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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.

Engelbert von Köln erzählt, tritt ihr die bleiche Frau des Mörders vor die
Seele, die am Rade kniet, auf dem der Jsenburger geendet, "der ihr Held, ihr
Licht und der Vater ihrer Knaben" gewesen. Kurz: "Ihrer ^Annelees von Droste^
ganzen Lebensanschauung nach bedürfte die Gesellschaft, um in den Schranken
der Sittlichkeit zu bleiben und sich den ethischen Zielen der Welt immer mehr
zu nähern, der politischen und religiösen Schranken. Eine nach solchen An¬
schauungen konstruirte Welt umgab sie eben, und diese war durchwebt und
durchflochten von tausend Beziehungen ihres Gemüts, alles Leben ihres Herzens
beinahe hatte in diesem Boden seine Wurzeln. Darin lag ja eben das Har¬
monische ihrer Existenz, das bei einem so außerordentlichen Geiste Seltene, daß
zwischen ihrem innersten Fühlen und Denken und der Weltgestaltung um sie
her kein Zwiespalt war, daß nie ein inneres Sichauflehnen sie erfaßte und der
Untergrund von Trauer in ihr nur die Trauer über die Flüchtigkeit des Lebens
und alles Besten, Größten und Schönsten darin war." (Einleitung zu den
Gesammelten Schriften von Annette Freiin von Droste-Hülshoff. Stuttgart,
1879, Bd. 1, S. 47.) Wohl aber lehnt sie sich unbewußt tausendfach auf
gegen den Zwang, in den die ultramontane Anschauung alles Leben schlagen
will, ihre ganze Lebensdarstellung ist ein Protest gegen die dürftige Auffassung,
welche den geistig regsamen Gliedern der alten Kirche in Deutschland ansinnt,
mit dem Abhub der spanisch-italienischen Ekstase vorlieb zu nehmen. Jener
Bischof Moncescillo von Jaen, der vor wenigen Jahren noch den spanischen
Cortes zurief: "Deutschland bringt nichts als Unheil und Träumereien hervor;
was Deutschland Gutes besitzt, hat es von Teresa de Jesus, von Juan de la
Cruz, von Fay Luis de Granada," verriet die innersten Überzeugungen des
echten, in der Wolle gefärbten Ultramontanismus. Allein die deutschen Katholiken
durften sich nur auf Annette Droste und die wenigen ihr verwandten Naturen
berufen, um solche Kapuzinaden zu widerlegen.

Liebenswürdiger, reiner, gewinnender erscheinen die katholischen Elemente
nirgends in unsrer Literatur als in den Gedichten des münsterländischen Frei¬
fräuleins. Giebt es eine entzückendere, innerlich wahre, mit jedem Zug reizvolle
Idylle als "Des alten Pfarrers Woche"? Die Dichterin hat ihre Bilder der
Wirklichkeit abgelauscht, der Pfarrer, den sie hier einführt, war nur Repräsentant
einer großen, großen Zahl von katholischen Geistlichen -- wir wollen hoffen,
daß er es noch sei. Er vertritt nur die bauende, erbauende, mildthätig tröstende,
nicht die streitende Kirche, er gewinnt uns mit der erquicklichen Gewißheit, daß
das Amt des geistlichen Hirten beinahe überall die gleichen Menschenvorzüge
erweckt hat; der katholische Landpfarrer bietet in seiner von der Kirche gebotenen
Einsamkeit höchstens noch einen und den andern rührenden Zug mehr. Und
wie hier, so überall, wo die Poesie der Dichterin von ihrem Glauben durch¬
leuchtet wird, erscheint Annette Droste stark, fest, dabei aber innig, mild christlich,
nirgends herausfordernd oder gar fanatisch. Von ihr selbst nicht klar erkannt,


Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.

Engelbert von Köln erzählt, tritt ihr die bleiche Frau des Mörders vor die
Seele, die am Rade kniet, auf dem der Jsenburger geendet, „der ihr Held, ihr
Licht und der Vater ihrer Knaben" gewesen. Kurz: „Ihrer ^Annelees von Droste^
ganzen Lebensanschauung nach bedürfte die Gesellschaft, um in den Schranken
der Sittlichkeit zu bleiben und sich den ethischen Zielen der Welt immer mehr
zu nähern, der politischen und religiösen Schranken. Eine nach solchen An¬
schauungen konstruirte Welt umgab sie eben, und diese war durchwebt und
durchflochten von tausend Beziehungen ihres Gemüts, alles Leben ihres Herzens
beinahe hatte in diesem Boden seine Wurzeln. Darin lag ja eben das Har¬
monische ihrer Existenz, das bei einem so außerordentlichen Geiste Seltene, daß
zwischen ihrem innersten Fühlen und Denken und der Weltgestaltung um sie
her kein Zwiespalt war, daß nie ein inneres Sichauflehnen sie erfaßte und der
Untergrund von Trauer in ihr nur die Trauer über die Flüchtigkeit des Lebens
und alles Besten, Größten und Schönsten darin war." (Einleitung zu den
Gesammelten Schriften von Annette Freiin von Droste-Hülshoff. Stuttgart,
1879, Bd. 1, S. 47.) Wohl aber lehnt sie sich unbewußt tausendfach auf
gegen den Zwang, in den die ultramontane Anschauung alles Leben schlagen
will, ihre ganze Lebensdarstellung ist ein Protest gegen die dürftige Auffassung,
welche den geistig regsamen Gliedern der alten Kirche in Deutschland ansinnt,
mit dem Abhub der spanisch-italienischen Ekstase vorlieb zu nehmen. Jener
Bischof Moncescillo von Jaen, der vor wenigen Jahren noch den spanischen
Cortes zurief: „Deutschland bringt nichts als Unheil und Träumereien hervor;
was Deutschland Gutes besitzt, hat es von Teresa de Jesus, von Juan de la
Cruz, von Fay Luis de Granada," verriet die innersten Überzeugungen des
echten, in der Wolle gefärbten Ultramontanismus. Allein die deutschen Katholiken
durften sich nur auf Annette Droste und die wenigen ihr verwandten Naturen
berufen, um solche Kapuzinaden zu widerlegen.

