Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.Zur preußischen Vormundschaftsordnung. strafbaren Handlungen, würden auch ohne den Waisenrat durch die zuständigen Den Familienrat verdanken wir dem französisch-rheinischen Rechte. Derselbe Dieses Beispiel lehrt wieder recht deutlich, daß man nicht beliebig Rechts¬ Grenzboten III. 1884. 47
Zur preußischen Vormundschaftsordnung. strafbaren Handlungen, würden auch ohne den Waisenrat durch die zuständigen Den Familienrat verdanken wir dem französisch-rheinischen Rechte. Derselbe Dieses Beispiel lehrt wieder recht deutlich, daß man nicht beliebig Rechts¬ Grenzboten III. 1884. 47
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0377" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156648"/> <fw type="header" place="top"> Zur preußischen Vormundschaftsordnung.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1593" prev="#ID_1592"> strafbaren Handlungen, würden auch ohne den Waisenrat durch die zuständigen<lb/> Polizeiorgane zur Anzeige gebracht werden. Insoweit ist also der Waisenrat<lb/> entbehrlich. Eine Sorge für das persönliche Wohl des Mündels ist ihm meist<lb/> nicht möglich, da er keine Geldmittel zur Verfügung hat, um die materielle Lage<lb/> des Mündels zu bessern. Die meisten eingreifenden Erziehungsfragen sind ja<lb/> leider Geldfragen. Wenn, um nur ein Beispiel hervorzuheben, der Waisenrat<lb/> sich auch überzeugt hat, daß eines der sogenannten Ziehkinder bei seiner Pflegerin<lb/> schlecht aufgehoben ist, so kann er dies doch nicht ändern, wenn er keine Mittel<lb/> hat, ihm eine bessere Pflege zu verschaffen. Die Armenpflege thut hier ohnedies,<lb/> was sie vermag, allein sie vermag eben nur wenig. Der Waisenräte bedarf es<lb/> in allen diesen Beziehungen nicht; es kann ihnen daher aus der Nichterfüllung<lb/> dieses Teils ihrer Amtspflichten kaum ein Vorwurf gemacht werden. Die bloße<lb/> Benennung der Vormünder aber genügt nicht, um die Einführung eines be¬<lb/> sondern Amtes der Waisenräte zu rechtfertigen; dieselbe könnte ebensogut wie<lb/> früher durch die Gemeindebehörden erfolgen; das ganze Institut ist eben nur<lb/> ein Rad am Wagen mehr.</p><lb/> <p xml:id="ID_1594"> Den Familienrat verdanken wir dem französisch-rheinischen Rechte. Derselbe<lb/> ist für besondere Fälle in Aussicht genommen, wo die Verwaltung eine gewisse<lb/> freiere Bewegung und technische Kenntnisse erfordert, die dem Vormundschafts-<lb/> richter regelmäßig abgehen, z. B, für die Bewirtschaftung eines großen Gutes,<lb/> die Leitung einer Fabrik oder eines Handlungsgcschäfts. In solchen Fällen<lb/> soll ein Familienrat bestellt werden, welcher an Stelle des Vormundschaftsrichters<lb/> die Aufsicht über die Verwaltung des Vormundes führt und alle mit der Vor¬<lb/> mundschaft verbundenen Rechte und Pflichten ausübt. Die Vormundschafts¬<lb/> ordnung enthält eingehende, sorgfältig ausgearbeitete Vorschriften über die<lb/> Bildung des Familienrats, dessen Berufung, Beschlußfassung u. s. w, welche<lb/> näher darzulegen hier nicht der Ort ist. Das Institut soll sich im Geltungs¬<lb/> gebiet des französischen Rechts da praktisch bewährt haben, wo größere in sich<lb/> verbundene Familien existirten, welche sich der ihnen zugehörigen Mündel an¬<lb/> nahmen. In den östlichen Provinzen Preußens hat es sich jedenfalls nicht<lb/> bewährt, oder es ist vielmehr trotz achtjähriger Geltungsdaner des Gesetzes<lb/> überhaupt noch nicht eingeführt; das ganze- Institut ist dem Publikum un¬<lb/> bekannt geblieben und kann in der Praxis nur in ganz vereinzelten Fällen zur<lb/> Anwendung gekommen sein. Der Erfolg beweist, daß dasselbe hier einem vor-<lb/> handnen Bedürfnisse nicht entsprach. Jedenfalls ist der Zweck, dadurch den<lb/> Familieneinfluß bei der Vormundschaftsverwaltung zu stärken, unerreicht<lb/> geblieben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1595" next="#ID_1596"> Dieses Beispiel lehrt wieder recht deutlich, daß man nicht beliebig Rechts¬<lb/> institute ohne Rücksicht auf die historischen Bedingungen, uuter deuen sie ent¬<lb/> standen sind und sich bewährt haben, von einem Rechtsgebiete auf das andre<lb/> verpflanzen kann. Die meisten Fehlgriffe, welche die Gesetzgebung der letzten</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1884. 47</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0377]
Zur preußischen Vormundschaftsordnung.
