarnnth" und der „Sieglinde." Ein guter Teil der unerquicklichsten Produkte der neokatholischen Lyrik und Epik ist auf seine Anregung zurückzuführen. Indes genügte bei Oskar von Redwitz der Beginn einer gewissen Reife, um ihn Schritt für Schritt einer un¬ befangeneren, edleren Lebensdarstellung entgegenzuführen. Die Tragödie „Thomas Morus," die Schauspiele „Philippine Welser" und „Der Zunftmeister von Nürnberg," der Roman „Lorenz Stark," von den neuesten Dichtungen Redwitzens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/382>, abgerufen am 21.06.2024.