Liebenswürdiger, reiner, gewinnender erscheinen die katholischen Elemente
nirgends in unsrer Literatur als in den Gedichten des münsterländischen Frei¬
fräuleins. Giebt es eine entzückendere, innerlich wahre, mit jedem Zug reizvolle
Idylle als „Des alten Pfarrers Woche"? Die Dichterin hat ihre Bilder der
Wirklichkeit abgelauscht, der Pfarrer, den sie hier einführt, war nur Repräsentant
einer großen, großen Zahl von katholischen Geistlichen — wir wollen hoffen,
daß er es noch sei. Er vertritt nur die bauende, erbauende, mildthätig tröstende,
nicht die streitende Kirche, er gewinnt uns mit der erquicklichen Gewißheit, daß
das Amt des geistlichen Hirten beinahe überall die gleichen Menschenvorzüge
erweckt hat; der katholische Landpfarrer bietet in seiner von der Kirche gebotenen
Einsamkeit höchstens noch einen und den andern rührenden Zug mehr. Und
wie hier, so überall, wo die Poesie der Dichterin von ihrem Glauben durch¬
leuchtet wird, erscheint Annette Droste stark, fest, dabei aber innig, mild christlich,
nirgends herausfordernd oder gar fanatisch. Von ihr selbst nicht klar erkannt,


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[0381] Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur. Engelbert von Köln erzählt, tritt ihr die bleiche Frau des Mörders vor die Seele, die am Rade kniet, auf dem der Jsenburger geendet, „der ihr Held, ihr Licht und der Vater ihrer Knaben" gewesen. Kurz: „Ihrer ^Annelees von Droste^ ganzen Lebensanschauung nach bedürfte die Gesellschaft, um in den Schranken der Sittlichkeit zu bleiben und sich den ethischen Zielen der Welt immer mehr zu nähern, der politischen und religiösen Schranken. Eine nach solchen An¬ schauungen konstruirte Welt umgab sie eben, und diese war durchwebt und durchflochten von tausend Beziehungen ihres Gemüts, alles Leben ihres Herzens beinahe hatte in diesem Boden seine Wurzeln. Darin lag ja eben das Har¬ monische ihrer Existenz, das bei einem so außerordentlichen Geiste Seltene, daß zwischen ihrem innersten Fühlen und Denken und der Weltgestaltung um sie her kein Zwiespalt war, daß nie ein inneres Sichauflehnen sie erfaßte und der Untergrund von Trauer in ihr nur die Trauer über die Flüchtigkeit des Lebens und alles Besten, Größten und Schönsten darin war." (Einleitung zu den Gesammelten Schriften von Annette Freiin von Droste-Hülshoff. Stuttgart, 1879, Bd. 1, S. 47.) Wohl aber lehnt sie sich unbewußt tausendfach auf gegen den Zwang, in den die ultramontane Anschauung alles Leben schlagen will, ihre ganze Lebensdarstellung ist ein Protest gegen die dürftige Auffassung, welche den geistig regsamen Gliedern der alten Kirche in Deutschland ansinnt, mit dem Abhub der spanisch-italienischen Ekstase vorlieb zu nehmen. Jener Bischof Moncescillo von Jaen, der vor wenigen Jahren noch den spanischen Cortes zurief: „Deutschland bringt nichts als Unheil und Träumereien hervor; was Deutschland Gutes besitzt, hat es von Teresa de Jesus, von Juan de la Cruz, von Fay Luis de Granada," verriet die innersten Überzeugungen des echten, in der Wolle gefärbten Ultramontanismus. Allein die deutschen Katholiken durften sich nur auf Annette Droste und die wenigen ihr verwandten Naturen berufen, um solche Kapuzinaden zu widerlegen. Liebenswürdiger, reiner, gewinnender erscheinen die katholischen Elemente nirgends in unsrer Literatur als in den Gedichten des münsterländischen Frei¬ fräuleins. Giebt es eine entzückendere, innerlich wahre, mit jedem Zug reizvolle Idylle als „Des alten Pfarrers Woche"? Die Dichterin hat ihre Bilder der Wirklichkeit abgelauscht, der Pfarrer, den sie hier einführt, war nur Repräsentant einer großen, großen Zahl von katholischen Geistlichen — wir wollen hoffen, daß er es noch sei. Er vertritt nur die bauende, erbauende, mildthätig tröstende, nicht die streitende Kirche, er gewinnt uns mit der erquicklichen Gewißheit, daß das Amt des geistlichen Hirten beinahe überall die gleichen Menschenvorzüge erweckt hat; der katholische Landpfarrer bietet in seiner von der Kirche gebotenen Einsamkeit höchstens noch einen und den andern rührenden Zug mehr. Und wie hier, so überall, wo die Poesie der Dichterin von ihrem Glauben durch¬ leuchtet wird, erscheint Annette Droste stark, fest, dabei aber innig, mild christlich, nirgends herausfordernd oder gar fanatisch. Von ihr selbst nicht klar erkannt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/381>, abgerufen am 21.06.2024.