strafbaren Handlungen, würden auch ohne den Waisenrat durch die zuständigen
Polizeiorgane zur Anzeige gebracht werden. Insoweit ist also der Waisenrat
entbehrlich. Eine Sorge für das persönliche Wohl des Mündels ist ihm meist
nicht möglich, da er keine Geldmittel zur Verfügung hat, um die materielle Lage
des Mündels zu bessern. Die meisten eingreifenden Erziehungsfragen sind ja
leider Geldfragen. Wenn, um nur ein Beispiel hervorzuheben, der Waisenrat
sich auch überzeugt hat, daß eines der sogenannten Ziehkinder bei seiner Pflegerin
schlecht aufgehoben ist, so kann er dies doch nicht ändern, wenn er keine Mittel
hat, ihm eine bessere Pflege zu verschaffen. Die Armenpflege thut hier ohnedies,
was sie vermag, allein sie vermag eben nur wenig. Der Waisenräte bedarf es
in allen diesen Beziehungen nicht; es kann ihnen daher aus der Nichterfüllung
dieses Teils ihrer Amtspflichten kaum ein Vorwurf gemacht werden. Die bloße
Benennung der Vormünder aber genügt nicht, um die Einführung eines be¬
sondern Amtes der Waisenräte zu rechtfertigen; dieselbe könnte ebensogut wie
früher durch die Gemeindebehörden erfolgen; das ganze Institut ist eben nur
ein Rad am Wagen mehr.
Den Familienrat verdanken wir dem französisch-rheinischen Rechte. Derselbe
ist für besondere Fälle in Aussicht genommen, wo die Verwaltung eine gewisse
freiere Bewegung und technische Kenntnisse erfordert, die dem Vormundschafts-
richter regelmäßig abgehen, z. B, für die Bewirtschaftung eines großen Gutes,
die Leitung einer Fabrik oder eines Handlungsgcschäfts. In solchen Fällen
soll ein Familienrat bestellt werden, welcher an Stelle des Vormundschaftsrichters
die Aufsicht über die Verwaltung des Vormundes führt und alle mit der Vor¬
mundschaft verbundenen Rechte und Pflichten ausübt. Die Vormundschafts¬
ordnung enthält eingehende, sorgfältig ausgearbeitete Vorschriften über die
Bildung des Familienrats, dessen Berufung, Beschlußfassung u. s. w, welche
näher darzulegen hier nicht der Ort ist. Das Institut soll sich im Geltungs¬
gebiet des französischen Rechts da praktisch bewährt haben, wo größere in sich
verbundene Familien existirten, welche sich der ihnen zugehörigen Mündel an¬
nahmen. In den östlichen Provinzen Preußens hat es sich jedenfalls nicht
bewährt, oder es ist vielmehr trotz achtjähriger Geltungsdaner des Gesetzes
überhaupt noch nicht eingeführt; das ganze- Institut ist dem Publikum un¬
bekannt geblieben und kann in der Praxis nur in ganz vereinzelten Fällen zur
Anwendung gekommen sein. Der Erfolg beweist, daß dasselbe hier einem vor-
handnen Bedürfnisse nicht entsprach. Jedenfalls ist der Zweck, dadurch den
Familieneinfluß bei der Vormundschaftsverwaltung zu stärken, unerreicht
geblieben.
Dieses Beispiel lehrt wieder recht deutlich, daß man nicht beliebig Rechts¬
institute ohne Rücksicht auf die historischen Bedingungen, uuter deuen sie ent¬
standen sind und sich bewährt haben, von einem Rechtsgebiete auf das andre
verpflanzen kann. Die meisten Fehlgriffe, welche die Gesetzgebung der letzten
Grenzboten III. 1884. 47
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